Juso greift die Reichen an
Kommt jetzt die grosse Umverteilung?

Die Pandemie macht Arme ärmer und Reiche reicher. Jetzt nehmen die Jungsozialisten die Vermögenden ins Visier – mit radikalen Forderungen.
Publiziert: 04.07.2021 um 17:11 Uhr
Die Pandemie verstärkt die Ungleichheit.
Foto: PIUS KOLLER
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Danny Schlumpf

Im September 2020 baute sich Juso-Präsidentin Ronja Jansen (26) vor der Villa von Magdalena Martullo-Blocher (51) auf und streckte der Milliardärin ein Transparent entgegen: «Bald ist Zahltag, Magdalena!» Es war keine leere Drohung: Im September 2021 kommt die 99-Prozent-Initiative der Jungsozialisten vors Volk.

«Wir fordern eine gerechte Besteuerung des reichsten Prozents der Bevölkerung», sagt Jansen. Konkret: «Kapitaleinkommen und Börsengewinne ab 100'000 Franken sollen 1,5-mal höher besteuert werden als Löhne.» Die Pandemie habe die Dringlichkeit dieses Anliegens verstärkt. In der Tat: Zwar legt das Virus viele Firmen flach und kostet unzählige Angestellte den Job – Besitzer von Aktien und Immobilien aber macht die Pandemie reicher.

Niemand soll mehr als 100 Millionen Franken haben

Und nun lanciert die Juso eine weitere Initiative, die es in sich hat: In der Schweiz soll niemand mehr als 100 Millionen Franken Privatvermögen besitzen, die zusätzlichen Einnahmen sollen dem Kampf gegen den Klimawandel zugute kommen. Für den ist laut Jansen das profitorientierte Wirtschaftssystem im Interesse der Vermögenden verantwortlich: «Klimawandel und Corona sind die grossen Krisen der Gegenwart – und in beiden Fällen profitieren die Reichen.»

Die Ungleichheit nehme tatsächlich kontinuierlich zu, sagt Katja Rost (45), Soziologie-Professorin an der Uni Zürich. Zwar seien die Einkommensunterschiede in der Schweiz relativ moderat. «Doch punkto Vermögensungleichheit gehören wir international zu den Spitzenreitern.» Zwar sei Ungleichheit nichts Neues, sagt Rost. «Aber wir bewegen uns wieder auf Dimensionen wie im 19. Jahrhundert zu.»

Damals machte die industrielle Revolution die Wirtschaftsbosse reich und schuf eine Arbeiterklasse, deren Angehörige oft kaum genug zum Leben hatten – die Arbeiter gingen auf die Barrikaden. «Die aktuellen Vorstösse sind eine vergleichbare Reaktion», sagt Rost. «Sie sind eine moderne Form des Klassenkampfs.»

Nur logisch, dass die Juso an diesem Kampf teilnehmen will: Die Jungen haben von der wachsenden Ungleichheit am meisten zu befürchten.

Die Linken haben es auf die Reichen abgesehen

David Trachsel (26), Präsident der Jungen SVP, widerspricht: «Das ist Blödsinn. Die Marktwirtschaft macht zwar Reiche reicher. Aber sie macht auch Arme reicher. Der Sozialismus hingegen macht alle arm.» Von modernem Klassenkampf könne ohnehin keine Rede sein: «Das sind uralte sozialistische Ideen, die schon immer nur Leid und Armut zur Folge hatten.»

SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (35) betont, es gebe gar keinen Klassenkampf der Linken: «Tatsächlich wehren wir uns seit Jahren gegen einen Klassenkampf von oben, der das Kapital entlastet und die Arbeit belastet. Wir wollen diesen Kampf beenden!»

Nicht zuletzt mit dem Referendum gegen die Abschaffung der Stempelsteuer, bei dem es um die Streichung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital, der Steuer bei Kauf und Verkauf von Wertpapieren sowie der Abgaben auf Versicherungsprämien geht. SP, Grüne und Gewerkschaften wehren sich dagegen. «Die totale Abschaffung der Stempelsteuer bedeutet einen Verlust von über zwei Milliarden Franken jährlich», sagt Wermuth. «Profitieren würden einige wenige Konzerne – ausgerechnet diejenigen, die in der Pandemie Gewinne machen.»

Höhere Belastung des Kapitals, Vermögensobergrenze, keine Geschenke an die Unternehmen: Die Linken haben es auf die Reichen abgesehen. «Nicht ganz grundlos», sagt Historiker Jakob Tanner (70), Verfasser des Standardwerks «Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert».

Lohnexplosionen sind nicht zu rechtfertigen

In den letzten Jahren seien Spitzenlöhne und grosse Vermögen durch die Decke gegangen. Tanner: «Diese Explosion ist nicht mehr zu rechtfertigen. Die Reichen arbeiten ja nicht plötzlich länger und sind auch nicht produktiver geworden.» Sie profitierten auch in der Corona-Krise von steigenden Aktien- und Immobilienwerten: «Seit den 1980er-Jahren nahm die steuerliche Belastung von Unternehmen und Kapitalerträgen stark ab und die internationale Steuerhinterziehung floriert», sagt Tanner. «Die 99-Prozent-Initiative ist deshalb ein logischer Schritt.» Ist er nicht zu radikal? Tanner winkt ab: «Es ist normal, Kapital höher zu besteuern als Arbeitseinkommen. Eine solidarische Steuerpolitik stärkt die Demokratie.»

Mathias Binswanger (58), Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, hält die Juso-Vorstösse für utopisch: «Linke sind meist Kuchenverteiler. Sie interessieren sich wenig dafür, wie der Kuchen hergestellt wird.» Entscheidend aber sei: «Die Verteilung beeinflusst die Kuchengrösse. Denn sie setzt Anreize, sich anders zu verhalten.» Die Folge seien etwa Firmen, die ins Ausland abwandern. Binswanger: «So bleibt der Kuchen eben nicht gleich gross.»

Also doch keine grosse Umverteilung? «Solche Ideen haben in der Schweiz keine Chance», sagt David Trachsel. Ronja Jansen hingegen ist überzeugt: «In der Pandemie spüren viele die Ungleichheit am eigenen Leib.» Diesen Menschen sei klar: «Wir müssen etwas ändern!»

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