Gesundheitsökonomen kritisieren nach Eklat in Einsiedeln das Schweizer Spitalwesen
Privatisierung auf dem Prüfstand

Unnötige Operationen, schlechte Betriebsführung: Gesundheitsökonomen gehen mit dem Schweizer Spitalsystem hart ins Gericht. Ist die fortschreitende Privatisierung Problem oder Lösung?
Publiziert: 12.08.2022 um 11:33 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2022 um 12:13 Uhr
Martin Schmidt

Die Privatisierung der Spitäler wird von der Linken in der Schweiz heftig kritisiert: Die Konzerne würden auf Kosten der Angestellten und Patienten Gewinne scheffeln, so der zentrale Vorwurf. Von 276 Spitälern in der Schweiz sind etwa die Hälfte in privaten Händen. Eines davon ist das Spital Einsiedeln im Kanton Schwyz, bei dem jüngst alle sieben Assistenzärzte aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen geschlossen gekündigt haben.

Wird die fortschreitende Privatisierung im Gesundheitswesen zum Problem? Ganz im Gegenteil, findet Stefan Felder (62), Gesundheitsökonom an der Universität Basel. «Viele öffentliche Spitäler in der Schweiz werden schlecht und ineffizient geführt. Die privaten Anbieter sehen, dass dort sehr viel zu holen ist, wenn sie es besser machen.» Felder sieht in der Privatisierung eine Lösung hin zu einem besseren Spitalsystem.

Dass bei den öffentlichen Spitälern der Steuerzahler die finanziellen Löcher stopft, sei ein schlechter Anreiz. «Bei uns kostet die stationäre Versorgung zweieinhalb Mal so viel wie in Deutschland und das für die gleiche medizinische Technik», so der Ökonom.

Am Spital Einsiedeln haben jüngst alle sieben Assistenzärzte aus Protest gekündigt.
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Zu viele Ärzte mit zu hohen Löhnen

Felder macht dafür vor allem drei Gründe aus: das gegenüber Deutschland deutlich höhere Lohnniveau der Ärzte und Pflegefachkräfte im Vergleich zum Durchschnittslohn im Land und der hohe Personalbestand. «In der Schweiz kümmern sich mehr als doppelt so viele Ärzte und Pflegefachkräfte um die gleiche Zahl Patienten.»

Als dritten Grund nennt Felder das Spitalnetz. «Wir haben in der kleinräumigen Schweiz viel zu viele Spitäler. Und gerade für kleine Spitäler ist es viel schwieriger, auf eine schwankende Nachfrage zu reagieren und kostendeckend betrieben zu werden.» Zu diesen kleinen Spitälern zählt auch das von der Kündigungswelle betroffene Spital Einsiedeln. Es verfügt über gerade einmal 80 Betten.

Grössere Spitäler seien nicht nur kosteneffizienter. Sie stünden oft auch für eine höhere Qualität, sagt Gesundheitsökonom Tobias Müller (36) von der Berner Fachhochschule. «Wird eine bestimmte Operation in einem Spital jährlich 30 Mal durchgeführt, kann die Qualität nicht mit einem Spital mit 1000 solchen Operationen mithalten.»

Weg von der Profitausrichtung

Für Müller liegt das Kernproblem des Spitalwesens aber andernorts: «Sowohl die privaten als auch die öffentlichen Spitäler sind profitorientiert. Das führt dazu, dass die Betriebe ihre Einnahmen mit unnötigen Behandlungen in die Höhe treiben.»

Untersuchungen würden zeigen, dass lukrative Operationen häufiger als nötig durchgeführt werden. Zudem hätten Privatspitäler einen grossen Anreiz, ihre Betten so gut wie möglich auszulasten. Privatpatienten wären hierbei besonders lukrativ. Gemäss Müller könne das Profitdenken auch dazu führen, dass die günstigeren Assistenzärztinnen und -ärzte mit Arbeit überladen werden. Nach dem Eklat in Einsiedeln berichteten mehrere Assistenzärzte von anderen Spitälern im Blick von genau diesem Phänomen.

Der Gesundheitsökonom schlägt deshalb einen Paradigmenwechsel vor: «Einerseits müssten die Spitäler dafür belohnt werden, die Kosten tief zu halten. Zudem sollten die Ärzte anhand der Qualität einer Behandlung und nicht nach deren Anzahl vergütet werden.»

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