Reisst Evergrande die Welt mit?
Folgen des Immobilien-Schocks in China für die Schweiz

Evergrande muss nach einem Gerichtsbeschluss liquidiert werden: Der chinesische Immobilien-Konzern ist am Ende. Was die Immobilien-Krise in China für die Schweiz bedeutet.
Publiziert: 29.01.2024 um 14:30 Uhr
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Aktualisiert: 29.01.2024 um 15:14 Uhr
Einer der Gebäudekomplexe des zweitgrössten Immobilienentwicklers Chinas in der Hafenstadt Guangzhou.
Foto: AFP
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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

Mit Evergrande ist der zweitgrösste Immobilien-Konzern in China Pleite. Ein Hongkonger Gericht hat die Abwicklung des hoch verschuldeten Kolosses angeordnet. Nach der Ankündigung stürzten Evergrande-Aktien um mehr als 20 Prozent.

Die chinesische Wirtschaft steht wegen der Immobilienkrise vor einer Bewährungsprobe. Das hat direkte und indirekte Auswirkungen bis in die Schweiz. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum ist Evergrande pleite?

Chinas Bausektor ist jahrelang auf Pump gewachsen. Evergrande hat bis ins Jahr 2021 umgerechnet einen Schuldenberg von mehr als 300 Milliarden Euro angehäuft. Daraufhin beantragte der Konzern ein Insolvenzverfahren. 2020 geriet der Konzern dann endgültig in Schieflage, als Chinas Behörden mit Beschränkungen bei der Kreditbeschaffung auf die ausufernde Verschuldung der Branche reagiert hatte. Besonders bei Evergrande führte dies zu Zahlungsausfällen und Projektabbrüchen. Die rückläufigen Immobilienpreise in China haben die Schieflage weiter verschärft. Jetzt soll er abgewickelt werden.

Wie gross ist Evergrande?

Ende 2022 beschäftigte die Evergrande-Gruppe noch über 120'000 Angestellte. Im vergangenen Jahr wurde der Personalbestand um mehrere Zehntausend reduziert. Die chinesische Immobilienbranche steckt tief in der Krise und baute 2023 mehrere Hunderttausend Jobs ab. Der Umsatz bei Evergrande brach seit 2022 von 62 auf 22 Milliarden Franken ein. Der Konzern konnte seine Schulden seit dem Höhepunkt im Jahr 2021 zwar etwas abbauen, doch das Eigenkapital ist nach wie vor negativ.

Was bedeutet die Immobilienkrise in China für den Schweizer Häusermarkt?

Was im chinesischen Immbobilienmarkt derzeit passiert, hat für den Schweizer Markt glücklicherweise keine direkten Folgen. Der Schweizer Häusermarkt ist stabil und die Preise steigen vielerorts weiterhin an. Wegen der tiefen Bautätigkeit und der hohen Zuwanderung dürfte das noch länger so bleiben. Folglich besteht nicht die Gefahr, dass Hypotheken plötzlich nicht mehr gedeckt wären.

Kann so was auch bei uns passieren?

Nein. Schicksalhaft für Evergrande war, dass Chinas Präsident Xi Jinping (70) 2021 beschloss, in das Geschehen einzugreifen. Er will auch dem Mittelstand den Kauf einer Wohnung ermöglichen. Denn der chinesische Immobilienmarkt war überhitzt. In Peking kostete eine mittelgrosse Wohnung das 20-fache eines jährlichen Durchschnittslohns. Xi Jinping beschloss, die Kreditvergabe einzuschränken, um den Markt abzukühlen. Derart weitreichende Eingriffe in den Immobilienmarkt sind von der Schweizer Politik kaum zu erwarten.

Trifft es auch Schweizer Banken?

Schweizer Banken sind kaum auf dem chinesischen Immobilienmarkt aktiv. Problematischer ist jedoch das wichtige Geschäft mit reichen Privatkunden in Asien. Diese könnten einerseits selbst Geld verlieren, schlimmstenfalls gar selbst in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Für Schweizer Banken birgt dies Verlustrisiken. Sie müssen andererseits aber auch damit rechnen, dass sich die reichen Kunden bei ihren Geschäften zurückhalten – was die Erträge der Banken schmälert.

Welche Bedeutung hat die Krise in China für die Schweizer Wirtschaft?

Der Immobiliensektor war in China bis vor einigen Jahren für fast ein Drittel des Wirtschaftswachstums verantwortlich. Dieser Treiber fehlt nun. Der Wirtschaftsmotor der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt stockt. Bei den Haushalten herrscht Konsumflaute: Während der Konsum der Privathaushalte in den OECD-Staaten 65 Prozent der Grösse des Bruttoinlandprodukts beträgt, liegt dieser Wert in China gerade mal bei 38 Prozent. Das wirkt sich unmittelbar auf die Nachfrage bei Schweizer Industriefirmen aus.

Werden weitere Konkurse folgen?

Das ist nicht ausgeschlossen. Mit Country Garden steckt auch der grösste Immobilien-Konzern in China tief im Schuldensumpf. Die Schulden belaufen sich auf rund 170 Milliarden Franken. Bereits die Pleite von Evergrande hat für chinesische Banken und Baufirmen gravierende Folgen. Sollte gar noch Country Garden dazukommen, dürfte die chinesische Wirtschaft knietief im Schlamassel stecken.

Was passiert nun mit Evergrande?

Wird ein Unternehmen liquidiert, wird ein vorläufiger Liquidator und schliesslich ein offizieller Liquidator bestimmt. Dieser übernimmt die Kontrolle und bereitet den Verkauf der Vermögenswerte des Unternehmens vor, um dessen Schulden zu begleichen. Die Insolvenzverwalter könnten Gläubigern einen Umschuldungsplan vorschlagen, sollte Evergrande über genügend Vermögenswerte verfügen. Evergrande kann zwar Berufung gegen den Liquiditätsbeschluss einlegen, allerdings wird das Liquidationsverfahren bis zu einem allfälligen erneuten Gerichtsprozess weitergeführt.

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