Köpfungen, Raubkopien, Selbstmordscherze
Youtube, der schwarze Kanal

TV soll etwas kosten? Junge sind Gratisfilme gewohnt. Für die neue Generation ist Youtube, was für ihre Eltern das Fernsehen war.
Publiziert: 07.01.2018 um 21:07 Uhr
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Aktualisiert: 06.11.2021 um 17:08 Uhr
Tobias Marti

Der Mann mit der Froschmütze steht im Wald und albert herum. «Haben wir da gerade eine Leiche gefunden?», scherzt er mit 15 Millionen Fans im Netz. Die meisten seiner Zuschauer sind Jugendliche oder Kinder. Der Scherzkeks heisst Logan Paul, er ist ein US-Internet-Star und war nach Japan gereist, um einen Ort zu besuchen, der berüchtigt dafür ist, dass sich Menschen dort das Leben nehmen. Er fand das lustig.

Die Internet-Gemeinde war anderer Meinung. Es sei geschmacklos, einen Suizid auszubeuten, um Klicks zu generieren und damit Geld zu verdienen. Mehr als sechs Millionen Klicks hat ihm das Filmchen gebracht. Am Ende löschte er es. Youtube selber, wo die makabre Szene zu sehen war, schritt nicht ein.

Auf Youtube gibt es fast alles zu sehen

Was ist das für ein Kanal, der solche Entgleisungen duldet? Damit sogar Geld verdient? Auf Youtube gibt es fast alles zu sehen. Harmloses wie Katzenvideos, Musikclips, Schminktipps von Teenagern. Millionen schauen sich das an. Auch weniger Harmloses kursiert. Enthauptungsvideos vom IS zum Beispiel, oder Hilferufe aus Diktaturen.

Zur Empörung der Internet-Gemeinde: Youtube-Star Logan Paul filmte eine Leiche und machte pietätlose Scherze.
Foto: Chris Jancelewicz
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Ob Triviales oder Relevantes, Politik oder Kommerz – das Prinzip ist stets das gleiche: Die Plattform lebt vom Inhalt, der hochgeladen wird. Von Normalos, den Stars, den Medien. Aber auch von Raubkopierern. Manchmal wirkt der Kanal wie ein Hehlermarkt für illegale Filme oder Musik. Beruht die Gratiskultur auf geraubtem geistigem Eigentum?

«Youtube kann eine riesige Klaumaschine sein», bestätigt die amerikanische Medienanwältin Daliah Saper gegenüber SonntagsBlick. Ganz anders sieht es der Kölner Internetrechtler Christian Solmecke: Youtube verfüge über immer bessere Filter und Algorithmen, um illegale Inhalte zu finden und zu beseitigen. Zugleich sei die Plattform immer öfter Steigbügelhalter, indem Hinweise auf illegale Angebote dort publiziert werden.

Youtube unterhält ein Meldesystem über Verstösse

Und doch: «Juristisch ist alles korrekt, was Youtube macht», sagt Daliah Saper. Dies verdankt der Konzern dem Safe-Harbor-Prinzip, dem Gesetz des sicheren Hafens. Man sei nur eine Technologieplattform und schulde niemandem etwas, denn die Urheberrechtsverletzungen würden ja von den Nutzern begangen. Ein Münchner Gericht hat dies jüngst bestätigt. Jedem sei klar, dass Youtube keine eigenen Inhalte anbiete und darum für diese nicht verantwortlich sei, so die Richter.

Youtube unterhält ein Meldesystem über Verstösse aller Art. «Ein sehr zeitaufwendiges Verfahren, das kleine Unternehmen oder Private vor Probleme stellt», meint Medienanwalt Solmecke. Es sei für Betroffene kaum erkennbar, wer Ansprechpartner sei und die Reaktionszeiten seien lang.
Youtube ist eine riesige Geldmaschine. Google, der Mutterkonzern, verdient daran mit, aber auch Nutzer wie Logan Paul, die ihre Inhalte über Werbe-Einschaltungen zu Geld machen. Auf Anfrage will Google nicht über Zahlen sprechen. Der Riese aus dem Silicon Valley, der stets Transparenz predigt, ist selber ein grosser Geheimniskrämer.

Eine Zahl aber rückt das Unternehmen gern heraus: zwei Milliarden. So viele US-Dollar habe Youtube bis Mitte 2016 an Rechteinhaber ausbezahlt. Mehrere Millionen flossen auch in die Schweiz. Etwa zur Verwertungsgesellschaft Suisa, die 2013 einen Vertrag mit der Videoplattform abgeschlossen hat. 2016 erhielten die von Suisa vertretenen Komponisten, Textautoren und Musikverleger 3,3 Millionen Franken von Youtube und anderen Internet-Streamingdiensten, wie Sprecher Giorgio Tebaldi sagt. Schweizer Künstler erhalten pro betrachtetem Youtube-Video 0,08 Rappen – das grosse Geld wird also anderswo verdient.

Für Kinder ist der Kanal heute, was der Fernseher für ihre Eltern war

Aller Kritik zum Trotz: Youtube steht für das Fernsehen der Zukunft. Laut einer Studie der Uni Zürich schaut jeder Schweizer Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren Videos im Internet. Für Kinder ist der Kanal heute, was der Fernseher für ihre Eltern war. Stars wie Logan Paul erkennt der Nachwuchs auf der Strasse, die Sprecher der «Tagesschau» eher nicht. Übrigens hat sich Paul diese Woche entschuldigt. Er sei an die grosse Reichweite seiner Youtube-Videos erinnert worden. Mit viel Macht gehe auch viel Verantwortung einher, sagte der 22-Jährige. «Zum ersten Mal muss ich voller Reue sagen, dass ich mit dieser Macht falsch umgegangen bin.»

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