Jacob Wallenberg packt aus
So wenig verdient der einflussreichste Schwede

Der mächtige Industrieinvestor verrät sein Jahresgehalt und sagt, warum er Fan der EU ist und welches bisher sein schlechtestes Investment war.
Publiziert: 22.09.2023 um 14:58 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 09:47 Uhr
Carmen Schirm-Gasser und Stefan Barmettler
Handelszeitung

Jacob Wallenberg empfängt seine Gesprächspartnerin und seinen Gesprächspartner in der Universität Zürich. Er wurde vom Europa Institut für einen öffentlichen Vortrag eingeladen. Dafür, dass in aller Frühe sein Hinflug storniert worden ist, sieht er aufgeräumt und tiefenentspannt aus. Er habe halt am Flughafen schnell eine neue Flugverbindung suchen müssen und es Gott sei Dank noch rechtzeitig geschafft, sagt er achselzuckend.

Ist Ihr erster Gedanke am Morgen: Wie läuft es an den Börsen?
Jacob Wallenberg: Nein, ich denke an meine Verpflichtungen.

Tönt nach Mühsal, schon frühmorgens.
Meine Verpflichtung als Hauptaktionär ist, sicherzustellen, dass sich ein Unternehmen gut entwickelt.

Jacob Wallenberg und seine Familie kontrollieren 40 Prozent des gesamten schwedischen Börsenkapitals.
Foto: Joseph Khakshouri
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Noch vor dem ersten Espresso?
Daran denke ich jeden Tag, manchmal früher, manchmal später. Dazu passt ein kräftiger Espresso. Je besser sich die einzelnen Unternehmen entwickeln, desto mehr Dividenden erhalten die Stiftungen und desto mehr Grundlagenforschung können wir an den Universitäten unterstützen. Es freut mich, dass jedes Jahr 200 Millionen Franken von der Wallenberg-Stiftung in wissenschaftliche Projekte fliessen.

Das Geld stammt aus Ihren vielfältigen Beteiligungen, an ABB, Astrazeneca, Saab, Electrolux, Nasdaq, Husqvarna, Wärtsilä oder EQT sowie an anderen Unternehmungen und ausserdem an neun Tochtergesellschaften. Wie viel Dividende geht an Sie persönlich?
Der Vertreter der zweiten Generation verdiente viel Geld, hatte aber keine Kinder. So gaben Knut und seine Frau Alice 1917 das gesamte Vermögen in die Stiftung. An die Familie ging nichts. Die Stiftung ist der Hauptaktionär bei allen Firmen, nicht die Familie. Die Wallenbergs als Familie erhalten nichts, ausser sie halten persönlich Aktien, die sie mal gekauft haben.

Die Schweden sind weniger diskret als die Schweizer: Wie viel verdienen Sie persönlich?
Durch meine Tätigkeit als Verwaltungsrat etwa 2,2 Millionen Euro im Jahr. Zudem kriege ich Dividenden aus jenen Aktien, in die ich privat investiert oder von meinem Vater geerbt habe.

Sie sind auch an Investor Holding beteiligt. Wie viel ist Ihre Beteiligung wert?
Aktuell ungefähr 20 Millionen Euro. Ich bin vermögend, zumindest nach schwedischen Standards. Aber ich bin kein sehr reicher Mensch, wenn man mit europäischen oder amerikanischen Standards vergleicht.

Sie sind der Chef von vielen CEOs. Was halten Sie von Bonuszahlungen fürs Management?
Bonuszahlungen sind sehr wichtig, aber sie müssen leistungsbasiert sein.

Gibt es einen Höchstbetrag für Managerinnen- und Managersaläre, den Sie als unanständig empfinden?
Das ist je nach Firma und Branche unterschiedlich, ebenso von Land zu Land. Die Entlöhnung in den USA kann man nicht mit jener in der Schweiz vergleichen.

Schweden galt lange Zeit als Steuerhölle für Reiche – und heute?
Historisch gesehen hatten wir eine sehr hohe Steuerlast. Ursprünglich lag sie mal bei 100 Prozent für Vermögende. Als Konsequenz zogen viele Unternehmerinnen und Unternehmer in die Schweiz oder nach Grossbritannien. Astrid Lindgren, die Autorin von Pippi Langstrumpf, eine Sozialistin, schrieb in den 70er-Jahren einen offenen Brief an die Regierung und monierte, dass dieses System inakzeptabel sei. Daraufhin wurde das Steuersystem verändert, ebenso das Pensionskassensystem.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Wie hoch sind die Steuern heute?
Die Einkommensteuer in Schweden liegt aktuell bei 55 Prozent. Es gibt allerdings keine Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer.

Schwedens Wirtschaft schwächelt, die Inflation ist hoch, die Arbeitslosigkeit liegt über 7 Prozent.
Es ist schwieriger geworden. Ausgeglichen wird die Schwäche nur dadurch, dass wir viele grosse, erfolgreiche multinationale Unternehmen im Land haben. Ericsson ist in 180 Ländern weltweit tätig und daher nicht so stark abhängig von Schweden.

Die Beteiligungsgesellschaft Investor, die 60 Milliarden Euro verwaltet, erzielte in den vergangenen Jahren eine tolle Performance: 51 Prozent in drei Jahren, 105 Prozent in fünf Jahren. Das Erfolgsgeheimnis?
Die Ownership-Philosophie funktioniert, ebenso unser Leitprinzip, als Hauptaktionär langfristig orientiert zu sein. Viele unserer Unternehmen, die wir halten, sind über hundert Jahre alt, aber gleichzeitig sehr modern, engagiert in den Bereichen AI, Digitalisierung, Sustainability – und es sind Early Adopters.

Also kaufen und dann halten, halten, halten?
Wenn wir uns in ein Unternehmen einkaufen, halten wir dieses hoffentlich für hundert Jahre. Was nicht heisst, dass wir nichts verkaufen, wenn es für uns Sinn macht.

Das tönt nicht gerade nach aktivem Portfoliomanagement.
Im Unterschied zu Private-Equity-Firmen kaufen wir uns nicht bei einem Unternehmen ein, um es wieder zu verkaufen, sondern um es zu entwickeln. Wenn es für eine Firma in einer anderen Umgebung besser ist, sind wir aber durchaus offen. Siehe ABB: Asea aus Schweden, bei der wir Hauptaktionär waren, und Brown Boveri aus der Schweiz, waren zwei grossartige Unternehmen. Als beide 1988 fusionierten, mussten wir die Kontrolle abgeben, zudem wurde der Hauptsitz von Stockholm nach Zürich verlegt. Aber es war das Richtige für beide Unternehmen. Beim Pharmakonzern Astrazeneca war es ähnlich, Astra war schwedisch, Zeneca britisch, 1999 schlossen sich die beiden zusammen. Oder wir verkauften den Lastwagen- und Bushersteller Scania 2008 an Volkswagen.

Ihre vornehmste Aufgabe als Hauptaktionär? Entwickeln?
Ich treibe das Management an. (lacht) Und vor allem frage ich nach, welche Themen oder Konzepte die Zukunft für die Unternehmen bedeuten.

Was waren Ihre Highlights als Unternehmer?
Ich bin extrem glücklich über die Entwicklung von ABB. Übrigens macht neben ABB auch Atlas Copco Freude. Die Profitmarge lag die letzten zwanzig Jahre regelmässig über 20 Prozent.

Ihre schlechteste Investition?
Die Autosparte von Saab ging pleite. Saab kam nie auf das richtige Volumen bei den Verkäufen, die Kosten waren zu hoch. Man muss mehr als 200’000 Autos pro Jahr verkaufen, um die Gewinnzone zu erreichen. Das schaffte Saab ein einziges Jahr lang.

Dabei stimmte bei Saab die Qualität.
Absolut, aber man braucht eben ein gewisses Verkaufsvolumen.

Was fahren Sie heute?
Einen Saab, der nach fünfzig Jahren noch immer läuft, einen Volvo Hybrid und einen BMW Hybrid. Ich werde jetzt auf 100 Prozent elektrisch wechseln.

Saab ist heute ein Flugzeug- und Rüstungskonzern. Investor hält 30 Prozent, Wallenberg Investments 9 Prozent. Sie wurden dafür kritisiert.
Bis zum 24. Februar 2022, als die Russen in der Ukraine einmarschierten. Einige Fondsgesellschaften machten früher einen Bogen um die Beteiligungsgesellschaft Investor, weil sie Ankeraktionär von Saab war.

Sie haben dem Druck über alle Jahre widerstanden.
Mein Grossvater Marcus Wallenberg begann mit dem Aufbau 1936. In Schweden realisierte man damals, dass ein Krieg in der Luft lag. Und man merkte erstaunt, dass man keine eigene Verteidigung hatte, kein einziges Militärflugzeug. Jedes Land in Europa wachte auf und realisierte, wie wichtig Verteidigung ist.

Kamen die Investoren mit dem Ukraine-Krieg wieder zurück?
In der Tat. Jetzt, da in Europa ein Krieg im Gang ist, applaudieren uns alle. Selbst Pensionskassen investieren wieder in Saab. Eine Doppelmoral, die schwer zu verstehen ist. Wenn in Schweden nicht Saab Gewehre und Flugzeuge zur Verteidigung herstellt, wer dann?

Sie sind ein Verfechter der Nato?
Ja, schon vor dem Ukraine-Krieg. In Schweden gab es davor kaum eine Diskussion über einen Beitritt, das änderte sich schnell.

In Ihrem Vortrag an der Universität Zürich warnten Sie davor, dass Europa die Wettbewerbsfähigkeit verliert. Werden die anderen besser oder wird Europa schlechter?
In Europa wird viel weniger investiert. Als Konsequenz entwickelt sich Europa viel langsamer: Zwischen 2010 und 2020 ist das BIP in Europa um nicht einmal 1 Prozent pro Jahr gestiegen, in den USA waren es 2 Prozent, in China 7 Prozent. Und was mich stört: In Europa wird viel mehr mit Reglementierung gearbeitet, in den USA mit Anreizen.

Die EU als Bremser und Bürokratiemonster?
Ich bin ein grosser Fan der EU. Die Alternative wäre viel schlimmer. Die USA sind ein Land mit einem Riesenmarkt und eigener Währung, das macht vieles einfacher und bietet Grössenvorteile. Und: Die Unterstützung des Unternehmertums ist dort viel grösser. Vor allem müssen wir in Europa umdenken und die Produktivität steigern, die Innovation und die Einwanderung so steuern, dass sie unsere Bedürfnisse deckt. Und dann müssen wir 100 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter oder neu ausbilden, gerade im Hinblick auf AI oder Digitalisierung. Sonst verlieren wir den Anschluss.

Die Geopolitik verschiebt sich – eine Blockbildung zeichnet sich ab. Sie sitzen in der exklusiven Lobbyorganisation European Round Table for Industry. Was empfehlen Sie den EU-Politikern und -Politikerinnen?
Sie sollten einen offenen Dialog mit China und dem Rest der Welt führen. Es ist wichtig, dass die EU daran arbeitet, eine eigene Haltung gegenüber China zu finden. Wir sollten nicht eine Kopie der USA sein. Im Gegensatz zu den USA bin ich der Meinung, dass man China nicht ausschliessen soll. Wir müssen einen Weg finden, um mit China zusammenzuarbeiten. Sind wir ehrlich: Wir sind abhängig von ihnen und sie von uns. Viele Teile, die wir für die Produktion benötigen, stammen aus China. Ein Grossteil ihrer Waren wird hier verkauft.

Die EU mit Ländern wie Ungarn oder Italien ist dysfunktional und meistens uneinig, richtig?
Man findet immer einzelne Länder und Politikerinnen, die sich anders benehmen. In den USA gibt es dasselbe Phänomen. Das Konstrukt wird nie perfekt sein, doch das ändert die grundsätzliche Richtung nicht.

Sie fordern weniger Regulierung, dafür mehr Anreize. Sie meinen: mehr Subventionen für die Firmen?
Ich glaube keine Sekunde an die Wirkung von Subventionen. Woran ich glaube ist: Wenn jemand mit Subventionen arbeitet, muss der andere das gleiche Spiel spielen, sonst verliert er.

Aber auch die CEOs Ihrer Unternehmen lieben Subventionen, vor allem jene aus den USA, beim Inflation Reduction Act (IRA) werden Europas Unternehmen schwach.
Ich schaue mir die Fakten an. Fakt ist, dass viele europäische Unternehmen in den USA Tochterfirmen bauen, und zwar nur aufgrund der Subventionen. Sonst würden diese gar nicht gebaut.

Eben: Ein Krieg um Firmen und Arbeitsplätze ist im Gang?
Ja, das ist es. Die USA brechen die Regeln des Welthandels unter dem WTO-Regime. Und es ist ihnen offensichtlich noch egal. Die Frage ist, wie wir Europäer und Europäerinnen darauf reagieren? Wir können sagen: Egal, dann werden halt 100’000 oder mehr Jobs wegfallen. Oder wir versuchen, darauf zu reagieren. Wir haben immerhin die finanziellen Mittel dazu.

Werden auf diese Weise nicht beide Seiten verlieren – und die Staatsschulden steigen in den Himmel?
Ich könnte den ganzen Tag den liberalen Ökonomen Adam Smith zitieren und sagen, das sei alles falsch. Und ich bin in der Tat nicht einverstanden mit dem, was die Amerikaner tun. Nur: Wir müssen mit der Realität umgehen.

Die Jagd nach Subventionen ist im Gang und setzt Fehlanreize.
Absolut. Es gibt CEOs, die laufen in das Büro eines US-Gouverneurs, der Hunderte Millionen Dollar offeriert, wenn sie oder er eine Fabrik in den USA baut. Donald Trump hat einst verkündet, er möchte Kohleminen eröffnen, damit die Amerikaner Jobs haben. Das ist gegen alles, woran wir glauben. Trotzdem hat er es in seiner ersten Präsidentschaft getan. Und würde es wohl wiederholen.

Bei diesem Wettbewerb der Blöcke: Ist es hilfreich, wenn Deutschland aus der Nuklearenergie aussteigt?
Nein, ich halte das für sehr unvorteilhaft.

Sie meinen: eine Dummheit?
Es ist offensichtlich, dass wir in Europa nicht genügend Energie für unsere wachsenden Bedürfnisse haben. Gleichzeitig wollen wir den CO2-Ausstoss senken und ausmerzen. Nur: Wir können für Hunderte Millionen Franken Windräder und Solaranlagen bauen, doch sie werden zur Deckung der Nachfrage nicht reichen. Wenn der Wind nicht bläst und die Sonne nicht scheint, produzieren sie nicht, deshalb benötigen wir Hydro- und Nuklearenergie. Es gibt ja mittlerweile Grüne-Parteien in Europa, die für Nuklear plädieren.

Sie haben noch sechs Atomreaktoren in Schweden und beziehen 30 Prozent des Stroms daraus, sechs haben Sie abgestellt.
Wir hatten das beste Energieversorgungssystem der Welt. Wir hatten Atomkraftwerke und Wasserkraft, und das zu sehr niedrigen Kosten. Dann wollten wir diese Energie durch Wind erzeugen und nahmen Reaktoren vom Netz. Als Konsequenz darf man aktuell im Süden von Schweden kein Einkaufszentrum mehr bauen oder eine Firma gründen, denn die lokalen Behörden können die nötige Elektrizitätsversorgung nicht garantieren.

Welchen Rat geben Sie Ihren drei Kindern?
Tue nur das, bei dem du mit dem Herz dabei bist, und stelle sicher, dass du dafür qualifiziert bist.

Steigen Ihre Kinder in Ihre Fussstapfen?
Das weiss ich nicht. Vielleicht ist es dafür noch zu früh.

Sie fordern: Um erfolgreich zu sein, muss man härter arbeiten. Immer noch gültig?
Ja, aber es geht nicht um Arbeitsstunden. Man muss fokussierter sein, das Herz darin haben.

Amerikaner und Asiatinnen arbeiten länger und sind innovativer.
Sie sind nicht besser als wir, weil sie länger arbeiten. Sondern weil sie hoch qualifiziert sind. Sie investieren mehr Geld in Forschung, Entwicklung und Ausbildung. Das macht den Unterschied.

Was machen Sie neben Ihrer Arbeit?
Ich bin gerne in der Natur. Ich liebe es, im Winter in Verbier Ski zu fahren. Und im Sommer segle ich mit meinem Boot in Schweden.

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