Problematisches Vorgehen
Firmen fragen bei Bewerbung nach sexueller Orientierung

Unternehmen wollen von Stellensuchenden höchst private Dinge wissen. Sie messen so ihre Diversity – und wagen sich auf dünnes Eis.
Publiziert: 23.10.2023 um 12:06 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 08:35 Uhr
Peter Johannes Meier
Beobachter

Der Versicherungsspezialist war zuerst irritiert, dann schockiert. Er wollte sich um einen Job bewerben, es ging um eine Kaderposition bei der Zurich Insurance. Arbeitsort wäre London oder Zürich gewesen. Er wollte Zürich. Die Onlinebewerbung startete mit einem ausführlichen Fragenkatalog. Infos zur Person, CV hochladen, das Übliche. Dann, in der Rubrik «Job-Specific Information», wurde es plötzlich sehr privat. «Man wollte wissen, ob ich schwul, hetero- oder bisexuell sei. ‹Anderes› war auch eine Option.»

Gleich darauf folgten Fragen zum sozialen Geschlecht (Gender) und zur ethnischen Zugehörigkeit (Ethnicity). 21 Kategorien standen hier zur Wahl, vom bengalischen Asiaten bis zum weissen Zigeuner (White Gypsy).

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«Das hat nun wirklich nichts mit Anforderungen im Job zu tun. Und es sollte kein Kriterium sein, ob ihn jemand bekommt», so der Manager genervt. Daran ändere auch die Möglichkeit nichts, mit einem «Prefer not to say» lieber keine Angaben zu machen. «Wenn ein Arbeitgeber Wert auf sexuelle Orientierung und Ethnie legt, tut man sich kaum einen Gefallen, wenn man nicht antwortet.»

Gewisse Grossfirmen wie Swiss Re oder Zurich fragen in Bewerbungsgesprächen ganz gezielt nach sexueller Orientierung oder Ethnie – was heikel ist.
Foto: Getty Images/PhotoAlto
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Aus den USA in die Schweiz geschwappt

Die Zurich ist kein Sonderfall. Immer mehr Schweizer Unternehmen beginnen, Diversity-Merkmale ihrer bestehenden Belegschaft zu erheben und auszuwerten. So wollte der Rückversicherer Swiss Re diesen Sommer in Erfahrung bringen, wie es um die sexuelle Orientierung, das soziale Geschlecht und die Ethnie der Angestellten steht. Bereits vor zwei Jahren hatte die UBS als erste Bank die ethnische Zugehörigkeit ihrer Mitarbeitenden erfragt.

Die St. Galler Rechtsprofessorin Isabelle Wildhaber hat in einer Forschungsarbeit untersucht, ob solche Befragungen zulässig sind. Und sie zeigt Verständnis für die Irritationen, die sie provozieren. «Das Diversity-Monitoring ist aus den USA nach Europa geschwappt. In den USA hat die Förderung der Diversität ganz andere rechtliche Grundlagen und gesellschaftliche Hintergründe.»

Fragen zur sexuellen Orientierung bei der Stellenbewerbung, Zurich-Versicherung.
Foto: Screenshot

Dazu gehört auch die Förderung benachteiligter Gruppen, indem sie wegen ihres Minderheitenstatus bevorzugt behandelt werden. Die sogenannte «Affirmative Action» hat das oberste US-Gericht zwar im Juni 2023 für den Hochschulbereich verboten. Was das für die Privatwirtschaft heisst, ist aber umstritten.

«In der Schweiz und in den meisten europäischen Ländern gelten dagegen ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, religiöse und philosophische Überzeugungen als besonders schützenswerte Personendaten», sagt Wildhaber. Solche Eigenschaften dürften darum nur erfragt werden, wenn sie wichtig sind für die Eignung im Job. Das sei in der Regel aber nicht der Fall. Personen sollen geschützt werden, indem potenziell diskriminierende Eigenschaften privat bleiben.

«Das könnte das Gegenteil bewirken»

Der Manager, der sich bei der Zurich beworben hat, sieht in der Diversity-Erfassung einen gesellschaftlichen Rückschritt. «Wir waren doch auf einem guten Weg. Die Belegschaften in den meisten Firmen sind in den vergangenen Jahrzehnten vielfältiger geworden.» Der Frauenanteil sei gewachsen. Und wie jemand sexuell ticke, spiele kaum mehr eine Rolle, sagt er. Auch weil die meisten Angestellten viel sensibler geworden seien, was die Diskriminierung von Minderheiten betreffe. Wenn man diese jetzt in Kategorien erfasse, könnte es das Gegenteil bewirken.

Die Zurich-Versicherung weist den Vorwurf zurück, ihre Befragungsmethode könne diskriminierend wirken. Wer im konkreten Fall über eine Anstellung entscheide, erfahre gar nicht, was die Bewerberinnen und Bewerber geantwortet haben. «Die Daten werden anonymisiert und dann aggregiert ausgewertet», sagt Zurich-Sprecherin Laura Worrall.

Druck aus den USA

Warum aber machen das Firmen überhaupt? «Wir können so die Fortschritte beim Schaffen einer vielfältigen Belegschaft messen», sagt Worrall. Konkret wolle die Zurich analysieren, «wie sich der Anteil von Personen, die sich zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zählen, über die Zeit verändert». Auch ein Benchmarking mit anderen Unternehmen sei so möglich.

Ganz freiwillig sind die Erhebungen nicht. Für Stellen mit Arbeitsort in den USA sind grössere internationale Firmen verpflichtet, die Ethnie ihrer Angestellten zu erfragen – sofern sie staatliche Aufträge annehmen wollen. Das trifft auf die Zurich zu. Für Stellen in der Schweiz würden die Fragen aber nicht gestellt, versichert die Zurich.

Ein Dokument, das Fragen bei Stellenbewerbungen zeigt.
Foto: Screenshot

Beim Schweizer Manager wurde nach Diversity-Merkmalen gefragt, weil London neben Zürich ein möglicher Arbeitsort gewesen wäre. Allerdings gibt es in Grossbritannien – anders als in den USA – keine Pflicht, die sexuelle Orientierung oder die Ethnie zu erfassen, das räumt auch die Zurich ein. Sie erwähnt einen anderen Grund: Die Fragen stelle man wegen der Beteiligung an internationalen Diversity-Programmen und -Zertifizierungen, etwa dem Stonewall Workplace Equality Index.

Die meisten grösseren Firmen in der Schweiz haben heute Diversity-Programme. Nur zielten sie bisher auf Eigenschaften wie Geschlecht und Alter ab. Merkmale, die einem Unternehmen sowieso bekannt sind, weil sie auch für die Sozialversicherungen relevant sind. Die Messung des Geschlechteranteils in einer Abteilung oder auf einer Hierarchiestufe ist kein Problem – auch kein rechtliches. Anders sieht es aus, wenn es um höchst private Eigenschaften wie die sexuelle Orientierung geht.

Heikle Fragen nach sexueller Orientierung

«Wenn Angestellte trotzdem danach befragt werden, darf das nur auf Freiwilligkeit beruhen», sagt Rechtsprofessorin Isabelle Wildhaber. Ob etwas auch tatsächlich freiwillig sei, müsse im Arbeitsverhältnis immer kritisch hinterfragt werden.

Selbst wenn das zutrifft, entsteht ein anderes Problem: die Aussagekraft der Daten. «Was sagt es über die Diversität in einer Firma aus, wenn zum Beispiel 30 Prozent der Angestellten nicht an der Befragung teilnehmen?», fragt Wildhaber.

Rechtlich problematisch werde es, wenn die Fragen bei der Stellenbewerbung gestellt werden. «Die Freiwilligkeit ist hier kaum mehr gegeben, da Bewerber ja unter Druck stehen, im Prozess möglichst gut abzuschneiden», so Wildhaber. Entsprechende Fragen würden darum auch widerwillig beantwortet.

Hochschulen kommunizieren besser

Unternehmen wie die Zurich versichern zwar, die Antworten hätten keinen Einfluss auf eine Anstellung, da sie ja anonymisiert würden. Dennoch dürften Vorstellungen existieren, welche Eigenschaften in der Firma untervertreten sind und welche nicht. «Andernfalls wäre die ganze Datenerhebung und -auswertung ja ein wenig zwecklos», sagt Wildhaber.

Sie kritisiert zudem, dass oft nur sehr schwammig kommuniziert werde, was ein Unternehmen mit solchen Fragen anstellt. Soll der Anteil unterschiedlichster Minoritäten grundsätzlich erhöht werden? Oder gibt es genauere Zielvorgaben, zum Beispiel eine Repräsentativität zur Bevölkerung?

Hochschulen verhalten sich deutlich offensiver und kommunizieren klar, so die Rechtsprofessorin. «An einigen Universitäten besteht das Ziel, den Anteil der Professorinnen bis 2030 auf 30 oder mehr Prozent zu erhöhen. Das wird in den Stellenausschreibungen kommuniziert. Wenn eine Stelle ausgeschrieben wird, weiss das somit jeder männliche Bewerber.»

Lügen ist erlaubt

Klar unzulässig seien Fragen nach schützenswerten Eigenschaften in einem persönlichen Bewerbungsgespräch. So dürfe die sexuelle Orientierung nicht thematisiert werden. «Es verhält sich ähnlich wie mit den Fragen nach dem Kinderwunsch oder einer religiösen Überzeugung», sagt Wildhaber. Sie gehörten schlicht nicht in ein Bewerbungsgespräch. Falls sie trotzdem gestellt werden, muss man sie nicht beantworten.

«Wer durch eine Nichtantwort einen Nachteil befürchtet, kann sich auf das Notwehrrecht der Lüge berufen», so Wildhaber. Die Person könnte sich also als hetero- oder homosexuell darstellen, auch wenn das nicht ihrer tatsächlichen Orientierung entspricht. Für Vorgesetzte, die mit ihrem Einstellungsentscheid den Vorgaben der Firma nachkommen möchten, eine denkbar ungünstige Ausgangslage.

Der Stellenbewerber bei der Zurich hat eine andere Stelle gefunden. Doch die Erfahrungen haben Spuren hinterlassen. «Mit Gesetzen und mehr Sensibilisierung haben wir erreicht, dass jede und jeder Einzelne besser vor Diskriminierung geschützt wird. Jetzt aber sollen die Menschen wieder nach Gruppenzugehörigkeiten unterschiedlich behandelt und gefördert werden. Ich sehe darin keinen Fortschritt.»

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