Junge Migranten auf dem Arbeitsmarkt
Bei Ausbildung und Lohn gibts noch viel zu tun

Die berufliche Lage junger Migranten wird erkennbar besser. Doch bei ihrer Ausbildung und Entlöhnung gibt es in der Schweiz noch viel zu tun.
Publiziert: 08.01.2023 um 01:04 Uhr
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Aktualisiert: 08.01.2023 um 09:40 Uhr
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Sven ZauggRedaktor SonntagsBlick

Nach den Silvesterkrawallen in Berlin ist auch hierzulande eine Debatte um die Migrationspolitik entbrannt. Doch die Ausschreitungen in der deutschen Hauptstadt lassen sich nicht einfach auf die Schweiz übertragen.

Im Ausland kennzeichnen die vorwiegend jungen Täter vor allem ihre Wut auf den Staat, Arbeitslosigkeit und Sozialisationsprobleme. In der Schweiz jedoch geht es – ausser bei Scharmützeln unter Alkohol- und Drogeneinfluss – vergleichsweise ruhig zu. Von einer «verlorenen Jugend», einer «gescheiterten Integration» oder «abgehängten Migranten» kann hier kaum die Rede sein.

Obwohl nicht alle Bemühungen des Staates fruchten und die Integration bisweilen dauert, sei man von Verhältnissen wie in den grossen europäischen Metropolen weit entfernt, betont Denise Efionayi-Mäder, Migrationsforscherin von der Universität Neuenburg: «Die sozioökonomischen Voraussetzungen sind hierzulande ungleich besser.»

Nach den Silvester-Krawallen in Berlin ist auch hierzulande eine Debatte um die Migrationspolitik entbrannt. Doch die Ausschreitungen in der deutschen Hauptstadt lassen sich nicht einfach auf die Schweiz übertragen.
Foto: SZ Photo
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12 Prozent weder im Studium noch in der Lehre

Konkret seien die öffentlichen Schulen überall gleich gut, ob in reichen oder armen Quartieren, Bildungsgelder vorhanden, Sprachkurse oder Nachhilfe institutionalisiert. Zudem biete das duale Bildungssystem die Möglichkeit aufzusteigen. Laut Efionayi kommt hinzu: Mit der Revision des Asylgesetzes wurden die Verfahren beschleunigt. Flüchtlinge verweilen kürzer im Stand-by-Modus – der Wartefrust ist geringer.

Doch zwei Zahlen lassen aufhorchen: 2021 waren knapp 12 Prozent der 18- bis 24-Jährigen mit Migrationshintergrund der ersten Generation weder im Studium noch in einer Lehre. Seit nunmehr zehn Jahren hat sich an diesem Wert nichts geändert. Bei der heimischen Jugend trifft dies nur auf gut zwei Prozent zu.

Und: Bei vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen im gleichen Alter liegt die Arbeitslosenquote fünf Jahre nach der Einreise noch immer bei über 40 Prozent. Damit darf sich die Schweiz nicht zufriedengeben, meint Migrationsforscherin Efionayi. Mit Blick auf die letzten Jahre stellt das Staatssekretariat für Migration (SEM) immerhin fest, dass sich die Ausbildungs- und Erwerbsintegration bei vorläufig aufgenommenen Jugendlichen und Flüchtlingen «schrittweise verbessert» hat.

SEM-Sprecher Samuel Wyss sagt: «Dies dürfte unter anderem auch auf die verschiedenen von Bund und Kantonen neu eingeführten Massnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit zurückzuführen sein.» Die Strategie der überarbeiteten Integrationsagenda: Arbeit durch Bildung. Während Migranten früher möglichst schnell dem Arbeitsmarkt zugeführt wurden, steht heute Bildung und Spracherwerb im Vordergrund, «um den gestiegenen Anforderungen des Schweizer Arbeitsmarkts zu begegnen», erklärt Wyss.

Mangelnde Chancengleichheit

Allen Massnahmen zum Trotz – von Chancengleichheit zu sprechen, wäre vermessen, so Efionayi: «Insbesondere kantonale Unterschiede führen dazu, dass junge Migranten nicht die gleichen Chancen haben.» Wer beispielsweise im Kanton Jura landet, wo Stellen rar sind, muss sich länger gedulden.

Die Gewerkschaften sehen noch ein weiteres Problem: Unia-Jugendsekretär Julius Kopp kritisiert, dass Unternehmen Angestellte ohne Schweizer Pass oftmals schlechter bezahlen. Man sei noch weit entfernt vom Ideal gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gerechtem Zugang zu Bildung und Weiterbildung für alle. Als negative Faktoren kämen bei der Lohnbemessung die fehlende Anerkennung ausländischer Diplome und der prekäre Aufenthaltsstatus hinzu, so Kopp.

Vor allem Migranten der ersten Generation und Flüchtlinge im Alter zwischen 15 und 24 Jahren bekommen das zu spüren. Mehr als 60 Prozent arbeiten etwa als Plattenleger, Bodenleger, Heizungs- oder Sanitärinstallateure – und damit zu niedrigen Löhnen.

Billige Arbeitskräfte statt ordentlicher Ausbildung

Für viele junge Migranten beginnen die Probleme bereits vor dem Beginn der Lehre. Sie erhalten oft nicht die gewünschten Lehrstellen, weil sie bestimmten Herkunftsgruppen zugeordnet werden. Und: Die Schwierigkeiten hören mit dem Lehrbeginn nicht auf.

Dazu der Gewerkschafter Kopp: «Statt eine ordentliche Bildung zu erhalten, werden junge Migranten oft als billige Arbeitskräfte eingesetzt.» Dies habe dramatischen Folgen: Viele rasseln durch die Abschlussprüfung.

Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigen: Allein bei den Plattenlegern fielen 2021 über 25 Prozent der Lernenden durch. Eine Zahl, die stellvertretend für die Misere in handwerklichen Berufen mit einem überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil steht.

Die Gewerkschaften verlangen deshalb eine verschärfte Aufsicht: «Berufsbildungsämter müssen die Ausbildungsbetriebe vermehrt und systematischer kontrollieren», sagt Kopp. Doch fehle es nicht zuletzt am Willen und an den personellen Ressourcen. Tatsächlich schreiten Berufsbildungsämter nur selten ein und entziehen fehlbaren Firmen die Ausbildungsbewilligung.

Damit die Schweiz künftig nicht über «abgehängte Migranten» debattieren müsse, sollten die bestehenden Strukturen ausgebaut und verbessert werden, meint die Migrationsforscherin Efionayi. Und warnt: «Wenn Mitte-rechts aber gerade bei vorläufig Aufgenommenen immer wieder den Sparhammer ansetzen will, erreichen wir das Ziel einer fairen Integration nie.»

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