Privatversichert und überbehandelt
Operieren, weil es Geld bringt

Wer wegen eines Herzleidens ins Spital muss und privatversichert ist, hat ein höheres Risiko, Opfer einer Überbehandlung zu werden. So lautet das Fazit einer Studie der Universität Basel.
Publiziert: 04.02.2023 um 16:36 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2023 um 16:39 Uhr
Gian Signorell («Beobachter»)

Überbehandlungen sind Therapien, die entweder nutzlos sind oder bei denen das Risiko den Nutzen übersteigt. Weil jede Operation einen Eingriff in den Körper bedeutet, handelt es sich bei einer Überbehandlung nicht um eine Lässlichkeit nach dem Motto «Wenn es nichts nützt, so schadet es auch nicht», sondern stellt einen ärztlichen Kunstfehler dar. Patientinnen und Patienten werden einer unnötigen Gefährdung ausgesetzt. Zudem verursachen sie unnötige Gesundheitskosten.

Beobachter
Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch.

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Kaum zu rechtfertigen

Die Basler Forschungsgruppe untersuchte acht Eingriffe am Herzen, darunter das Einsetzen eines Herzschrittmachers, die Erweiterung eines Blutgefässes mit einem Stent und das Ersetzen einer Herzklappe. Dabei zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit, operiert zu werden, bei Patientinnen und Patienten mit einer Spitalzusatzversicherung elf Prozent höher war als bei jenen, die bloss grundversichert waren. «Unsere Daten weisen darauf hin, dass Personen mit Zusatzversicherungen Behandlungen erhalten, die sich medizinisch nur schwer rechtfertigen lassen und daher möglicherweise unnötig sind», sagt Studienleiter Tristan Struja.

Exponenten des Gesundheitssystems bewerten diese Studienergebnisse sehr unterschiedlich. Der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) und die Schweizerische Belegärzte-Vereinigung (SBV) verweisen beide darauf, dass sich die Ergebnisse nur begrenzt verallgemeinern liessen. Die Studie könne den Nachweis nicht erbringen, dass die Unterschiede auf finanzielle Interessen der Operierenden zurückzuführen seien.

Spitalmanager, Klinikdirektorinnen und vor allem freiberufliche Belegärzte seien jederzeit darüber im Bild, wie viel Geld bei welchen Eingriffen unter dem Strich für sie übrig bleibe, schreibt der «Beobachter». (Symbolbild)
Foto: Keystone
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Bonus-Malus-System gefordert

Anders sieht es die SPO Patientenorganisation. Dass zu viel operiert und behandelt werde, sei eine Realität. Gespräche des Beobachters mit spitalnahen Quellen unterstützen die Vermutungen von Studienleiter Tristan Struja. Spitalmanager, Klinikdirektorinnen und vor allem freiberufliche Belegärzte seien jederzeit darüber im Bilde, wie viel Geld bei welchen Eingriffen unter dem Strich für sie übrig bleibe. Dass dies keinen Einfluss auf die Behandlung habe, sei kaum vorstellbar, so der allgemeine Tenor.

«Die finanziellen Anreize müssen ganz anders gesetzt werden», fordert Studienleiter Struja. Wie bei der Autoversicherung sollte es nach dem Kriterium der Qualität ein Bonus-Malus-System geben, wobei Ärztinnen und Ärzte, deren Eingriffe weniger Komplikationen zur Folge haben, besser entschädigt werden, anstatt die Anzahl Eingriffe zu vergüten.

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