Gas- und Strommangel im Winter
Sogar der Notfallplan kann ÖV und Wirtschaft lahmlegen

Kommt es im kommenden Winter zu einer Strommangellage, könnten grosse Bereiche der Wirtschaft und im Privaten stillstehen. Das Szenario scheint derzeit zum Glück unwahrscheinlich. Stellt Russland seine Gaslieferungen plötzlich ein, könnte es aber schnell gehen.
Publiziert: 21.07.2022 um 21:09 Uhr

Spitzt sich der erwartete Gas- und Strommangel im Winter so richtig zu, hätte das für die Schweizer Bevölkerung einschneidende Folgen. Dann wären durchaus auch Netzabschaltungen denkbar. Dabei könnten Teilgebiete täglich für mehrere Stunden vom Stromnetz genommen werden. Unter Umständen könnten gar das regionale ÖV-Netz vorübergehend lahmgelegt werden.

Taskforces beim Bund oder den SBB arbeiten derzeit auf Hochtouren an entsprechenden Notfallszenarien und Lösungen. Details sind noch keine bekannt. Sollte Russland jedoch weiterhin Gas nach Europa liefern, schätzen Experten die Wahrscheinlichkeit einer effektiven Mangellage als eher gering ein.

Ausnahmen für systemrelevante Angebote

Sollte das geopolitische Pulverfass aber tatsächlich hochgehen, hätte dies Einschränkungen zur Folge, welche die Bevölkerung und Wirtschaft wohl stärker als die Corona-Shutdowns während der Pandemie treffen würden. Bei einer Netzabschaltung würden nicht nur das Tram, die S-Bahn oder der regionale Schienenverkehr stillstehen. Dann wäre auch im Büro und daheim der Saft weg. Man könnte sich die Autofahrt ins Büro also getrost sparen – und auch Homeoffice wäre vorübergehend nicht möglich.

Die SBB bereitet sich mit einer Taskforce auf eine Strommangellage vor.
Foto: Keystone
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«Das hiesse Kerzenlicht und eine kalte Ölheizung. Auch der Verkehr würde nicht mehr funktionieren, die Lichtsignale fallen aus und Tunnels wären gesperrt. Der öffentliche Verkehr wäre lahmgelegt», warnte Lukas Küng (56) bereits Anfang Juli im Blick. Küng ist der Chef von Ostral, der Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen.

Der Notfallplan des Bundes sieht dabei vorübergehende Abschaltungen vor. Je nach Situation geschieht dies im 4-8-4- oder 4-4-4-Stundentakt: vier Stunden Strom, dann vier oder acht Stunden Abschaltung, dann wieder vier Stunden Strom. Die Unternehmen müssten sich an diese Zyklen anpassen. «Das hätte erhebliche Konsequenzen für Wirtschaft und Bevölkerung!», schreibt die Ostral in einem Papier.

Gemäss Ostral wären nur Spitäler und andere systemrelevante Einrichtungen ausgenommen.

Forderungen nach Sonderregelungen

Auf dem politischen Parkett werden bereits Sonderregelungen für einzelne Branchen wie die Chemie gefordert. «Haben wir bei Ems-Chemie plötzliche Stromunterbrüche, stellt das eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar», sagte Ems-Chemie-Chefin Magdalena Martullo-Blocher (52) letzte Woche zu Blick. Weitere Ausnahmen könnten für Lebensmittelläden oder Kühlhäuser gelten.

Aktuell erfolgen auch 37 Prozent des Güterverkehrs in der Schweiz auf der Schiene. Die Sicherstellung der Versorgung wäre nicht mehr zu 100 Prozent gewährleistet.

Viel wahrscheinlicher scheint es jedoch, dass der Bundesrat eine Mangellage bereits mit den ersten zwei Stufen des Notfallplans entschärfen könnte. In einer ersten setzt er auf Spar-Appelle: die Heizung ein Grad kälter einzustellen, weniger lang zu duschen und den Tumbler links liegen zu lassen. Das macht schon etwas aus – fünf Prozent Ersparnis beim Gas, bis zu zehn Prozent beim Strom.

Erst wenn die Einsparungen nicht reichen sollten, ist vorgesehen, verbindliche Vorgaben zu Temperaturen in öffentlichen Gebäuden oder Büros zu machen. Und unnötigen Stromfressern würde der Stecker gezogen – etwa Saunas, Skiliften oder Hallenbädern. (smt)

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