Fragwürdige Händler
Das Geschäft mit den Covid-Wundermitteln

Zehntausende infizieren sich täglich mit der Omikron-Virusvariante. Fragwürdige Händler propagieren gegen Corona das Bleichmittel Chlordioxid, neuerdings in Form von Pastillen, schreibt der «Beobachter».
Publiziert: 22.01.2022 um 16:14 Uhr
Chantal Hebeisen und Otto Hostettler («Beobachter»)

Tamara Sedioli war positiv auf Covid-19 getestet worden – sie teilte das per Whatsapp ihrem Umfeld mit. Die Symptome waren erträglich, das Mitgefühl war gross: Umgehend stellte eine Freundin eine kleine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit vor ihre Tür. Dazu erhielt sie übers Handy die Anweisung: Zweimal täglich zehn Tropfen, so werde sie rasch gesund.

Die Flasche enthielt Chlordioxidlösung, eine verdünnte ätzende Chemikalie. Tamara Sedioli nahm das Wässerchen, das unangenehm nach Chlor roch, ein paarmal ein, dazu zur Entgiftung Zeolith, zerriebenes Vulkangestein – und lag trotzdem eine gute Woche krank im Bett.

Solche Pseudomedikationen kursieren derzeit in sozialen Netzwerken. Sie stammen häufig aus Kreisen um den umtriebigen Andreas Kalcker. Vom St. Galler Rheintal aus propagiert Kalcker Chlordioxid unter dem Kürzel CDL (Chlordioxidlösung) oder CDS (Chlorine Dioxide Solution). Er behauptet, das Bleich- und Desinfektionsmittel wirke gegen alle erdenklichen Krankheiten, von Malaria, Demenz und Krebs bis hin zu Covid. Die Pandemie gab ihm aber erst richtig Schub, wie Mitschnitte von Videokonferenzen und unzählige Nachrichten im Messengerdienst Telegram zeigen.

Nicht zu empfehlen: Zeolith, Chlordioxid und die Chlordioxid-Pastillen David19. Die Mittel sollen angeblich die Symptome von Covid-19 lindern.
Foto: Getty Images

Chlordioxid-Pastillen verkaufen sich gut

Neuerdings wird Chlordioxid auch in Pastillenform verkauft. Etwa von der Firma Carlson GmbH in Zug. Sie bewirbt Lutschtabletten unter dem Namen David19 – nicht als Medikament, sondern als Mundhygiene-Produkt. Auf der Website heisst es trotzdem, dass die Pastillen diverse Atemwegserkrankungen heilen, etwa die unheilbare Lungenkrankheit COPD. Und: «Hilft gegen alle Bakterien und Viren im Rachenraum.» Illustriert ist der Slogan mit einer Coronavirus-Darstellung – dazu das Prädikat «entzündungshemmend».

«Der Verkauf läuft gut», sagt Vicente Garcia Lübke, Inhaber der Firma Carlson, der hauptberuflich E-Trottinetts verkauft. Eine Dose mit 60 Pastillen kostet 99 Franken. In der akuten Phase müsse man vier bis fünf Pastillen gleichzeitig im Mund auflösen und das alle zwei Stunden wiederholen, zwei Tage lang. Damit reicht eine Dose für gut einen Tag.

Die Beschaffungskosten für die Inhaltsstoffe Natriumchlorit, Zitronensäure, Kurkuma und den Pflanzenextrakt Artemisia annua betragen für eine Dose Pastillen 30 Rappen.

Wiederverkäufer Garcia Lübke stieg letzten Frühling ins Geschäft mit den Lutschtabletten ein. Ein anderer ist Armin Schmid, unter Corona-Skeptikern und Impfzweiflern kein Unbekannter. Schmid tritt als selbst ernannter Rechtsberater auf, verfasst Mustereinsprachen und liefert eine eigene Gesetzesinterpretation. «Masken, Quarantäne, Impfen, Abstand und alle Neuerfindungen sind gesetzlich ungültig», schreibt er auf seinem Telegram-Kanal.

Dort bietet er die Pastillen an: bisher unter dem Namen Vibasin19, neu unter QMix19. «Diese Pastillen enthalten Natriumchlorit und Zitronensäure, damit entsteht Chlordioxid, frisch auf der Zunge», sagt Schmid. Es sei schon lange bekannt, dass Chlordioxid «Viren, Bakterien et cetera» im Körper abbaue.

Machen die Händler illegale Heilsversprechen?

Garcia Lübke und Schmid bewegen sich rechtlich auf dünnem Eis. Gemäss Heilmittelgesetz sind Heilsversprechen ohne wissenschaftliche Belege und vor allem ohne Zulassung der Arzneibehörde Swissmedic verboten. «Ich mache keine Heilsversprechen», sagt Schmid. «Die Hinweise basieren auf Erfahrungen von Anwendern.» Der Vorteil der Pastillen: Anders als das flüssige Chlordioxid röchen sie nicht nach Chlor, «sondern eher nach Zitrone».

Aber auch der Begriff Mundhygiene, der rechtlich in den Bereich der Kosmetika fällt, ist problematisch. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sagt klar: «Bei Kosmetika sind Hinweise irgendwelcher Art auf eine krankheitsheilende, -lindernde oder -verhütende Wirkung verboten.»

Juristisch gesehen sind die Pastillen gemäss BLV auch kein Nahrungsergänzungsmittel. Zudem: Lebensmitteln darf man ohnehin keine vorbeugende oder heilende Wirkung gegen Krankheiten zuschreiben. Das BLV hat den Fall inzwischen dem zuständigen Kantonschemiker gemeldet. Dieser bestätigt, dass er Abklärungen aufgenommen hat.

Pastillen-Hersteller ist ein Bekannter von Andreas Kalcker

Entwickelt wurden die Lutschtabletten von Unternehmer Walter Schaub. Der Sitz seiner Firma Naturasana AG ist in Herisau AR. An der angegebenen Adresse findet sich nur ein Briefkasten, auf dem rund 100 weitere Firmennamen stehen. Schaub verkauft die Tabletten nicht selbst, sondern über Vertriebspartner. Das hat wohl Gründe. Wer nicht zugelassene Produkte nur an Vertriebspartner verkauft, selbst aber Endkunden kein Heilsversprechen macht, kann juristisch nicht belangt werden.

Aufgeschreckt durch die Recherchen, sprach Schaub ausführlich mit dem Beobachter über die Pastillen, Chlordioxid und seinen Bekannten Andreas Kalcker. Hinterher wollte er seine ihm vorgelegten Aussagen nicht bestätigen. Er verwies auf eine Stellungnahme – die bis Redaktionsschluss nicht eintraf. Seine beiden Vertriebspartner Garcia Lübke und Schmid erklärten, man sei mit der Zulassungsbehörde in Kontakt.

«Wir verfügen über mehrere wissenschaftliche Berichte über die Wirkung», sagt Schmid. Und Garcia Lübke verweist auf klinische Tests der Universität Kiew. Dem Beobachter vorlegen wollten sie ihre Erkenntnisse aber nicht.

Falsche Heilsversprechen sollten strafbar sein

Ob ein solches Produkt je eine Zulassung von Swissmedic erhält, ist sehr fraglich. Der Internist und Kardiologe Michel Romanens sagt: «Chlordioxid ist ein Desinfektionsmittel; es gibt keine wissenschaftlichen Beweise, dass es wirkt. Die Heilsversprechen dazu sind alle falsch.» Das Vergiftungspotenzial dieses Stoffs sei «relativ gross», sagt Romanens, der auch Leiter des Vereins Ethik und Medizin ist.

Die Behörden müssten härter durchgreifen. «Wenn jemand ein Heilsversprechen macht für eine Chemikalie, die kein Medikament ist, dann muss das die Behörden interessieren – egal, ob er das Produkt verkauft oder nicht», sagt Romanens weiter. Solche Anbieter gefährdeten die Gesundheit der Bevölkerung, und das sollte unter Strafe gestellt werden. «Wenn man Produkte verkauft, die gesundheitsschädigend sind, dann ist das keine alternative Heilmethode.»

Das hält Anhänger abenteuerlicher Covid-Mittel nicht davon ab, auf eigene Faust Tinkturen zu mixen und weiterzureichen. So auch bei Tamara Sedioli. Ihre Freundin sagte ihr später, sie habe die Substanz von einer weiteren Kollegin erhalten, die sie selbst zusammenmixe. Flüssiges Chlordioxid ist in verschiedenen Onlineshops erhältlich. Korrekt etikettiert, mit dem Warnhinweis, dass es sich um einen ätzenden Stoff handle.

Beobachter
Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch

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