Fehlender Sichtkontakt, kompliziertes Pistensystem, Reformstau – Fluglotsen unter Dauerstress
Sicherheit ist zweitrangig

Die Flugsicherung am Flughafen stösst an ihre Grenzen. Der Grund: Lärmpolitische Vorgaben führen zu Routenkreuzungen an Boden und Luft, die zu eingeschränkter Sicherheit und Kapazität führen – ein spezifisches Problem in Zürich.
Publiziert: 03.05.2018 um 18:05 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:42 Uhr
René Lüchinger

Der Flughafen in Kloten ZH ist am Limit. «In Spitzenzeiten haben wir keine Kapazität mehr, um den Verkehr zu bewältigen», sagt Stefan Tschudin, Operationen-Chef beim Flughafen Zürich (BLICK berichtete). Auch die Flugsicherung ist immer öfter am Anschlag. 

BLICK trifft zwei erfahrene Fluglotsen, die sowohl im Kontrollzentrum in Wangen bei Dübendorf als auch im Tower am Flughafen arbeiten: Johannes Conrad und Stefan Lischka. Zwei smarte Typen, die ihren Job mit Leidenschaft ausfüllen.

Eine Mitarbeiterin von Skyguide kontrolliert im Tower des Flughafens Zürich die Monitore und hat Blick auf das Flugfeld.
Foto: Keystone
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Dass es in den Spitzenzeiten keine Kapazitäten für zusätzlichen Verkehr mehr gibt, erfahren sie an vorderster Front. Schon vor fünf Jahren hat der Berufsverband der Flugverkehrsleiter Aerocontrol mittels Bericht bestätigt, dass die Flugsicherung am Flughafen Zürich an ihre Grenzen stösst.

Je nach Wetter ändert die Pistenbenutzung

Kloten ZH – Der Flughafen Zürich verfügt über drei Start- und Landepisten. Jede Piste hat zwei Nummern.
Es gibt ein Nordanflug-, ein Ostanflug- und ein Südanflugkonzept. Tagsüber wird hauptsächlich auf Piste 28 gestartet und auf Piste 14 gelandet. Teilweise wird auch Piste 16 für Starts und Landungen benutzt. Je nach Wetter sind aus Sicherheitsgründen ungeplante Konzeptwechsel notwendig. Pistenkreuzungen gehören zum Alltag. Wechselnde Wetterverhältnisse machen die Arbeit für die Fluglotsen zusätzlich komplex.

Kloten ZH – Der Flughafen Zürich verfügt über drei Start- und Landepisten. Jede Piste hat zwei Nummern.
Es gibt ein Nordanflug-, ein Ostanflug- und ein Südanflugkonzept. Tagsüber wird hauptsächlich auf Piste 28 gestartet und auf Piste 14 gelandet. Teilweise wird auch Piste 16 für Starts und Landungen benutzt. Je nach Wetter sind aus Sicherheitsgründen ungeplante Konzeptwechsel notwendig. Pistenkreuzungen gehören zum Alltag. Wechselnde Wetterverhältnisse machen die Arbeit für die Fluglotsen zusätzlich komplex.

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Der 42-seitige Bericht, erstellt von Skyguide, Flughafen, Swiss und der Schweizer Luftwaffe, listet knapp drei Dutzend Massnahmen auf, welche Sicherheit und Kapazität erhöhen und die Komplexität des Betriebs für die Fluglotsen reduzieren könnten. Dazu gehören etwa die Entflechtung von An- und Abflugrouten, Vermeidung von Pistenkreuzungen am Boden und schnellere Abrollwege von Flugzeugen. «Nur einige wenige der dort aufgelisteten Massnahmen sind umgesetzt», klagt Fluglotse Conrad, der auch im Vorstand von Aerocontrol sitzt.

Enormer Stresspegel für Lotsen

So bleibt die Situation prekär, der Stresspegel für die Flugverkehrsleiter hoch, auch wenn Lotse Lischka tapfer meint: «Wir sind dafür trainiert.» Das müssen sie wohl auch sein. Das Betriebskonzept des Flughafens ändert mehrmals täglich zwischen Süd-, Ost- und Nordkonzept – Lärmschutz, ein in Randzeiten gesperrter deutscher Luftraum sowie das Gewicht von vollgetankten Grossflugzeugen fordern dies ein.

Aerocontrol kritisiert, dass das heutige System nicht nach dem Grundsatz «safety first» betrieben werde. «Die aufgezeigten Risiken werden hauptsächlich durch lärmpolitische Kompromisse hervorgerufen und machen die Flugsicherung in Zürich zu einem hochkomplexen System mit zu geringer Fehlertoleranz.»

Die im Vergleich zu anderen europäischen Airports ungleich höhere Komplexität des Flughafens Zürich zeigt sich an zahlreichen Beispielen. So sind etwa kreuzende Pisten in Zürich während knapp drei Viertel der Betriebszeit ein kapazitätsminderndes Hindernis. Zum Vergleich: In Amsterdam und Hamburg ist dies nur während einem Prozent, in Kopenhagen während drei Prozent der Betriebszeit der Fall.

Fehlender Sichtkontakt beim Start

Noch ein Beispiel: Sich auf Piste 16 und Piste 28 kreuzende Flieger haben beim Start keinen Sichtkontakt – das Dok E steht dazwischen. Nur der Fluglotse hat den Überblick. Für eine Startfreigabe, etwa auf Startpiste 16, muss er 15 Faktoren im grünen Bereich haben, bevor er eine Starterlaubnis geben kann. All das kostet Zeit. Und mindert die Zahl der theoretisch möglichen Starts und Landungen.

So sucht der Flughafen innerhalb des bestehenden Konzepts den Betrieb zu optimieren. Dazu gehören Pistenverlängerungen, schnellere Abrollwege für Flieger während des Ostkonzepts, was neue bauliche Massnahmen erfordern würde. Oder auch sogenannte gekrümmte Nordanflüge, die den Überflug über deutsches Gebiet vermeiden und von den Piloten Präzisionsanflüge erfordern. All das ist noch weitgehend ein Wunschzettel. «Wachstum ist im bestehenden Konzept wohl nur ausserhalb des Peaks möglich», sagt Lotse Lischka. Dies würde aber bedeuten, dass sich die Spitzenzeiten verbreitern müssten.

Lesen Sie morgen im 3. Teil der Serie: Die Herausforderungen für die Piloten

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