Migros als Medizinmann
Warum die Detailhändlerin an ihrem Gesundheitsbusiness festhält

Die Migros baut ab – doch an ihrer Gesundheitssparte hält sie fest. Warum? Einblicke in ein Geschäft jenseits von Hörnli und Handy-Spülmittel.
Publiziert: 21.07.2024 um 20:54 Uhr
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Aktualisiert: 05.09.2024 um 14:14 Uhr
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Marcel Speiser und Andreas Güntert
Handelszeitung

Man muss nicht Hippokrates heissen, um die aktuellen Vorgänge im Migros-Operationssaal klar zu deuten: Beim orangen Riesen findet ein maximalinvasiver Eingriff statt. Was dem neuen Migros-Chef Mario Irminger nicht mehr passend erscheint oder keinen Gewinn abwirft, wird amputiert. So geschehen mit den Fachmärkten SportX und Melectronics, so geplant mit Hotelplan und der Kosmetik-Industrietochter Mibelle.

Irmingers Credo dabei: hyperakute Abstossung. Was nicht zum Kerngeschäft gehört, wird verkauft oder geschlossen. Dass dem Migros-Organismus dabei viel Stress zugemutet wird: Das ist das eine. Das verwirrende andere: Neben Food, Non-Food und der ertragreichen Bank zählt Irminger auch das Thema Gesundheit zur neuen Migros-Vierfelderwirtschaft.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Das orange M und Gesundheit: Wie passt das zusammen?Schliesslich baut die Migros grosszügig ab – und verkauft unter anderem Hotelplan und Melectronics.
Foto: Keystone
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Wenig Synergien zwischen Supermarkt und Gesundheit

Warum dieses Gebiet zu einem gesunden Migros-Körper gehören soll, ist vielen Beobachtern schleierhaft. Apotheken und Hausarztpraxen, Onlinemedizinversand und Zahnärzte passen auf den ersten wie auch auf den zweiten Blick nicht zu Hörnli, Halbrahm und Handy-Spülmittel. Die historische Komponente fehlt: Das heute milliardenschwere Migros-Geschäftsfeld Gesundheit geht nicht auf Firmengründer Gottlieb Duttweiler zurück, sondern wurde vor allem von Irmingers Vorgänger Fabrice Zumbrunnen gepusht.

Marcel Napierala ist Chef der Migros-Gesundheitssparte Medbase.
Foto: Philippe Rossier

Dass Migros-Kundinnen und -Kunden nur selten Synergien zwischen der Gesundheitssparte und Food, Non-Food und Bank wahrnehmen, weiss auch der Chef der Migros-Gesundheitssparte Medbase (siehe Interview, hinter Bezahlschranke). Zwar laufen da und dort Bestrebungen für eine stärkere Verzahnung zwischen dem orangen M und der M-Welt der Gesundheit, aber: «Wir bei Medbase müssen uns in erster Linie auf unsere eigene Reise konzentrieren», sagt Marcel Napierala, «wenn wir das erfüllt haben, können wir weiterschauen.»

Gesundheitsmarkt wächst schneller als Detailhandel

Wer die Migros selber fragt, warum ihr Apotheken und Zahnärzte so lieb, teuer und strategisch wichtig sind, erfährt dies: «Alle Menschen in der Schweiz sollen einen schnellen und unkomplizierten Zugang zur medizinischen Grundversorgung haben.» Beides – Detailhandel wie auch Medizin – als eine Art Service public also? Das Argument klingt nobel, doch es scheint zu kurz zu greifen. Wäre in diesem Feld nicht eine gute Profitabilität oder mindestens eine positive Entwicklung zu erwarten, hielte Mario Irminger wohl kaum an dem Geschäftsfeld fest, das er von seinem Vorgänger geerbt hat. Bei diesen zwei Themen sehen Insider denn auch weitere Gründe dafür, weshalb sich das orange M so stark für Zahnärzte und Apotheken interessiert und engagiert.

Foto: Handelszeitung

Im klassischen Detailhandel stösst die Migros im Inland an Grenzen und muss froh sein, wenn sie Marktanteilsverluste aus der Vergangenheit aufholt. Kommt dazu, dass der Schweizer Retail nicht sehr dynamisch wächst: Zwischen 2017 und 2022 lag hier lediglich ein Plus von 9 Prozent drin. Ganz anders zeigt sich die Lage im Schweizer Gesundheitsbereich. Dieser legte in der gleichen Zeit um 17 Prozent zu. «Zumbrunnen wollte in diesen Wachstumsmarkt einsteigen», sagt ein Kenner der Materie, «weil er hier Zukunft sah.» Plus wichtig für die Migros: Im Detailhandel sind für den orangen Riesen aus Wettbewerbsgründen kaum mehr Arrondierungen möglich. Im sehr viel stärker fragmentierten Gesundheitsmarkt aber lässt sich noch viel mehr machen – weil die Migros hier ein Player unter vielen ist. Kommt hinzu: Ein grosser Teil des Migros-Gesundheitsgeschäfts lässt sich zentral steuern – ohne die nervenstrapazierende Abstimmung mit den zehn Genossenschaften.

Anständige Rendite mit eingebauter Blackbox

Beim Migros-Gesundheitsgeschäft, das Medbase-Chef Napierala per rein organischem Wachstum von heute 1,3 Milliarden Franken in den nächsten fünf Jahren auf «1,6 oder 1,7 Milliarden Franken Umsatz» wachsen sieht, muss natürlich auch die Rendite stimmen. Zum Resultat unter dem Strich gibt sich die Migros meist sehr zurückhaltend. In einer Präsentation vom Frühling 2023 wurde für das «Gesundheitsengagegment» aber ein Ebit vor Abschreibungen aus Akquisitionen ausgewiesen, der grösser als 4,5 Prozent ist.

Dieses «operative Kernergebnis», wie es die Migros nennt, lässt sich sehen. Dies auch unter der Prämisse, dass Irminger froh sein kann, wenn er das Supermarktkerngeschäft wieder auf einen Ebit von 2,5 Prozent bringt.

Foto: Handelszeitung

Das Problem beim Gesundheitswert, der über 4,5 Prozent liegen soll, sind dabei natürlich die Abschreibungen aus den Zukäufen. Medbase hat in der jüngeren Vergangenheit grosse Überahmen getätigt, etwa die Topwell-Apotheken (2018), Zahnarztzentrum.ch (2020) und das Schweizer Geschäft der Online-Apotheke zur Rose (2023). Bei letztem Deal ist die Übernahmesumme von 360 Millionen Franken bekannt, bei den anderen Zukäufen wurden keine Summen genannt. Frage also: Wie sehr drücken Goodwill und Markenwerte? Dazu will die Migros nichts sagen. Zum strategischen Geschäftsfeld der Gesundheit heisst es nur: «Wir kommunizieren keine Gewinnzahlen, können aber festhalten, dass wir in allen Geschäftsbereichen positiv sind.» Ein Beobachter fasst die ausgewiesene Rendite im Migros-Gesundheitsbereich zusammen: «Anständig, aber mit eingebauter Blackbox.»

Migros-Gesundheit: Es könnte mehr drinliegen

Tatsächlich müsste mehr drinliegen, wie ein auf Arztpraxen spezialisierter Treuhänder der «Handelszeitung» vorrechnet. So komme eine gut laufende Hausarztpraxis auf einen Betriebsgewinn vor Abschreibungen von 10 bis 15 Prozent. Bei einer Zahnarztpraxis können im freien Markt gar leicht über 30 Prozent möglich sein.

Davon scheint Medbase noch ein gutes Stück entfernt zu sein. Selbst der Wert von 10 Prozent Betriebsmarge, die im Spitalwesen als magische Marke für ein komfortables Überleben gilt, scheint bei Doktor Dutti noch etwas Arbeit zu bedeuten. Ausruhen kann sich Napierala jedenfalls noch nicht.

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