«Die Zinswende ist für die Schweiz ungefährlich»
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Oberster Bankier optimistisch:«Die Zinswende ist für die Schweiz ungefährlich»

Marcel Rohner über Bankenrisiken, Oligarchen und Schulden
«Die Schweizer Banken haben ihre Hausaufgaben gemacht»

Der Bankiertag gilt als Spitzentreffen der Branche. Im Vorfeld spricht der oberste Banker der Schweiz, Marcel Rohner, über Risiken, Oligarchen und die grossen Probleme mit der globalen Verschuldung.
Publiziert: 14.09.2022 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2022 um 08:51 Uhr
Christian Kolbe (Interview) und Philippe Rossier (Fotos)

Die neuen Büros der Bankiervereinigung in Zürich liegen im Herzen der Stadt – nicht beim Paradeplatz, sondern beim Hauptbahnhof. Während des Interviews mit Marcel Rohner (58), Präsident der Bankiervereinigung, fahren hinter den dicken Fenstern Züge ein und aus. Symbolisch für die Bedeutung der Vernetzung des obersten Bankers mit dem gesamten Finanzplatz.

Blick: Marcel Rohner, Sie waren unter anderem Chief Risk Officer bei der UBS – was sind heute die grössten Risiken für den Schweizer Finanzplatz?
Marcel Rohner:
Die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dazu kommen der Krieg in der Ukraine und die Folgen der Pandemie. Viele Leute sagen, so viele Krisen und Probleme miteinander, das hätten sie noch nie erlebt.

Der amerikanische Notenbankchef Jerome Powell warnt vor «Schmerzen» für die Wirtschaft. Zu Recht?
Das ist nicht ganz unberechtigt. Die Fähigkeit der grossen Notenbanken, nämlich vorauszuschauen, ist eingeschränkt. Ihre Inflationsprognosen wurden von der Realität überholt. Ein Weg, die Teuerung zu bekämpfen, ist das starke Anheben der Leitzinsen. Das hat zum Ziel, die Wirtschaft abzukühlen, die Nachfrage zu bremsen und so die Preise sinken zu lassen.

Marcel Rohner, Präsident der Bankiervereinigung.
Foto: Philippe Rossier
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Wie schmerzhaft wird es für die Schweiz?
Im Zentrum steht der Schutz der Vermögen. Vermögen sollten nun vorsichtig und breit diversifiziert angelegt werden. Auch im Kreditgeschäft, vor allem bei Hypotheken, ist Vorsicht geboten. Generell bläst auf dem Finanzplatz nun ein scharfer Gegenwind. Wenn die Aktienmärkte fallen und die Zinsen steigen, dann sinkt die Summe der verwalteten Vermögen – und damit das Einkommen der Banken. Die Banken sind aber gut aufgestellt für so eine schwierige Zeit.

Der nächste Zinsschritt der Nationalbank steht bevor. Sie wird den Leitzins wohl um 0,5 Prozentpunkte – und damit ins Positive – anheben?
Das weiss nur die SNB. Aber wenn die Zinsen rund um den Globus steigen, dann gibt es keinen Grund, das nicht auch in der Schweiz zu tun. Der Grund für die Negativzinsen in der Schweiz war die extreme Aufwertung des Frankens.

Jetzt steigen die Zinsen und die Schulden sind enorm. Eine hochexplosive Mischung?
Der weltweite Schuldenstand ist gigantisch. Das ist eine sehr besorgniserregende Situation. Einerseits ist die Inflation für Schuldner gut, denn aus 1000 Euro Schulden werden bei acht Prozent Inflation real innert Jahresfrist noch 920 Euro Schulden. Gerade Staaten mit hohen Schulden haben so den Anreiz, das Problem auf diese Art zu lösen. Zum Nachteil der Sparer und der Altersvorsorge. Die bessere Lösung wäre Wachstum, um dank mehr Steuereinnahmen die Schulden zurückzuzahlen.

Oberster Banker der Schweiz

Marcel Rohner (58) ist seit September 2021 Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) – und damit der oberste Banker der Schweiz. Der Aargauer verfügt über 30 Jahre Erfahrung in der Finanzbranche, kennt sich mit Krisen aus. So war er Konzernchef der Grossbank UBS, als diese in der Finanzkrise vom Staat gerettet werden musste. Rohner wohnt in Aarau in der Nähe des Bahnhofs und fährt regelmässig mit dem Zug zur Arbeit. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Marcel Rohner (58) ist seit September 2021 Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) – und damit der oberste Banker der Schweiz. Der Aargauer verfügt über 30 Jahre Erfahrung in der Finanzbranche, kennt sich mit Krisen aus. So war er Konzernchef der Grossbank UBS, als diese in der Finanzkrise vom Staat gerettet werden musste. Rohner wohnt in Aarau in der Nähe des Bahnhofs und fährt regelmässig mit dem Zug zur Arbeit. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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Nach mehr Wachstum sieht es momentan nicht aus.
Es droht gar eine Rezession. Trotzdem steht die Schweiz relativ gut da. Die Schulden sind tiefer als in anderen Ländern, auch dank der effektiven Schuldenbremse.

Wie gefährlich ist die Lage am Immobilienmarkt?
Den privaten Schulden auf dem Immobilienmarkt steht ein privates Vermögen gegenüber. Denn das Haus hat einen Wert, und dieser ist in den letzten Jahren noch stark gestiegen. Zudem ist der Grossteil dieser Schulden mit Festhypotheken abgesichert.

Die Abstimmung über die Verrechnungssteuer steht an. Droht eine Niederlage für den Finanzplatz?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Vorlage zur Verrechnungssteuer angenommen wird. Die Reform der Verrechnungssteuer bringt viele Vorteile für die Schweiz – nicht nur kurzfristige Steuerausfälle.

Ist es ein Fehler, dass Private auf ihren Zinserträgen weiterhin Verrechnungssteuer zahlen müssen?
Es geht nicht um privat oder nicht. Es geht um Obligationen. Im Ausland sind Obligationen nicht mit einer Verrechnungssteuer belastet. Wer die Verrechnungssteuer nicht bezahlen will, der kauft Obligationen, die im Ausland herausgegeben werden. Schaffen wir nun diese Steuer auf Obligationen auch in der Schweiz ab, sollte dieses Geschäft mit der Ausgabe von Obligationen in die Schweiz zurückkommen.

Wieso?
Weil ausländische Investoren in der Schweiz bislang keine Obligationen kaufen wollten. Das würde sich ändern. Zum Vorteil etwa von Bund, Kantonen oder Gemeinden, die zwingend Geld in der Schweiz aufnehmen müssen. Wenn der Markt auch dank ausländischen Investoren wächst, dann senkt das die Zinskosten – zum Vorteil aller, die Geld beschaffen müssen.

Man rechnet mit einem Geschäftsvolumen von bis zu 900 Milliarden, das zurückgeholt werden könnte. Realistisch?
Das ist eine konservative Schätzung. Viele ausländische Kunden wollen die Verrechnungssteuer nur deshalb nicht zahlen, weil diese kompliziert zum Abrechnen und Zurückfordern ist. Fällt das weg, kommt ein Teil des Geschäfts zurück in die Schweiz. Auch Schweizer Firmen borgen sich heute Geld im Ausland, die werden dann vermehrt Geld in der Schweiz aufnehmen. Zudem wird es künftig für ausländische Firmen attraktiver, Geld mit Schweizer Obligationen zu beschaffen. Das führt zu mehr Wertschöpfung – und damit zu mehr Steuereinnahmen.

150 bis 200 Milliarden Franken an russischen Vermögen liegen in der Schweiz, haben Sie kurz nach Ausbruch des Krieges gesagt. War es unklug, diese Zahl zu nennen?
Transparenz ist gerade in so einer Situation wichtig. Auch viele Banken haben sich dazu geäussert. Die Zahl von ungefähr 150 Milliarden Franken ist plausibel. Das geschätzte Vermögen bezieht sich dabei auf alle Kunden mit einem russischen Pass oder mit Domizil Russland.

Aber gerade die Oligarchen, die auf den Sanktionslisten stehen, haben viel Geld und auch Immobilien in der Schweiz.
Schon seit der Besetzung der Krim 2014 gilt Russland als Land mit erhöhtem Risiko. Schweizer Banken müssen sich in diesem Umfeld sehr vorsichtig verhalten. Es braucht mehr Abklärungen, woher die Gelder kommen, mit wem exponierte Personen wie zum Beispiel russische Politiker Geschäfte machen. Deshalb war es für den Finanzplatz auch nicht schwierig, die Sanktionen umzusetzen, weil man die Kunden kennt. Die Schweizer Banken haben ihre Hausaufgaben gemacht.

Auf Schweizer Bankkonten sollen zehn Milliarden Franken Oligarchen-Gelder liegen?
Man muss unterscheiden: Es gibt eine Liste mit Leuten, die direkt sanktioniert sind. Deren Vermögen sind gesperrt. Und es gibt gewisse pauschale Einschränkungen von Vermögen. Die betreffen Menschen, die in Russland wohnen oder russische Staatsangehörige sind und Gelder in der Schweiz haben. Ein gewichtiger Teil des Geschäfts von Schweizer Banken betrifft Russen, die in der EU leben und beispielsweise auch einen europäischen Pass haben. Die sind zwar russische Staatsbürger, aber sie fallen aufgrund dieser Doppelstaatsbürgerschaft nicht unter diese Einschränkungen.

Wenn es um Sanktionen geht, traut das Ausland den Schweizer Banken nicht so richtig über den Weg. Wieso wird der Finanzplatz dieses schlechte Image nicht endlich los?
Wir haben kein Imageproblem. Wir haben ein Erfolgsproblem. Wenn Sie Erfolg haben, dann gibt es immer Leute, die das nicht so toll finden. Es gibt viele unterschiedliche Stimmen. Ich empfinde die Situation nicht als allzu dramatisch. Vielmehr stellt sich die Frage, wie es andere Finanzplätze mit der Transparenz halten. Wie geht die EU damit um, wie die USA? Wie viele russische Vermögen liegen dort? Das könnten die Medien mal fragen.

Das ist doch die Aufgabe der Bankiervereinigung, zu zeigen, wie sauber der Finanzplatz ist.
Das machen wir doch. Wir sind transparent, wir kennen unsere Kunden und sagen, was die Regeln sind. Das könnte man von allen anderen Ländern auch erwarten. Das ist unsere Antwort darauf. Wir haben nichts zu verstecken. Leider halten sich Klischees und Vorurteile hartnäckig, das wird noch eine Weile dauern, bis sich diese in Luft auflösen.

Kann der Finanzplatz mit einer nachhaltigen Anlagepolitik das Klima retten?
Das können wir nicht alleine. Aber wir können mithelfen, dass wir uns auf diesem Weg vorwärtsbewegen. Nachhaltigkeit umfasst viel mehr als lediglich CO2-Reduktion. Es geht nun in erster Linie darum, mit den Kunden ihre Präferenzen abzuklären und aufzuzeigen, was man diesbezüglich mit Finanzprodukten tun kann.

Die Banken könnten doch auch von sich aus aktiv werden.
Das tun wir ja auch. Wir haben mittels unserer neuen Selbstregulierung verbindliche Regeln für die Anlageberatung aufgestellt. Zudem haben sich viele Banken und Verbände seit der letzten Klimakonferenz zur sogenannten Glasgow-Net-Zero-Alliance zusammengeschlossen. All diese Finanzinstitute verpflichten sich, ihre eigenen Anlagen darauf zu überprüfen, ob sie dazu beitragen, die Emissionen von CO2 abzusenken.

Ist das mehr als Augenwischerei, lässt sich das wirklich messen?
Das sind zwar nur Schätzungen, aber die werden immer besser. Wichtig ist, dass sich grosse Firmen in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft auf verbindliche Absenkungspfade einigen. So wie zum Beispiel Nestlé. Je mehr Unternehmen das tun, desto grösser ist die Auswahl für nachhaltiges Anlegen. Es geht um die Veränderung, die Reduktion und nicht allein um den Footprint. Wenn grosse Energiefresser wie zum Beispiel die Zementindustrie den Ausstoss um die Hälfte reduzieren, dann bewirkt das sehr viel.

Was macht die Schweiz?
Der Bund und der Finanzplatz haben die Swiss Climate Scores definiert. Das ist weltweit einmalig. Das Ziel ist, den Ausstoss von Klimagasen bis 2050 auf Null zu senken. Anhand von Kriterien wie Emissionen, Reduktionspfad oder einer glaubhaften Klimastrategie lassen sich Portfolios darauf überprüfen, ob sie im Einklang mit den Klimazielen sind. So lassen sich die Finanzströme in die richtige Richtung lenken.


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