«Das Problem ist, dass soziale Gerechtigkeit nicht gerecht ist»
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Milei-Rede am WEF:«Das Problem ist, dass soziale Gerechtigkeit nicht gerecht ist»

Reaktionen auf Mileis WEF-Rede
«Nötig, dass jemand den Leuten hier den Spiegel vorhält»

Der polarisierende argentinische Präsident Javier Milei sparte im Vorfeld nicht mit Kritik am WEF. Nun stand er vor der versammelten Welt-Elite auf der Bühne. Welche Botschaften hat er hinterlassen?
Publiziert: 17.01.2024 um 21:38 Uhr
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Aktualisiert: 18.01.2024 um 18:24 Uhr
Javier Milei gibt sich am WEF nahbar. Ohne viel Sicherheitspersonal spaziert er durchs Kongresszentrum.
Foto: keystone-sda.ch
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Javier Milei (53) tritt in Davos ohne Kettensäge auf – aber nicht minder schlagkräftig. Er nutzt seine 30 Minuten auf der Bühne für die wohl überzeugteste Rede für den Kapitalismus seit langem am WEF.

«Freier Handel und Kapitalismus sind das einzige Instrument, um Hunger und Armut auf der Welt zu bekämpfen», verkündet der frisch gewählte argentinische Staatschef. «Der Sozialismus bringt uns nur Armut.» Seine Rede liest er vom Zettel ab, die Lesebrille sitzt ihm ganz vorne auf der Nasenspitze. Er schaut kaum ins Publikum, stattdessen aufs Rednerpult vor sich. Auf Spanisch rattert der frühere Wirtschaftsprofessor in einem derartigen Tempo Zahlen und Berechnungen nieder, dass die Simultanübersetzer immer mal wieder ins Stolpern geraten. 

Lob für Unternehmertum, Tadel für Feminismus

Wenn auch Milei nicht mit Kritik spart – am Sozialismus, am aufgeblähten Staatsapparat, am Westen, der vom rechten Pfad, dem Kapitalismus, abgekommen sei – hat er doch auch Lob auf Lager: «Ein Unternehmer, der Erfolg hat, ist ein echter Held!»

Glatteis betritt Milei spätestens, als er die Geschlechterungleichheit anspricht. «Der Kampf der Geschlechter ist lächerlich! Die radikale Agenda der Feministen schafft Hürden für die wirtschaftliche Entwicklung.» Frauenförderung ist für Milei überflüssig – der Markt regelt es. 

Die Waadtländer Wirtschaftsministerin Isabelle Moret (53, FDP) kann das nicht nachvollziehen, wie sie Blick nach der Rede erzählt. Zu ihrem Departement gehört auch das Büro für Gleichstellung. «Das ist in der Schweiz nach wie vor nötig, da liegt noch einiges im Argen. Zudem stellt er die Notwendigkeit eines sozialen Auffangnetzes infrage. Darauf könnten wir aber nicht verzichten.»

Ein soziales Auffangnetz ist für Milei bereits Ausgeburt des Sozialismus. Und diesem wende sich der Westen immer mehr zu. «Das ist lächerlich!», findet der argentinische Präsident. Das Beispiel Argentiniens zeige, welche Auswirkungen es habe, wenn man dem freien Markt Grenzen setzt. «Ganz egal, wie viele natürliche Ressourcen Sie haben, wie gut gebildet Ihre Bevölkerung ist, wie viel Gold in der Zentralbank liegt.»

«Milei ist kein grosser Redner»

Viele wollen sich nach Mileis Rede gegenüber Blick nicht zu den Aussagen des argentinischen Präsidenten äussern. Thomas Jordan (60), Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) etwa, lehnt lächelnd ab. Wir erinnern uns: Zu den Plänen Mileis gehört, die argentinische Nationalbank abzuschaffen. 

Der ehemalige Nestlé-Chef Peter Brabeck (79) zeigt sich gesprächsbereiter. «Er ist ein Provokateur, aber sein Warnruf kommt zur rechten Zeit», sagt Brabeck über Milei. «Die Wirtschaftsordnung in der Schweiz war lange Zeit liberal, doch auch bei uns wird der Staat immer einflussreicher. Dabei geht vergessen, dass ich als erfolgreicher Unternehmer, Werte für die Gesellschaft schaffe. Je profitabler ich arbeite, desto mehr Steuern liefere ich ab, bilde Leute aus und schaffe Arbeitsplätze.»

Im Saal sass auch SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel (58). Er lebte in den 90er-Jahren selber eine Weile in Argentinien. Später hatte er gar beruflich mit Javier Milei zu tun. «Ich habe in Argentinien am eigenen Leib erlebt, wie es ist, wenn sich das Geld jeden Tag um weitere zehn Prozent entwertet», so der St. Galler. Man müsse bei Mileis Rede denn auch in Betracht ziehen, wo er herkomme. «Milei ist kein Schönschwätzer und auch kein grosser Redner», stellt Büchel fest. Gefallen hat ihm die Ansprache trotzdem. «Es ist nötig, dass einmal jemand den Leuten hier den Spiegel vorhält.»

Wie passt der Klimalügner zum grünen WEF?

Auch WEF-Gründer Klaus Schwab (85) ergibt sich in Lobhudelei über den argentinischen Präsidenten. Gratuliert diesem zum Wahlsieg, als er ihn auf der Bühne ankündigt, nennt ihn eine «aussergewöhnliche Person». Dass Schwab seinen WEF-Gästen dezidiertes Wohlwollen entgegenbringt, ist verständlich, nicht umsonst reist alles, was Rang und Namen hat, alljährlich nach Davos. Dass Schwab allerdings, der seinem Forum seit Jahren einen grünen Anstrich verpasst, derartige Worte über einen Leugner des Klimawandels verliert, ist doch einigermassen pikant. 

Mileis Aussagen am WEF mögen polarisieren. Worin sich allerdings die grosse Mehrheit der WEF-Teilnehmenden einig ist: Mileis unkomplizierte, nahbare Art, ist erfrischend. Nach dem Ende seiner Rede verlässt Milei die Bühne nicht über den Seiteneingang, wie andere Redner. Er steuert stattdessen schnurstracks aufs Publikum zu, schüttelt Hände, verteilt Umarmungen.

Diese Stärke spielt Milei auch beim Volk aus: Im Vergleich zu anderen Staatschefs reiste er nicht im Regierungsjet nach Davos – sondern mit einem Lufthansa-Linienflug in der Economy Class.

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