Einheimische in Celerina GR verlieren ihr Zuhause wegen Luxus-Zweitwohnungen
«Es gibt nichts, was wir uns noch leisten können»

Die Wohnüberbauung Chesa Faratscha in Celerina GR soll luxuriösen Ferienwohnungen weichen. Alle Mieterinnen und Mieter müssen raus. Doch wohin? Im Dorf gibt es kaum noch bezahlbaren Wohnraum.
Publiziert: 29.06.2022 um 16:43 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 11:34 Uhr
Dorothea Vollenweider

Einheimische werden aus ihrem Dorf vertrieben, weil sie sich ihren eigenen Wohnraum nicht mehr leisten können. Was wie eine Szene aus einem Schweizer Spielfilm klingt, ist in vielen Berggemeinden traurige Realität.

Aus günstigen Mietwohnungen und in die Jahre gekommenen Eigenheimen werden teure Zweitwohnsitze für reiche Feriengäste. Ein aktuelles Beispiel in Celerina GR zeigt, welche brutalen Folgen diese Entwicklung für Einheimische haben kann. Betroffen sind in diesem Fall 22 Mietparteien der Wohnüberbauung Chesa Faratscha.

Alle Mieter müssen raus

Ihnen wurde Anfang Juni mitgeteilt, die Liegenschaft müsse totalsaniert werden. Grund: Der neue Immobilienbesitzer, die Neue Haus AG aus Rotkreuz ZG, will aus den Mietwohnungen Zweitwohnsitze im Luxussegment machen, wie das «Regionaljournal Graubünden» und die «Engadiner Post» berichteten.

Hier sollen bald Luxusferienwohnungen entstehen: Die Wohnüberbauung Chesa Faratscha in Celerina GR.
Foto: zVg
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Für die Mieter der Überbauung heisst das: Bis Ende März 2023 müssen sie die Wohnung räumen. Wer sich dazu bereit erklärt, wird von der Neue Haus AG dabei unterstützt. «Wir haben vier Tage vor Ort verbracht und mit allen Mietern das Gespräch gesucht», sagt Simon Vlachos (41), CEO der Neue Haus AG zu Blick.

Man habe allen Mietern eine «grosszügige und vorteilhafte» Paketlösung angeboten, erklärt Vlachos. Diese umfasst unter anderem eine Verlängerung der Wohnungsnutzung, professionelle Hilfe bei der Wohnungssuche, Zwischenunterbringungen und finanzielle Hilfe für den Umzug.

Ein schwacher Trost. Denn für viele heisst der Umbau genau das, wovor sie sich schon lange fürchteten: Sie müssen weg aus dem Dorf, in dem sie zum Teil ihr ganzes Leben verbracht haben. Die Einheimischen werden damit brutal aus ihrem sozialen Umfeld gerissen.

Für Einheimische unbezahlbar

Das Problem: In Celerina, einem Nachbardorf von St. Moritz, können sie sich keine Wohnung mehr leisten. «Wir werden hier nichts Vergleichbares mehr finden», sagt eine betroffene Mieterin zu Blick. Sie möchte aus Angst vor negativen Konsequenzen anonym bleiben. Die Mieterin lebt seit über 20 Jahren in der Überbauung und hat hier ihre Kinder grossgezogen.

Der Schock sitzt tief und spaltet die Mieterschaft. Zwischen jenen, die bereit sind, das Abkommen des neuen Immobilienbesitzers zu unterschreiben, und jenen, die sich wehren wollen. «Man wagt es fast nicht, die anderen Betroffenen darauf anzusprechen», sagt die Mieterin. Es sei für alle ein sehr emotionales Thema.

«Es gibt in der Gemeinde nichts, was wir uns noch leisten können», sagt ein weiterer Mieter. Er lebt seit 32 Jahren in Celerina, ging hier zur Schule, gründete eine Familie und nimmt aktiv am Vereinsleben der Gemeinde teil. Von hier wegzugehen ist für ihn unvorstellbar.

Erstwohnungen rentieren nicht

In Chesa Faratscha bezahlen die Bewohner aktuell Mieten, die weit unter den marktüblichen Preisen der Region liegen. Das wissen auch die Bewohner. Seit Jahren wurde an der Überbauung nichts mehr gemacht. Sie ist sanierungsbedürftig. Die Balkone sind morsch. Das Holz von Pilzen befallen. Leitungsbrüche sorgten in der Vergangenheit für Wasserschäden.

Man sei sich der strukturellen Probleme betreffend der Wohnsituation im Engadin bewusst, sagt der CEO der Neue Haus AG. Der Kauf der Immobilie und auch die Totalsanierung seien jedoch mit einem sehr hohen Kostenaufwand verbunden. «Zusätzlich haben auch steigende Preise für Leistungen und Materialien zur Konsequenz, dass nach erfolgtem Umbau keine wirtschaftlich tragbare Erstwohnungsvermietung mehr möglich ist», so Vlachos.

Lage spitzt sich zu

Auch die Gemeinde kennt die Problematik. «Die Lage hat sich in den letzten Monaten zugespitzt», sagt Christian Brantschen (67), Gemeindepräsident von Celerina. Es brauche neue Lösungsansätze. Der Vorstand habe deshalb fürs Erste eine Planungszone für das ganze Gemeindegebiet erlassen. Die Bevölkerung wurde Anfang diese Woche darüber informiert.

Die Planungszone bedeutet eine Art Bausperre für Vorhaben, die eine Umnutzung von Erstwohnsitzen zu Zweitwohnsitzen beabsichtigen. Die Bausperre gilt ab sofort und ist auf maximal zwei Jahre begrenzt. «Mit dem Erlass der Planungszone gibt sich der Gemeindevorstand eine gewisse Zeit, um Lösungsansätze zu erarbeiten», sagt Brantschen.

Den 22 Mietparteien der Chesa Faratscha hilft das allerdings wenig. Denn ob damit auch das Projekt Luxusferienwohnungen der Neue Haus AG auf Eis gelegt wird, ist noch nicht abschliessend geklärt.

Schlupfloch in Zweitwohnungsgesetz

In der Schweiz gibt es zwar bereits ein Zweitwohnungsgesetz. Es sieht vor, dass in Gemeinden, in denen der Zweitwohnungsanteil über 20 Prozent liegt, keine neuen Ferienwohnungen mehr gebaut werden dürfen. Die Zweitwohnungs-Initiative wurde 2012 angenommen. Allerdings gibt es Schlupflöcher. Etwa für sogenannte altrechtliche Wohnungen, die vor 2012 gebaut wurden. Wie das Chesa Faratscha. Dorothea Vollenweider

In der Schweiz gibt es zwar bereits ein Zweitwohnungsgesetz. Es sieht vor, dass in Gemeinden, in denen der Zweitwohnungsanteil über 20 Prozent liegt, keine neuen Ferienwohnungen mehr gebaut werden dürfen. Die Zweitwohnungs-Initiative wurde 2012 angenommen. Allerdings gibt es Schlupflöcher. Etwa für sogenannte altrechtliche Wohnungen, die vor 2012 gebaut wurden. Wie das Chesa Faratscha. Dorothea Vollenweider

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