Eklat im Engadin
Flop of the world

Eine illustre Truppe wollte den Verwaltungsrat von Engadin St. Moritz Tourismus erobern und scheiterte – trotz Hilfe von Breitling-Chef Georges Kern. Im Nobelkurort tobt ein Richtungsstreit.
Publiziert: 23.05.2020 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 28.05.2020 um 11:57 Uhr
Reza Rafi

Claudio Dietrich, Hoteldirektor im Waldhaus Sils-Maria und soeben wiedergewählter Verwaltungsrat der Engadin St. Moritz Tourismus AG, sah es als die normalste Sache der Welt: «Wir hatten eine intensive, lange und sehr gute Diskussion.»

Bei der «sehr guten» Diskussion, wie Dietrich den Vorgang gegenüber der «Südostschweiz» dar­stellte, handelt es sich in Tat und Wahrheit um eines der seltsamsten Manöver im Alpentourismus.

Zwei Stunden nachdem die ­Generalversammlung am vergangenen Freitag im Kongresszentrum Pontresina sechs neue Mitglieder für den VR der Vermarktungs­organisation bestimmt hatte, verzichteten drei der Neugewählten auf die Annahme der Wahl. Sehr zur Freude von Dietrich und zwei ­weiteren Mitstreitern, die nun als Dreiergremium im Sattel sitzen. Das Zähneknirschen der Verlierer war bis ins Unterland zu hören.

St. Moritz ist die berühmteste Schweizer Bergdestination.
Foto: swiss-image.ch
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Das Oberengadin kämpft mit ­einer Sinnkrise. Noch floriert St. Moritz – das Geld fliesst, der Champagner strömt, die Learjets dröhnen. Aber in ruhigen Momenten fragen sich die Einheimischen: Wo stehen wir in zehn, fünfzehn Jahren? Was folgt auf die Pelzträgerinnen? Wird der Gast von morgen womöglich eher auf Ökostrom fürs E-Mobil und regionales Biogemüse setzen als auf Maine Lobster und Maserati?

Eine namhafte Gruppe von Wahl­engadinern will den Flecken auf 1800 Metern, der sich selbstbewusst «Top of the World» nennt, touristisch fit trimmen.

Jünger, grüner und digitalisierter soll die Zukunft sein. «Der Luxusbegriff wird sich verändern», ist ein Beteiligter überzeugt. Handlungsbedarf bestehe gleich auf mehreren Gebieten: «Der Nahverkehr ist eine Katastrophe. St. Moritz als erste klimaneutrale Berg­destination – warum nicht?»

Die Konkurrenz schläft nicht

Dass St. Moritz im Vergleich mit anderen globalen Jetset-Zielen dereinst nur noch den Charme eines ab­gesessenen Möbelstücks verströmt, gilt es zu verhindern. Denn die Konkurrenz schläft nicht. Die Anzahl der Logiernächte im Oberengadin geht zurück.

Seit Multitalent Christian Jott Jenny (41), Gründer des Festival da Jazz, das Zepter des Gemeinde­präsidenten schwingt, fühlt sich die Frischwind-­Fraktion gestärkt.

Zum Schauplatz des Aufbruchs wurde die Engadin St. Moritz Tourismus AG auserkoren, kurz ESTM. Dort wird entschieden, wie sich die Destination in der Welt verkauft.

Bloss gibt es da noch ein paar Altlasten. Die Organisa­tion ist überschuldet und steckt in einem Rechtsstreit mit dem ehemaligen CEO fest. Darum fasste man einen mehr­stufigen Plan ins Auge: Ein schlanker Übergangs-Verwaltungsrat bereitet den Boden für einen künftigen CEO, der ab 2021 die Vision umsetzen soll.

Um die Mission zu erfüllen, wurden drei Kandidaten für den VR entsandt: der ehemalige Novartis-Chefjurist Felix Ehrat (63) als Prä­sident, Badrutt’s-Palace-Direktor ­Richard Leuenberger (44) und Ex-Swisscard-CEO Marcel Bührer (59).

Einheimische haben das Sagen

Das Trio hatte ein Ass im Ärmel: die Idee eines neu geschaffenen Beirats mit Ehrat-Freund und Breitling-CEO Georges Kern (55) als Präsident. Marketing-Genie Kern arbeitete bereits unter Hochdruck an einem Konzept. Handicap der drei: Sie sind keine Einheimischen.

Am vergangenen Freitag an der Generalversammlung folgte der Showdown. Für erste Verwirrung sorgte bereits, dass die drei Kandidaten Ehrat, Leuenberger und Bührer nicht ins Kongress­zentrum gelassen wurden – wegen Corona, wie es hiess.

Zwar wurden dann alle sechs Kandidaten auf Anhieb und ohne Zwischentöne gewählt. Doch im Anschluss kam es zu der «sehr ­guten Diskussion». Sie bestand aus Sicht der Neulinge daraus, dass der Präsident einer Nachbargemeinde von St. Moritz den ­Tarif durchgab: Es ­gelte, zunächst die diversen admini­strativen Pendenzen abzubauen. Mit Rücksicht auf sämt­liche Partikularinte­ressen natürlich. Und all die schönen Ideen? Die müssten dann leider warten.

Die Message war ange­kommen: Das Bündner Gestein ist zu hart für einen von Zweitwohnungsbesitzern angestossenen Neustart. Wo­rauf Ehrat und Co. auf ihr Amt verzichteten. Der Triumph über die Progressiven war perfekt.

Jenny als Vertreter des ESTM-Hauptaktionärs, der Gemeinde St. Moritz, will die Sache nicht kommentieren. Auch Ehrat und Kern hüllen sich in Schweigen.

Es herrscht wieder Ruhe im Tal. Die Störenfriede sind ausgeschaltet. Vorerst.

Der St. Moritzer Gemeindepräsident Christian Jenny vertritt den Mehrheits­aktionär bei der Engadin St. Moritz Tourismus AG.

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