Minder findet «Einkaufstouristen unpatriotisch»
Der Streit um die Einkaufsschlacht im Ausland

Ist es wirklich unpatriotisch, ennet der Grenze einzukaufen? Oder berechtigte Notwehr gegen Profiteure? Die Debatte hat begonnen.
Publiziert: 25.01.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 11:18 Uhr
«Bleibt da!», sagt Ständerat Thomas Minder. «Im Ausland einzukaufen, ist unpatriotisch – ehrt heimisches Schaffen!»
Foto: Stefan Bohrer, Thomas Lüthi, RDB, Keystone
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Von Deborah Lacourrège, Cyrill Pinto, Peter Hossli, Guido Schätti und Joël Widmer

Zwei Kolleginnen auf Shopping-Tour: Laura Schmied (16) aus Biel BE und Olivia Kallenrieder (17) aus Murten FR füllten gestern im Rheincenter in Weil am Rhein (D) ihre Einkaufstaschen bis zum Rand. «Wir haben vor allem Kleider und Hygieneartikel gekauft», sagen die Lehrlinge. «Das ist hier so viel günstiger als in der Schweiz!»

Seit der Abschaffung des Euromindestkurses gibt es kein Halten mehr: Heerscharen preisbewusster Schweizer stürmen die Geschäfte jenseits der Grenze. Wo Einkaufen schon vorher billiger war, sind jetzt nochmals gegen 20 Prozent zu sparen. Der deutsche Zoll bestätigt: Immer mehr Schweizer kaufen in Baden-Württemberg ein.

Und nie war die Frage drängender: Verraten die Einkaufstouristen unsere Wirtschaft?

Sara Stalder (48), Geschäftsleiterin der Stiftung Konsumentenschutz, selbst besorgt regelmässig auf diesem Weg Hygieneprodukte wie Shampoo: «Wenn sich die Politik nicht bewegt, bewegt sich halt der Konsument!»

Ein schlechtes Gewissen hat sie deshalb nicht: «Grosskonzerne schöpfen in der Schweiz ihre Gewinne ab.» Die enormen Preis­unterschiede für Importprodukte schadeten den Schweizer Konsumenten und dem Gewerbe. Stalder: «Damit wird nur Volksvermögen vernichtet – eine bodenlose Frechheit.»

Der Blick in die Supermarkt-Regale zeigt, wo die Preisunterschiede besonders stossend sind. Ein Glace von Mövenpick gibt es in der Schweiz für Fr. 10.95, in Deutschland ist der Becher für 2,22 Euro zu haben. Für ein Shampoo von Nivea zahlt der Schweizer Konsument mindestens Fr. 3.45, in Deutschland kostet das gleiche Produkt 1,69 Euro.

Abzocke – oder gerechtfertigte Unterschiede? Für Thomas Minder (54), Schaffhauser Ständerat und Vater der Abzockerinitiative, ist klar: «Wegen ein paar Rappen Ersparnis im Ausland einzukaufen, ist absolut unpatriotisch.»

Gerade in schwierigen Zeiten müssten die Schweizer zusammenhalten und die heimische Wirtschaft stützen. Minder appelliert an die Schweizer Konsumenten: «Schaut über euren eigenen Tellerrand hinaus, seid solidarisch und ehrt einheimisches Schaffen!»

Auch die Baselbieter Grünen-Nationalrätin Maya Graf (52) hält nichts vom Einkauf jenseits der Grenze. «Ich kaufe regionale Produkte!» Wenn man wisse, dass Fleisch und Eier in der EU in Massentierhaltung produziert werden, könne man nicht ohne schlechtes Gewissen im Ausland einkaufen. Ausserdem, so Graf: «Einkaufstourismus ist total kurzfristig gedacht.» Irgendwann sei dadurch auch der eigene Arbeitsplatz bedroht. Tatsächlich sind bereits jetzt Hunderte Stellen in der Schweiz in Gefahr.

Wegen der Deflation lancierte Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (62, FDP) bereits eine Diskussion über Lohnsenkungen. Und seine Bundesrats-Kollegin Eveline Widmer-Schlumpf (58, BDP) ruft zur Unterstützung der Schweizer Wirtschaft auf: «Unser Gewerbe ist darauf angewiesen, dass die Leute ihr Geld hier ausgeben.» Hohe Preise zu beklagen helfe nicht. «Schliesslich haben wir auch Schweizer Löhne.»

Die Einkaufstouristen in Weil am Rhein sehen das ganz anders. «Solange wir für das genau gleiche Produkt mehr als das Doppelte bezahlen müssen, kaufe ich weiterhin in Deutschland ein – ohne schlechtes Gewissen», sagt Esther Brügger (60), die im Rheincenter einen bis zum Rand gefüllten Einkaufswagen zum Ausgang schiebt.

Auch LDP-Grossrat André Auderset (55) war letzte Woche unter den Einkaufstouristen. Er habe im Marktkauf in Weil am Rhein ein «alkoholfreies Weizenbier einer Sorte gekauft, die in der Schweiz nicht angeboten wird», sagt er zu SonntagsBlick. Er versuche, in der Schweiz einzukaufen und das lokale Gewerbe zu unterstützen: «Nach Deutschland gehe ich hauptsächlich für Produkte, die es in der Schweiz nicht gibt.»

Es könne aber auch vorkommen, dass er zu später Stunde noch etwas benötige. «In Deutschland kann ich an sechs Tagen pro Woche bis 22 Uhr einkaufen.» Auch in Basel brauche es längere Öffnungszeiten, wenn die Geschäfte dort mit Deutschland konkurrieren wollen.

Das sieht auch Bundesrat Schneider-Ammann so. «Wir wollen in der Schweiz möglichst viele  Jobs erhalten, die Wertschöpfung hier behalten.» Dazu könne jeder  mit seinem Einkauf beitragen. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen verbessern. «Zum Beispiel mit dem Gesetz zu den Ladenöffnungszeiten und einer Senkung der Kosten. Dann sinken auch die Preise in der Schweiz.»

SP sorgt sich ums Tessin

«Das Tessin ist aktuell gleich vierfach betroffen», sagt SP-Chef Christian Levrat (54): «Im Tourismus, bei Exportfirmen, durch Einkaufstourismus – und durch italienische Gewerbler, die über die Grenze kommen und nun noch billiger sind.» Levrat fordert, dass Wirtschaftsminister Schneider-Ammann «gesonderte Hilfsmassnahmen fürs Tessin aufgleist» – etwa die Erleichterung der Kurzarbeit.

«Das Tessin ist aktuell gleich vierfach betroffen», sagt SP-Chef Christian Levrat (54): «Im Tourismus, bei Exportfirmen, durch Einkaufstourismus – und durch italienische Gewerbler, die über die Grenze kommen und nun noch billiger sind.» Levrat fordert, dass Wirtschaftsminister Schneider-Ammann «gesonderte Hilfsmassnahmen fürs Tessin aufgleist» – etwa die Erleichterung der Kurzarbeit.

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