«Wir sollten das nicht alleine stemmen müssen»
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Oberste Apothekerin fordert:«Wir sollten das nicht alleine stemmen müssen»

Oberste Apothekerin Martine Ruggli (56) fordert wegen Ansturm
«Macht Impfzentren zu Testzentren!»

Seit Tagen schlagen Apotheken landauf landab Alarm: Sie werden von Ferien- und Feierwütigen regelrecht überrannt, können die Nachfrage kaum noch stemmen. Die oberste Apothekerin des Landes fordert jetzt Massnahmen.
Publiziert: 09.07.2021 um 01:30 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2021 um 08:03 Uhr
Interview: Sarah Frattaroli

Wer in die Ferien verreisen oder einen Club besuchen will, braucht das Covid-Zertifikat. Und weil die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer noch nicht doppelt geimpft ist, traben die Leute gleich reihenweise zum Test an. Die Apotheken könnten den Andrang kaum noch stemmen, warnt Martine Ruggli (56), Präsidentin des Apothekerverbandes Pharmasuisse, im Blick-Interview.

Blick: Die Klagerufe der Apotheken werden immer lauter, sie warnen ob des grossen Testandrangs vor dem Kollaps. Teilen Sie diesen Eindruck?
Martine Ruggli: Leider ja. Die Apotheken leisten Extremes, sie testen, so viel sie können. Doch die Nachfrage ist so gross, dass die Apotheken nicht mehr alles stemmen können. Die Grundproblematik liegt darin, dass die Antigen-Schnelltests nur zwei Tage gültig sind. Die meisten Leute, die sich derzeit testen lassen, wollen in die Ferien. Und weil ein Grossteil am Samstag verreist, ist das Testvolumen am und vor dem Wochenende extrem.

Erste Frau an der Spitze

Martine Ruggli (56) trat ihr Amt als Präsidentin des Schweizerischen Apothekerverbandes Pharmasuisse mitten in der Corona-Krise an, im Herbst 2020. Die Freiburgerin ist studierte Pharmazeutin und die erste Frau an der Spitze des Verbandes. Von 2014 bis 2017 präsidierte sie ausserdem die Eidgenössische Arzneimittelkommission. Martine Ruggli kommt aus einer Grossfamilie, gemeinsam mit ihrem zweiten Mann hat sie acht Kinder und zwei Enkel. Zur Familie gehört auch SBB-Chef Vincent Ducrot (58): Er ist Rugglis älterer Bruder.

Martine Ruggli (56) trat ihr Amt als Präsidentin des Schweizerischen Apothekerverbandes Pharmasuisse mitten in der Corona-Krise an, im Herbst 2020. Die Freiburgerin ist studierte Pharmazeutin und die erste Frau an der Spitze des Verbandes. Von 2014 bis 2017 präsidierte sie ausserdem die Eidgenössische Arzneimittelkommission. Martine Ruggli kommt aus einer Grossfamilie, gemeinsam mit ihrem zweiten Mann hat sie acht Kinder und zwei Enkel. Zur Familie gehört auch SBB-Chef Vincent Ducrot (58): Er ist Rugglis älterer Bruder.

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Die oberste Schweizer Apothekerin Martine Ruggli warnt angesichts des hohen Testvolumens vor einer Überlastung der Apotheken.
Foto: Pharmasuisse
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Bei vielen Apotheken sind die Termine von Donnerstag bis Samstag bereits Wochen im Voraus ausgebucht. Wie reagieren Kunden, die auf der Strecke bleiben?
Der Frust der Leute ist gross. Ich höre von den Apothekern, dass der Umgangston rauer wird. Die Leute rufen zum Teil am Samstagmorgen um 6.30 Uhr an und betteln um Termine. Ich verstehe die Verzweiflung. Ich appelliere aber auch an die Leute anzuerkennen, dass wir unser Möglichstes tun.

Könnten die Apotheken nicht kurzfristig aufstocken und mehr Termine anbieten?
Viele haben schon ihre Öffnungszeiten erweitert, beginnen bereits um 6 Uhr morgens und testen bis nach Ladenschluss. Einige Apotheken testen sogar am Sonntag. Aber ich kann als Einzelperson nicht zwei Personen gleichzeitig testen: Ich brauche Personal und Räumlichkeiten. Das kurzfristig aufzustocken, ist schwierig. Und auch das Apothekenpersonal will in die Ferien. Das wird langsam kompliziert.

Der Bund hat per Juli die Tarife gesenkt, Apotheken erhalten pro Antigen-Test noch 47 Franken. Einige Apotheken bieten nun gar keine Schnelltests mehr an, weil es sich finanziell nicht lohnt. Stehlen sie sich damit nicht aus der Verantwortung?
Das sind Ausnahmefälle. Ich muss aber sagen, die Tarifsenkung ist nicht nachvollziehbar. Niemand will ein Minusgeschäft machen. Erst recht nicht unter diesem enormen Druck! Sehen Sie, die Apotheken testen nicht nur – sie impfen auch und erhalten jeden Tag zig Anrufe von verunsicherten Kunden. Die Leute fragen: «Was brauche ich, um nach Italien zu reisen? Und nach Spanien?»

Wünschen Sie sich, dass die Leute weniger verreisen, weniger Clubs besuchen – und damit auch weniger Tests brauchen?
Absolut nicht! Wir müssen leben können. Die Leute haben lange gewartet auf ihre Ferien. Und schauen Sie sich das Wetter an ... Es ist verständlich, dass viele ins Ausland verreisen wollen!

Was ist der Ausweg?
Die einzige Chance, sich den Test zu sparen, wäre die Impfung. Wir kommen erst aus der Pandemie, wenn die Impfrate hoch genug ist.

In der Schweiz sinkt die Anzahl der täglich durchgeführten Impfungen aber kontinuierlich ...
Das ist problematisch. Die Bevölkerung muss solidarisch sein und sich impfen lassen. Gleichzeitig schafft es aber Platz in den Impfzentren. Das heisst, wir sollten diese Impfzentren vorübergehend zu Testzentren umfunktionieren. Vor allem am Wochenende, wenn die Impfzentren nicht ausgelastet sind, die Nachfrage nach Tests aber umso höher ist. Auch das Gesundheitspersonal wäre in den Impfzentren ja bereits vorhanden. Wer impfen kann, kann auch testen – oder kann es zumindest schnell lernen.

In einigen Kantonen haben die Ferien bereits begonnen, andernorts stehen sie erst an, zum Beispiel im bevölkerungsreichsten Kanton Zürich. Verschärft sich der Test-Engpass noch?
Wir haben den Zenit schon erreicht. Ich schätze, der Engpass besteht für die nächsten sechs Wochen. Nach den Schulferien wird es wohl wieder ruhiger. Eine Erleichterung wäre, wenn mehr kantonale Testzentren am Wochenende testen könnten. Derzeit wird die Nachfrage dort nicht gedeckt. Damit wächst der Druck auf uns Apothekerinnen und Apotheker und auf die Arztpraxen.

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