Familie Sallmann betreibt in Thurgau eine der letzten Feinstrickereien der Schweiz
Wenn es kühler wird, brummt das Geschäft

In Zeiten von Globalisierung und Abwanderung von Unternehmen setzt die Thurgauer Familie Sallmann auf die traditionelle Masche. Und wenn es kühler wird, brummt das Geschäft. Ein Besuch bei den Unterhosen-Männern in einer der Feinstrickereien der Schweiz.
Publiziert: 11.11.2019 um 08:05 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2019 um 12:08 Uhr
Andreas Sallmann und sein Sohn Christian Sallmann führen ISA Bodywear in der sechsten und siebten Generation.
Foto: Thomas Meier
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Silvia Tschui

Die ganze Schweiz ist von neoliberalen Wirtschaftsführern besetzt und wird ins Ausland verscherbelt. Die ganze Schweiz? Nein, ein kleines Unternehmen leistet hartnäckigen Widerstand.

So, frei nach Asterix, könnte man ein – nicht ganz so kleines – Traditionsunternehmen beschreiben, das nun schon bald in der siebten Generation besteht. In Zeiten, in denen Möbel Pfister nach Österreich verkauft wird und Globus gerüchteweise nach Thailand, in denen die Credit Suisse grösstenteils schon Katar gehört, die Swiss längst via Lufthansa zu Deutschland und Toblerone dem US-Konzern Mondelez – in solchen Zeiten ist ISA Bodywear immer noch ein sicherer Schweizer Wert.

Qualität für drunter

ISA steht ursprünglich für Joseph Sallmann Amriswil – der Name des Vorfahren der Familie ist im Firmennamen enthalten. Mit gutem Grund: Seit 170 Jahren produzieren Sallmanns in Amriswil TG feinste Stoffe. Sie umhüllen den Schweizer Körper an seinen intimsten Stellen – in Form von Unterhosen, Pyjamas, BHs, Unterleibchen und Sportunterwäsche – und sind dabei bequem und qualitativ hochwertig.

In der Schweiz hat ISA Bodywear den zweitgrössten Marktanteil am Herrenwäsche-Geschäft: Leicht erfolgreicher ist nur die Marke Calida, die aber im Ausland produziert wird. Design und Machart der Sallmann-Feinwäsche steht somit für grundschweizerische Werte: Hier gestrickt, solide, sehr gut gemacht, ohne grossen Schnickschnack, dafür mit viel Tradition.

Am Anfang steht eine abenteuerliche Flucht

Dabei steht am Anfang der Geschichte des Unternehmens keine Tradition, sondern ein Revoluzzer: Besagter Joseph Sallmann, ein deutscher Strumpfwirker aus der Region um Dresden lehnt sich 1848 im Rahmen der sogenannten Märzrevolution gegen die Herrschaftshäuser auf. Als es richtig brenzlig wird, muss er fliehen: 1849 marschiert er in 28 Tagen durch den Böhmischen Wald zu seinem Cousin in die Schweiz. Es ist eine Tour de Force: Im Schlepptau hat er eine halbautomatisierte Handstrickmaschine – eine solche gibt es damals in der Schweiz noch nicht. Nach Amriswil, damals eine Schweizer Textilhochburg, bringt Sallmann die industrielle Feinstrickerei und eröffnet ein fünftes Textilunternehmen neben vier bereits ansässigen Firmen.

Generationen später ist nur ISA Bodywear übrig geblieben – die einzige Firma, die ihre Stoffe noch in der Schweiz strickt. Das ist wohl der Tatsache zu verdanken, dass auch sechs und sieben Generationen später der revolutionäre Zug noch zu wirken scheint – wenn auch eher in der Form von unternehmerischer Voraussicht und unkonventionellen Ideen als in der Rebellion gegen Obrigkeiten.

Unternehmer mit Verantwortung

Mitten in der Vorweihnachtsproduktion empfangen uns zwei Generationen der Familie Sallmann: der amtierende Patron Andreas Sallmann (63), sechste Generation, und sein Sohn Christian Sallmann (33). Revolutionär an der Firma ist einiges. Zum einen setzte Sallmann senior früher als andere auf nachhaltig produzierte Baumwolle und kurze Transportwege. «So wie heute geschäftet und die Umwelt ausgenutzt wird, kann es nicht weitergehen, das ist mir schon lange klar», sagt er beim Rundgang durch das Firmen- und Produktionsgelände. Seit rund zehn Jahren schon benutzt er etwa fair produzierte Max-Havelaar-Baumwolle. Vierzig Prozent des Stroms für die Produktion bezieht er ausserdem aus eigens angeschafften Solarzellen.

Ein Blick, sagt Sallmann junior, sei zudem stets auf die Materialforschung gerichtet – so gebe es Bestrebungen, die für Elastizität notwendigen Zusatzfasern wie Elasthan aus biologisch abbaubaren Fasern einzusetzen. «Das ist dann deine Aufgabe», meint Sallmann senior. Er übergibt die Firma nächstes Jahr an die siebte Generation: an Christian Sallmann, dessen Bruder Thomas Sallmann (31) und später eventuell auch an die jüngste Schwester Martina Sallmann (23).

Trotz Fachkräftemangel Arbeitsstellen in der Schweiz erhalten

Auch dass ISA Bodywear noch immer in der Schweiz strickt, ausrüstet und zuschneidet, ist eine kleine Revolution gegen die herrschenden Zustände. Sie geht auf eigene Kosten: «Ein paar Hunderttausend Franken», sagt Sallmann senior, könnte das Unternehmen jährlich sparen, verlagerte es die Stoffproduktion ins Ausland.

40 Arbeitsstellen, verteilt auf 60 Personen unterhält das Unternehmen in Amriswil. Hier, auf dem Fabrikgelände, stehen über 30 Strickmaschinen, die es in der Schweiz sonst nirgendwo mehr gibt. Oskar Kirchmann (52), Strickereimeister mit fünfzehnjähriger Erfahrung, bringt unzählige Spulen mit allerfeinstem Garn kreisförmig auf einer Höhe von zirka zwei Metern rund um die Strickmaschine an, sogenannte «Rundstühle». Aus ihnen laufen spinnwebenartig dünne Fäden in die Mitte, wo bis zu 600 Nadeln einer ausgeklügelten Maschine die Fäden zu einem elastischen, sehr feinmaschigen Gewebe in Schlauchform stricken. Unterleibchen für Männer oder Nachthemden für Frauen können die Näher in weiteren Schritten so ohne störende Naht herstellen.

An jedem einzelnen Faden ist die Spannung genau eingestellt. «Wenn Kirchmann hier aufhören würde, hätten wir ein ernsthaftes Problem», sagt Sallmann senior. Wie so manche Industrie leidet auch die Textilindustrie an Fachkräftemangel. Es ist eine Zwickmühle: «Ausbilden können wir aktuell auch niemanden, denn beschäftigen könnten wir einen Lehrling nachher nicht.» Und da es in der Schweiz keine weiteren Strickereibetriebe mehr gibt, könnte ein solcherart ausgebildeter Lehrling hierzulande auch nirgendwo hin. «Trotzdem», sagt Sallmann, «hat man als Unternehmer eine Verantwortung. Man muss Stellen schaffen, auch für die Jugend. Sonst haben wir bald Zustände wie in der Pariser Banlieue. Solange es irgendwie finanziell geht, produzieren wir hier.»

Zugeschnitten wird der Stoff ebenfalls in Amriswil – und zwar fast vollautomatisch. Eine Vakuumiermaschine drückt diverse Lagen des Stoffs in eine solide Schicht zusammen, bevor ein computergesteuertes Messer mit Sensoren den Schnittmustern nach schneidet. Weitere Schweizer beschäftigt ISA Bodywear via Partnerfirma E. Schellenberg Textildruck in Fehraltorf ZH. Dort werden die Stoffe veredelt, also gebleicht, mercerisiert und gefärbt.

Nähen lässt das Unternehmen hingegen in Portugal – «sonst müssten wir zumachen», sagt Sallmann senior. Überhaupt ist das Geschäft nicht einfach: «Der Durchschnittsmann in der Schweiz kauft nur drei bis fünf paar Unterhosen pro Jahr.» Und fürs Exportgeschäft nach Geiz-ist-Geil-Deutschland ist die Qualität der Ware fast zu hoch.

Das Geheimnis: Selbstironie und witzige Ideen

Um so wichtiger sind revolutionäre Marketingideen, vor denen Sallmann senior sprudelt – und die einen innovativen, humorvollen Geist verraten. Er sieht in den unmöglichsten Dingen eine Marktlücke: Als 2007 eine Studie bekannt wird, welche die schädliche Wirkung von Handystrahlen auf die Spermienqualität beweist, produziert er mit einem Spezialstoff eine Unterhose, welche die Kronjuwelen erwiesenermassen vor den Strahlen schützen – eine feine Sache. Leider hat die Mobilfunktechnik die Textiltechnik überholt: Die kurzwelligeren Strahlen heutzutage durchdringen die innovativsten Textilien, so dass Handystrahlen-Schutzunterhosen aktuell nicht mehr machbar sind. Dafür ist seit einigen Jahren die sogenannte Schwingerwäsche ein Renner – Unterwäsche mit den bekannten Edelweiss- oder Appenzeller Scherenschnittmotiven geht an Schwingfesten weg wie warme Weggli. Auch vor Selbstironie schreckt das Ostschweizer Unternehmen nicht zurück: «Ohni Hösli spielt dä Dialäkt kei Rolle meh» steht etwa auf einer eigens für die Olma und den Ostschweizer Markt entwickelten Unterhose.

Auch dass US-Präsidenten wie etwa Bill Clinton und George Bush oder Königshaus-Mitglieder wie Prinz Charles sowie fast sämtliche Bundesräte persönliche Antwortschreiben auf ISA-Bodywear-Geschenke verfasst haben, zeugt von Sallmann seniors Händchen für Marketing.

Die Junioren haben ebenfalls grosse Pläne: noch viel nachhaltiger zu produzieren, den Produktionsstandort Schweiz, insbesondere die Strickerei, zu erhalten, das Damensegment auszubauen, Solarpaneele auf dem Fabrikdach zu installieren und – nicht zuletzt – die Marke international zu etablieren.

Kurzfristig freuen sich – und hoffen – die sechsten und siebten Generationen Sallmann, dass möglichst viel ISA Bodywear unter dem Weihnachtsbaum liegt.

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