Es gibt noch bezahlbaren Wohnraum
«Die Schweizer sind einfach pendelfaul»

Die Schweiz steht in Sachen Immobilien-Entwicklung vor riesigen Herausforderungen. Einer, der es anpackt, ist Gian-Rico Willy aus Büttenhardt SH. Er ortet das Problem nicht in der Verfügbarkeit von Bauland, sondern in mangelnder Mobilitätsbereitschaft.
Publiziert: 04.08.2023 um 15:14 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2023 um 16:44 Uhr
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Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Als Gian-Rico Willy (49) neulich im Blick einen Artikel mit einer Analyse von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff liest, kommt ihm die Galle hoch. Dieser argumentiert nämlich, dass sich der Schweizer Mittelstand kaum noch Wohneigentum leisten könne. 

Willy, der 30 Jahre lang bei Banken gearbeitet hat, kennt die Problematik. Teuerung, Zinserhöhungen, wenig Bauland. Die Netto-Zuwanderung in die Schweiz liegt laut Bundesamt für Statistik in den letzten Jahren bei 70'000 Personen pro Jahr. Diese brauchen Wohnraum, der ohnehin schon knapp ist. Die hohe Nachfrage erhöht die Preise.

Aber Willy ortet das Problem an einem anderen Ort: In der sehr geringen Flexibilität der Schweizerinnen und Schweizer in Sachen Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort. «Die Sogkraft der Stadt Zürich ist enorm», so Willy. «Menschen bezahlen dort irrsinnige Preise fürs Wohnen.» Dabei gebe es in vergleichsweise kurzer Distanz zur Stadt viele Möglichkeiten für erschwingliches Wohneigentum. Wofür man nur wenige Abstriche bringen muss. «Die Schweizer sind pendelfaul», so sein Urteil.

Laut Unternehmer Gian-Rico Willy gibt es genügend bezahlbares Wohneigentum auch für die Mittelklasse – sofern man zu längerem Pendeln bereit ist.
Foto: zVg
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Vom Banker zum Bauherr

Willy erinnert sich an Bank-Meetings in Zürich, bei denen man ihn spöttisch fragte, ob er schon am Vortag «vom Land angereist» sei. Obwohl er von seinem Wohnort Büttenhardt SH bis Zürich bloss 45 Minuten braucht. Auch der Flughafen Zürich ist nur 35 Minuten entfernt. «Natürlich braucht man hier ein Auto, um nach Schaffhausen zu kommen», weiss er. Dafür brauche es nur 7-8 Minuten. Ab dem Kantonshauptort ist es bis nach Zürich dank guter Zugverbindungen nicht mehr lang.

Arbeitsrechtlich betrachtet gilt in der Schweiz ein Arbeitsweg von bis zu 4 Stunden hin und zurück als zumutbar. So viel bräuchte es gar nicht: Nur 20 Minuten über die Agglo hinaus gebe es in der Schweiz viel Lebensqualität zu vernünftigen Preisen.

«Dass die Schweizer sich trotz des exzellenten ÖV nicht getrauen, weiter vom Arbeitsort zu wohnen, irritiert mich», gesteht Willy. Das will er ändern. Vor zwei Jahren steigt er aus der Bankenwelt aus. Gründet einen kleinen Reiseveranstalter, eine Herzensangelegenheit, und parallel dazu ein Unternehmen, das Bauprojekte koordiniert. Sein erstes Projekt: Eine Gewerbeüberbauung in Beringen SH. 

Neue Wohnungen, neue Steuerzahler

Schon kurz darauf folgt ein weiteres Projekt: der Umbau eines seit zehn Jahren leerstehenden Seminarhotels in seiner Wohngemeinde. Nach einem Architekturwettbewerb entstehen nun 27 Wohnungen. Die kleine Gemeinde wächst, gewinnt neue Steuerzahler. Und muss dafür nicht mal Bauland hergeben oder Kulturland einzonen.

Hier gibt es eine 100-Quadratmeter-Minergie-Wohnung schon für unter 700'000 Franken. Willy ist sicher, dass es in ländlichen Gebieten schweizweit noch viel Potenzial für bezahlbaren Wohnraum gibt, ohne dass dafür neues Bauland nötig wäre. Was es aber braucht: die Bereitschaft, etwas mehr Distanz zwischen sich und den Arbeitsort zu legen. 


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