Als ich am Montagnachmittag kurz einen Blick auf das Börsentableau warf, traute ich meinen Augen nicht: Richemont (+9,94 %), Alcon (+8,92 %), Swiss Life (+7,70 %), Swatch (+7,60 %), Credit Suisse (+7,25 %).
Schon braut sich in meinem Hirn ein «Gopfried Stutz» zusammen. Arbeitstitel: «Ein Demokrat wird Präsident, und die Kurse schiessen durch die Decke.» Was für eine Überraschung, bar jeglicher Logik, ein völliger Widerspruch. Aktionäre haben doch lieber freiheitsliebende Republikaner als sozialistisch angehauchte Demokraten. Warum also dieses Kursfeuerwerk?
In Sekundenschnelle glaubte ich, den vermeintlichen Widerspruch aufklären zu können. Dies in der Gewissheit, dass der US-Senat in republikanischer Hand bleiben wird. Also doch eine gute Nachricht für Aktionäre: Sie können davon ausgehen, dass der Senat die von Joe Biden erwogene Erhöhung der Unternehmenssteuern zu vereiteln weiss. Keine Steuererhöhung; gut für Aktien.
Doch halt, schiesst es mir durch den Kopf, das war ja schon Ende voriger Woche klar. Weshalb also der Knalleffekt erst am Montag? Hat etwa Donald Trump resigniert oder ist sonst etwas Unverhofftes in Washington passiert?
Da ich mir Push-Nachrichten vom Leib beziehungsweise vom Handy halte, suche ich die Antwort auf Blick.ch. Und siehe da: «Deutsche melden Durchbruch – Impfstoff bietet 90-prozentigen Corona-Schutz.»
Uff, was für eine Bombe. Nicht die US-Wahlen sorgten für die Euphorie an den Börsen, sondern die Aussicht auf einen baldigen Impfstoff.
Dass Überraschungen für heftige Reaktionen an den Börsen sorgen, liegt in der Natur der Sache. Doch meistens folgt darauf schon wieder eine Korrektur, sobald sich die Köpfe der Börsenhändler abgekühlt haben. Gerade diesmal hätte ich auf eine Korrektur gewettet. Denn bei klarem Kopf musste man doch zum Schluss kommen, dass sich ja eigentlich so viel gar nicht ändert. Der Impfstoff kommt frühestens im Frühjahr auf den Markt. Bis alle geimpft werden können, wird es Herbst 2021. Das ist doch in etwa das, was uns die Experten prophezeiten.
Also nochmals: Warum schiessen die Aktienkurse durch die Decke, wenn uns eine Nachricht überrascht, die ja eigentlich gar nicht so überraschend ist? Und vor allem: Warum gibts keine nennenswerte Korrektur, nachdem die Marktteilnehmer zur Besinnung gekommen sind?
Ich sags Ihnen: Man weiss jetzt – oder glaubt wenigstens zu wissen –, wann die Pandemie bewältigt und die Wirtschaftsmotoren rund um die Welt auf Volltouren hochgefahren werden können. Es gibt eine Art Gewissheit oder zumindest eine Perspektive. Denn eines muss man wissen: Nichts hassen Börsianer so sehr wie Unsicherheit.
Oder stimmts etwa nicht, was ich sage? So soll mir doch einer das Gegenteil beweisen.
