Pannenzug der SBB
«Es droht das maximale Desaster»

Ein Politiker gibt Details aus dem Vertrag zwischen SBB und Bombardier bekannt. Demnach könnte der Zug Hunderte von Millionen Strafe nach sich ziehen.
Publiziert: 13.01.2019 um 02:20 Uhr
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Aktualisiert: 28.05.2019 um 12:02 Uhr
Thomas Schlittler und Moritz Kaufmann

Reisende mit Kleinkindern dürfen sich freuen: Beim Wanken des neuen Fernverkehr-Doppelstockzugs der SBB – kurz FV-Dosto – schlummern sogar Schreibabys zuverlässig ein.

Für alle anderen gilt: Bitte festhalten! «Es schaukelt ganz schön hier oben. Manchmal muss ich aufpassen, dass ich nicht umfalle.» Das sagt nicht etwa ein gestresster Pendler, sondern ein Elektriker, der im FV-Dosto unterwegs ist, um technische Probleme des Pannenzugs zu beheben.

Seit fast einem Jahr sind zwölf Kombinationen des kanadischen Herstellers Bombardier im Einsatz, seit dem Fahrplanwechsel im Dezember auch im Kundenbetrieb auf der Interregio-Strecke Basel–Zürich–St. Gallen–Chur. Dazu, die Züge zuverlässig verkehren zu lassen, hat es dennoch nicht gereicht.

Der SBB-Pannenzug in Zürich.
Foto: Keystone
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500'000 Franken pro Woche Verspätung von Bombardier?

«Im ersten Monat des fahrplanmässigen Betriebs kam es beim neuen Doppelstockzug immer wieder zu Zugausfällen und Verspätungen», räumten die SBB diese Woche ein. Vor allem defekte Türen, Probleme mit Software und Antrieb sowie die «Laufruhe in tieferen Geschwindigkeitsbereichen» werden bemängelt.

Die SBB entschuldigen sich für die Unannehmlichkeiten – geben die Schuld aber Bombardier. So heisst es in der Medienmitteilung vom Donnerstag: «Wir sind unzufrieden und erwarten, dass die Mängel umgehend behoben werden.»
Ein derart öffentlicher Angriff ist ungewöhnlich, kommt aber nicht von ungefähr. Der FV-Dosto, einst gedacht als neues SBB-Flaggschiff, hätte bereits ab 2013 eingesetzt werden sollen. Dass der Zug sechs Jahre später immer noch nicht planmässig fährt, nervt alle Beteiligten.

Und es könnte Hunderte Millionen Franken kosten! Der Aargauer SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner (65) sagt zu SonntagsBlick: «Pro Zug und pro Woche Verspätung muss Bombardier 500'000 Franken zahlen.» Die SBB wollen diese Information nicht kommentieren – sie dementieren sie aber auch nicht. Verkehrspolitiker Giezendanner hat sie auf eigene Faust besorgt. Brisant sind die Zahlen allemal: Erstmals nennt jemand öffentlich Details aus dem SBB-Bombardier-Vertrag.

Schuldfrage nicht so klar

Giezendanner betont, dass Bombardier auch Versprechen im Hinblick auf den Energieverbrauch nicht einhalten könne. Zudem werde wegen des Schüttelns eine Busse fällig. «Grob gerechnet komme ich insgesamt auf einen Schadenersatz von 600 Millionen Franken.»

Bahnexperten halten diese Zahl zwar für ungewöhnlich hoch. Ungewöhnlich sind aber auch die Probleme mit dem Schüttelzug. Für eine derart hohe Schadenersatzsumme spricht auch, dass Andreas Meyer (57) bereits 2013 in einem Interview sagte: «Die Strafzahlung ist viel höher als alles, was ich bis jetzt in einem Rollmaterial-Vertrag gesehen habe.» Damals ging der SBB-Chef noch davon aus, dass die Züge Ende 2015 rollen.

Die Schuldfrage ist allerdings nicht so klar, wie die jüngste SBB-Mitteilung vermuten lässt. Zwar ist es Aufgabe des Herstellers, den Zug zuverlässig zum Laufen zu bringen. Bahnexperten warnten aber bereits vor der Auftragsvergabe, das gewünschte Produkt sei völlig neu und extrem komplex. Zudem haben die SBB im Verlaufe des Produktionsprozesses aussergewöhnlich viele Änderungswünsche angebracht und fast im Jahresrhythmus den Projektleiter ausgetauscht: Alles Faktoren, die sich negativ auf die Zeitplanung auswirken können.

Drei Züge gratis als Entschädigung sind zu wenig

2014 einigte man sich darauf, dass Bombardier den SBB als Strafe für die Verspätung drei zusätzliche Züge liefert. Die ersten sollten 2017 zum Einsatz kommen. Doch auch dieses Zieldatum wurde weit überschritten. Zu allfälligen weiteren Strafzahlungen hat man Stillschweigen vereinbart. Dazu ein SBB-Sprecher: «Die Schuldfrage wird im Rahmen von juristischen Abklärungen zu einem späteren Zeitpunkt geklärt.»

Inzwischen will sich die Politik nicht länger vertrösten lassen. Morgen Montag thematisiert die Verkehrskommission des Nationalrats (KVF) den Pannenzug. «Es kann nicht sein, dass den Passagieren im oberen Stock schlecht wird», lässt KVF-Präsidentin Edith Graf-Litscher (54, SP, TG) verlauten. Die Verkehrspolitiker wollen wissen, wer die Kosten für die nicht enden wollenden Verzögerungen tragen wird.

Die Kommissionspräsidentin zu SonntagsBlick: «Ich gehe davon aus, dass die drei Gratiszüge nicht das letzte Wort sind.» Thomas Ammann (54, CVP, SG) stösst ins gleiche Horn: «Drei Züge, die noch nicht mal richtig funktionieren, sind als Entschädigung zu wenig.» Nun müsse alles auf den Tisch: «Am Ende muss vielleicht die Finanzkontrolle für Transparenz sorgen.»

Ulrich Giezendanner fordert gar eine parlamentarische Kommission, die den Fall untersucht. Optimistisch ist er nicht: «Die Dimensionen sind gigantisch. Der Bombardier-Zug könnte für die SBB zum maximalen Desaster werden.»

Vom Superzug zum Superflop – die unsägliche Geschichte des FV-Dosto

Mit dem Fernverkehr-Doppelstockzug FV-Dosto wollten die SBB den Schritt in die Bahn-Zukunft machen. Mittlerweile ist es fast zehn Jahre her, dass die grösste Rollmaterial-Bestellung der SBB-Geschichte ausgeschrieben wurde – und noch immer ist der Pannenzug zu unzuverlässig für den Normalbetrieb.

April 2009
Die SBB geben bekannt, dass sie für 2,1 Milliarden Franken neue Doppelstockzüge für den Fernverkehr kaufen wollen. Es ist die bisher grösste Rollmaterial-Ausschreibung der SBB-Geschichte.

Mai 2010
Der Auftrag für die 59 neuen Doppelstockzüge geht für 1,9 Milliarden an Bombardier. Die Konkurrenz – Stadler Rail aus der Schweiz und Siemens aus Deutschland – schaut in die Röhre.

April 2012
Erste Verzögerung wird bekannt: Statt Ende 2013 sollen die Züge erst 2015 rollen. Hauptgrund: Eine Fehlkonstruktion des Wagenkastens. Hinzu kommt eine Klage von Behindertenorganisationen.

November 2014
Bombardier legt den SBB einen neuen Lieferplan vor. Laut diesem sollen die ersten Züge ab 2017 zum Einsatz kommen. Bis 2020 soll der Lieferrückstand aufgeholt werden. Im Rahmen der Vereinbarung akzeptieren die SBB drei zusätzliche kostenlose Züge als Entschädigung – unter der Bedingung, dass die Qualität der Testzüge die Anforderungen erfüllen.

November 2017
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) erteilt den neuen Doppelstockzügen die Betriebsbewilligung. Nach einem Software-Update und der Behebung kleinerer Mängel lägen alle nötigen Nachweise für einen sicheren Betrieb der Züge vor. Die Bewilligung ist jedoch auf ein Jahr befristet, da noch nicht alle geplanten Funktionalitäten der Fahrzeuge betriebsbereit seien.

Januar 2018
Behindertenverbände wehren sich vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die provisorische Betriebsbewilligung.

Januar 2019
Die Züge sind noch immer nicht zuverlässig. Die SBB beschweren sich öffentlich über den Hersteller Bombardier und verzichten bis auf weiteres auf den Einsatz der Züge im Fernverkehr zwischen St. Gallen und Genf. Zudem ziehen die Behindertenverbände ihre Beschwerde, die vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt wurde, ans Bundesgericht weiter.  

Mit dem Fernverkehr-Doppelstockzug FV-Dosto wollten die SBB den Schritt in die Bahn-Zukunft machen. Mittlerweile ist es fast zehn Jahre her, dass die grösste Rollmaterial-Bestellung der SBB-Geschichte ausgeschrieben wurde – und noch immer ist der Pannenzug zu unzuverlässig für den Normalbetrieb.

April 2009
Die SBB geben bekannt, dass sie für 2,1 Milliarden Franken neue Doppelstockzüge für den Fernverkehr kaufen wollen. Es ist die bisher grösste Rollmaterial-Ausschreibung der SBB-Geschichte.

Mai 2010
Der Auftrag für die 59 neuen Doppelstockzüge geht für 1,9 Milliarden an Bombardier. Die Konkurrenz – Stadler Rail aus der Schweiz und Siemens aus Deutschland – schaut in die Röhre.

April 2012
Erste Verzögerung wird bekannt: Statt Ende 2013 sollen die Züge erst 2015 rollen. Hauptgrund: Eine Fehlkonstruktion des Wagenkastens. Hinzu kommt eine Klage von Behindertenorganisationen.

November 2014
Bombardier legt den SBB einen neuen Lieferplan vor. Laut diesem sollen die ersten Züge ab 2017 zum Einsatz kommen. Bis 2020 soll der Lieferrückstand aufgeholt werden. Im Rahmen der Vereinbarung akzeptieren die SBB drei zusätzliche kostenlose Züge als Entschädigung – unter der Bedingung, dass die Qualität der Testzüge die Anforderungen erfüllen.

November 2017
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) erteilt den neuen Doppelstockzügen die Betriebsbewilligung. Nach einem Software-Update und der Behebung kleinerer Mängel lägen alle nötigen Nachweise für einen sicheren Betrieb der Züge vor. Die Bewilligung ist jedoch auf ein Jahr befristet, da noch nicht alle geplanten Funktionalitäten der Fahrzeuge betriebsbereit seien.

Januar 2018
Behindertenverbände wehren sich vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die provisorische Betriebsbewilligung.

Januar 2019
Die Züge sind noch immer nicht zuverlässig. Die SBB beschweren sich öffentlich über den Hersteller Bombardier und verzichten bis auf weiteres auf den Einsatz der Züge im Fernverkehr zwischen St. Gallen und Genf. Zudem ziehen die Behindertenverbände ihre Beschwerde, die vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt wurde, ans Bundesgericht weiter.  

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