«Der Wintersport in der Schweiz muss stattfinden»
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J:«Der Wintersport in der Schweiz muss stattfinden»

Jungfrauregion eröffnet 500-Millionen-Bahn
«Der Wintersport in der Schweiz muss stattfinden»

Mitten in der Pandemie eröffnet Jungfraubahnen-Direktor Urs Kessler die neue V-Bahn. Kostenpunkt: Eine halbe Milliarde Franken. Doch Kessler bleibt trotz Pisten-Shutdown in den Nachbarländern cool.
Publiziert: 29.11.2020 um 17:06 Uhr
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Aktualisiert: 02.12.2020 um 11:43 Uhr
Am 5. Dezember eröffnet die Jungfrauregion die Skisaison mit der neuen V-Bahn. Kostenpunkt: eine halbe Milliarde Franken.
Foto: ADRIAN BRETSCHER
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Interview: Danny Schlumpf

Am 5. Dezember eröffnet die Jungfrauregion die Skisaison mit der neuen V-Bahn. Kostenpunkt: eine halbe Milliarde Franken – mitten in einer Pandemie. Das Timing hätte kaum schlechter sein können …
Urs Kessler: Wir sind vom absoluten Rekordjahr 2019 in die grösste Tourismuskrise der Geschichte geschlittert. Wir mussten den Schalter umlegen, Kosten sparen, Mit­arbeiter in Kurzarbeit schicken. Trotzdem sind wir jetzt bereit für die neue Wintersaison.

Das klingt optimistisch. Diese Woche aber haben Deutschland, Frankreich und Italien angekündigt: Über die Festtage bleiben die Pisten zu!
Das überrascht mich sehr. Gerade in diesen Ländern fuhr man den Betrieb ja unter anderem herunter, um die Weihnachtstage zu retten!

Die Nachbarländer fordern ein europaweites Skiverbot bis zum 10. Januar. Muss die Schweiz da nicht mitziehen?
Der Wintersport ist für die Berg­regionen zentral. Er ist aber auch für die Bevölkerung wichtig. Viele Schweizer haben genug von Corona – sie brauchen wieder eine Perspektive und etwas Abwechslung an der frischen Luft. Deshalb muss der Wintersport in der Schweiz mit den entsprechenden Schutzkonzepten stattfinden.

Laden Sie nun die Italiener mit einer Charmeoffensive in die Jungfrauregion ein?
Corona ist der falsche Zeitpunkt für eine solche Provokation. Die grösste Herausforderung in der Pandemie war die fehlende Planungs­sicherheit. Jetzt ist es wichtiger denn je, dass viele Schweizer Gäste in die Berge fahren können.

Allerdings kommen 70 Prozent Ihrer Gäste normalerweise aus Asien. Auch Ihr neues Gross­projekt ist auf sie ausgerichtet.
Wir ändern unsere Strategie nicht, nur weil es gerade Turbulenzen gibt. Reisen ist ein Grundbedürfnis. Deshalb werden wir auch künftig auf Gäste aus Asien setzen. Ohne sie wären unsere neuen Bahnen gar nicht möglich gewesen. So sichern wir auch Arbeitsplätze.

Was bieten die beiden Gondelbahnen?
Kernelement sind der Eiger Express und ein topmoderner Terminal in Grindelwald. Kein anderes Projekt im Alpenraum hat einen vergleichbaren Anschluss an den öffent­lichen Verkehr. Wir haben die Reisezeit auf das Jungfraujoch um 47 Minuten verkürzt.

Eine halbe Milliarde für 47 Minuten: Ist das nicht ein wenig überzogen?
Es ist ein einzigartiges Gesamtprojekt. Der neue Terminal verfügt über ein Parkhaus mit über 1000 Parkplätzen. Nach dem Skifahren können die Gäste im Coop, bei Lindt oder Victorinox einkaufen und sich in einer erstklassigen Lounge verpflegen – alles unter ­einem Dach.

Die Schweizer Winterdestinationen haben 2019 mehr als 400 Millionen Franken investiert. Nun eröffnen Sie die V-Bahn, deren Bau allein eine halbe Milliarde verschlungen hat. Ist dieser Wettlauf noch gesund?
Unsere neuen Bahnen sind ein Generationenprojekt. Natürlich ist das Seuchenjahr 2020 nicht dazu da, um an Gewinne zu denken, ­sondern um gesund und gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Aber die Investitionen werden Früchte tragen.

Die Wintersportorte haben eine grosse Offensive lanciert – unter dem Slogan: «Die Schweiz fährt Ski!» Das klang schon fast wie ein Befehl ... Das soll es nicht sein. Vor 40 Jahren sagte man noch: «Alles fährt Ski!» Daran haben wir angeknüpft. Wir wollen ein positives Ausrufezeichen setzen!
Kritische Stimmen wollen wissen, dass Sie sich gegen jegliche Regulierung wehren.
Das stimmt nicht. Wir haben bei den Bergbahnen sehr viele Schutzvorgaben umgesetzt. Unser unternehmerischer Freiraum wurde stark eingeschränkt.

Wie wollen Sie ein Fiasko wie im österreichischen Ischgl verhindern, wo sich bis zum Lockdown im März zahlreiche Touristen und Einheimische mit Corona infiziert haben?
Mit unseren neuen Bahnen haben wir viel mehr Kapazitäten. Und wir werden von Beginn an Kundenlenker einsetzen, die Warteschlangen verhindern oder zumindest lenken sollen. Wir müssen den Gästen ­Sicherheit vermitteln und ihnen zeigen, dass unser Schutzkonzept funktioniert.

Müssen die Schweizer diese Saison auf Après-Ski verzichten?
Die Schweizer waren bisher nicht die grossen Partytiger. Aber diese Saison gibt es Après-Ski tatsächlich nur im Sitzen.

Wie viele Gäste erwarten Sie?
Dank der neuen Bahnen und gesteigerten Kapazitäten erwarten wir etwa gleich viele Besucher wie in den Vorjahren. Wir rechnen mit ­einer Million Gäste-Eintritten.

In der Jungfrauregion sind 35 Pistenfahrzeuge auf 211 Kilometer Pisten unterwegs, jedes verbraucht pro Einsatz 200 Liter Diesel. Wintersport und Nachhaltigkeit – geht das zusammen?
Die Gäste wollen perfekte Pisten. Aber wir haben ein eigenes Wasserkraftwerk für unsere Bahnen und bauen umweltschonend. Soeben haben wir einen Preis für nachhaltige Entwicklung des Bergtourismus aus China erhalten!

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