Ökonom Jan-Egbert Sturm erklärt die Stärke der Schweizer Wirtschaft
«Geringere Teuerung, starker Franken, Zurückhaltung bei Löhnen»

Die Weltwirtschaft schwächelt, die Schweizer Wirtschaft steht einmal mehr robust da. Ökonom Jan-Egbert Sturm erklärt im Interview mit Blick, was die Gründe sind – und wo Gefahren lauern.
Publiziert: 23.03.2024 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2024 um 23:20 Uhr
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

So gut wie der Niederländer Jan-Egbert Sturm, Direktor der KOF-Konjunkturforschungstelle der ETH Zürich, kennen nur wenige die Schweizer Wirtschaft. Deshalb haben die Prognosen von ihm und seinem Institut grosses Gewicht. Doch auch Sturm kann nicht immer alles voraussehen. Vor allem, wenn die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Auguren ein Schnippchen schlägt und so wie am Donnerstag überraschend als erste wichtige Notenbank die Zinswende eingeläutet hat.

Blick: Hand aufs Herz, haben Sie mit der Zinssenkung gerechnet?
Jan-Egbert Sturm: Wir haben das intern diskutiert, aber nicht für das wahrscheinlichste Szenario gehalten. Auch wenn die Inflation in der Schweiz sehr deutlich zurückgegangen ist und es der Schweizer Industrie nicht gut geht, war die Annahme, dass die SNB weiterhin konservativ agieren wird. Wir gingen davon aus, dass sie erstmal abwarten wird, welchen Weg das Fed (Zentralbank-System der USA) und die Europäische Zentralbank einschlagen werden.

Die SNB ist die Vorreiterin bei der Zinswende. Was machen die Schweiz und ihre Nationalbank besser als die anderen?
Die Teuerung in der Schweiz war deutlich geringer als in den Nachbarländern. Auch dank des starken Frankens, der mitgeholfen hat, dass die importierte Teuerung – etwa bei den Energielieferungen – tiefer war. Die Zurückhaltung bei den Lohnverhandlungen hat sicher auch geholfen. In der Schweiz wissen wir, dass wir Preissteigerungen nicht sofort in vollem Ausmass kompensieren können. Die Preisschwankungen sind schneller als die Lohnerhöhungen. Aber es ist bestimmt für einige Leute ein Problem, dass sie heute real weniger Geld im Portemonnaie haben als vor zwei Jahren.

Ökonom Jan-Egbert Sturm ist gefragt, wenn es um konjunkturelle Themen geht.
Foto: Siggi Bucher
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Das ist aber schlecht für die Konsumentenstimmung?
Wir stellen eine gewisse Zurückhaltung bei Neuanschaffungen von grösseren Gütern wie Waschmaschinen oder Autos fest. Aber wenn man sich die Zahlen genau anschaut, hält sich das wirklich in Grenzen. Wir sehen, dass sich der Konsum relativ stabil entwickelt.

Persönlich

Jan-Egbert Sturm (55) leitet seit 2005 die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich. Zuvor war der gebürtige Holländer Volkswirtschaftsprofessor an mehreren Unis in seinem Heimatland, in Australien und Deutschland. Als Vizepräsident der Schweizer Corona-Taskforce hat Sturm den Bundesrat während der Pandemie beraten. Er ist verheiratet, Vater zweier Kinder und lebt mit seiner Familie am Bodensee.

Jan-Egbert Sturm (55) leitet seit 2005 die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich. Zuvor war der gebürtige Holländer Volkswirtschaftsprofessor an mehreren Unis in seinem Heimatland, in Australien und Deutschland. Als Vizepräsident der Schweizer Corona-Taskforce hat Sturm den Bundesrat während der Pandemie beraten. Er ist verheiratet, Vater zweier Kinder und lebt mit seiner Familie am Bodensee.

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Am Dienstag steht die nächste Konjunkturprognose der KOF an. Wie läuft es grundsätzlich in der Wirtschaft?
Die wirtschaftlichen Impulse für die Schweiz aus dem Ausland sind nicht so gut. Zwar läuft die Wirtschaft in den USA und auch Asien etwas besser, als die meisten Ökonomen noch vor ein paar Monaten erwartet haben. Das gilt allerdings nicht für Europa. Da machen wir uns echt Sorgen.

Auch wegen Deutschland?
Ja. Nicht nur die Autoindustrie, die mitten in einem Strukturwandel steckt, oder die Schwerindustrie haben Probleme. Die gesamte deutsche Wirtschaft schwächelt. Auch im Bausektor läuft es nicht. Die Konsumenten sind sehr zurückhaltend, sparen lieber, als zu konsumieren. Das alles summiert sich zu einer kleinen Rezession in Deutschland.

Was heisst das für die Schweiz?
Auch wenn uns die schwache Investitionstätigkeit in der Schweiz überrascht sind, steht die Schweizer Wirtschaft insgesamt recht solide da. Allerdings ist die Schweizer Wirtschaft zweigeteilt: Im Dienstleistungssektor läuft es recht rund. Die Industrie hingegen ist stark von der deutschen und internationalen Konjunktur abhängig und spürt die schwachen Impulse. Zudem findet in der Pharmabranche gerade eine Art Normalisierung statt, der Nach-Corona-Boom ist abgeklungen. Auf dem Niveau der Jahre 2021/22 konnte es nicht weitergehen.

Das gilt auch für die gesamte Weltwirtschaft?
Ja, wir haben auch weltweit einen Industrieboom in den Nachwehen der Pandemie erlebt. Am Anfang gab es viele Lieferengpässe. Die Firmen konnten nicht in der von den Kunden gewünschten Geschwindigkeit liefern. Jetzt ist alles nachgeliefert, diese Boomphase ist eindeutig vorbei.

Damit auch die Nachfrage nach Schweizer Maschinen und Investitionsgütern?
Die Nachfrage ist nicht so ausgeprägt, wie es sich die Industrie wünscht. Trotzdem steht die Schweiz im Export noch relativ gut da. Die Schweiz hat gegenüber anderen Ländern Marktanteile gewonnen. Das ist im heutigen globalen Umfeld eine gute Leistung.

Trotzdem sind die Sorgenfalten in der Industrie tief – zurecht?
Die Sorgen der Industrie sind berechtigt. Die Unternehmen haben die vorhandenen Aufträge abgearbeitet. Doch nun fehlen die Neuaufträge, und die Gewinnmargen sinken. Auch in der Schweiz steckt die Industrie in einer Rezession.

Deshalb gibt es weniger Investitionen?
Ja, viele Unternehmen in der Schweiz finanzieren ihre Investitionen aus einbehaltenen Gewinnen. Sinken diese, fehlt das Geld, um in die Zukunft zu investieren. Da spielt auch der starke Franken eine Rolle. Aber wichtiger sind die fehlende globale Nachfrage und die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft. All das führt zu Zurückhaltung bei den Investitionen.

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Das könnte sich nach der Zinssenkung ändern, da jetzt auch Kredite wieder billiger werden?
Die etwas vorgezogene Zinssenkung hilft dabei, noch wichtiger ist aber die Normalisierung der Auslandsnachfrage. Diese wirkt sich in der Regel stärker auf die Betriebsüberschüsse und die Investitionsneigung der Unternehmen aus.

Konsum und Dienstleistungen laufen gut, die Industrie schwächelt. Was heisst das für den Arbeitsmarkt?
Der Arbeitsmarkt bleibt robust, vor allem dank des Dienstleistungssektors. Er ist aber weniger überhitzt. Die Arbeitslosigkeit wird nur geringfügig steigen. Denn die Unternehmen haben während der Pandemie gelernt, dass man vorsichtig damit sein muss, zu schnell Leute zu entlassen. Denn diese fehlen dann bei der Erholung, wenn die Talsohle durchschritten ist.

Ist die Schweiz für Wandel durch künstliche Intelligenz (KI) gut aufgestellt?
Ja, die Schweiz ist für das KI-Zeitalter gerüstet. Wir leben in einem Land mit hoher Innovationskraft und viel Humankapital. Der Bildungs- und Wissensstand der Bevölkerung ist sehr hoch. Das heisst aber nicht, dass alles ohne Reibungsverluste ablaufen wird. Das Tempo könnte sogar für die Schweiz zu hoch sein.

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