Ein Tag mit WEF-Gründer Klaus Schwab (80)
Wieso vertrauen die Mächtigen diesem Mann?

Ende Januar trifft sich die Weltelite in Davos zum 49. Mal. Das WEF aber gibt es an 365 Tagen im Jahr, es ist eine internationale Organisation mit über 700 Mitarbeitenden. Einen davon haben wir einen Tag begleitet. Den Gründer.
Publiziert: 06.01.2019 um 10:02 Uhr
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Aktualisiert: 20.01.2019 um 21:06 Uhr
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Christian Dorer

Kelly Ommundsen hat am World Economic Forum den aufregendsten Job: Die 33-jährige US-Amerikanerin ist Büroleiterin des WEF-Gründers. Seit Klaus Schwab das Forum 1971 aus der Taufe hob, hat es international an Bedeutung gewonnen wie keine zweite private Organisation. Im März ist Schwab 80 Jahre alt geworden – aktiv, anregend, agil wie eh und je. Ommundsen stöhnt – und lacht: «Das Schwierigste ist, mit ihm mitzuhalten. Dabei bin ich nicht mal halb so alt. Ich renne immer hinterher!» Und was sagt Schwab? Im Prinzip dasselbe: «Mein Tagesablauf ist so straff getaktet, dass kaum ein 40-Jähriger mithalten könnte.»

Der Hauptsitz des World Economic Forum ist diskret in einen Hang hoch über dem Lac Léman hineingebaut. Die futuristisch schlichte Architektur und die schwarz gekleideten Securitys wären eine perfekte Kulisse für den nächsten James-Bond-Film. Doch im Genfer Vorort Cologny residiert kein Bösewicht. Hier folgen Hunderte von Menschen dem hehren Motto: «Committed to improving the State of the World» – Es ist unsere Pflicht, den Zustand der Welt zu verbessern. 8.30 Uhr, ein grauer Tag im Dezember: Klaus Schwab kommt zu Fuss; sein Haus liegt gleich unterhalb des Forums. Eiserne Disziplin bestimmt sein Leben: An sieben ­Tagen die Woche steht er um 6 Uhr auf, checkt Mails, liest auf dem Bildschirm BLICK, «NZZ» und «Finan­cial Times», dann schwimmt er eine halbe Stunde in der Gegenstrom­anlage seines Pools. Das Frühstück geniesst er mit Gattin Hilde – seiner engsten Vertrauten seit fast 50 Jahren: Als er für das Forum eine Sekretärin suchte, ­bewarb sie sich auf ein Inserat.

Jeden Morgen um 8.30 Uhr betritt Klaus Schwab den WEF-Hauptsitz in Cologny GE.
Foto: Niels Ackermann
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Im Herz des Lebenswerks von Klaus Schwab

Schwab besitzt zwei Doktortitel, als ETH-Maschineningenieur und als Wirtschaftswissenschaftler, einen Master of Public Administration aus Harvard (USA) sowie unzählige Ehrendoktorwürden. Während er – bis 2003 – als Professor an der Universität Genf wirkte, organisierte er das Forum nebenbei. Sein Büro, angeschrieben mit «Executive Chairman», ist das Herz seines Lebenswerks. Es ist mit Kirschholz ausgekleidet, die Bücher sind akkurat nach Höhe geordnet. Schwabs erste Amtshandlung: Er begrüsst den Hausmeister, der hier gerade ein Bild montiert. Südafrikas Nationalheld Nelson Mandela († 95) hatte es ihm einst geschenkt.

Um 9 Uhr folgt das tägliche Briefing mit dem norwegischen Ex-Aussenminister Borge Brende (53), ­aktuell die Nummer 2 im WEF, er leitet das Tagesgeschäft. Die beiden tauschen sich über die kommenden Begegnungen aus: Am Montag reist Schwab per TGV für ein Mittag­essen mit Emmanuel Macron (41) nach Paris – und hofft, dass er es trotz protestierender Gelbwesten zum Élysée-Palast schafft. Am gleichen Tag will Brende Abiy Ahmed treffen, den Premierminister Äthiopiens, das nach 20 Jahren – zumindest offiziell – den Krieg mit seinem Nachbarn Eritrea beendet hat. Brendes Message: Wenn ihr wirklich Frieden schafft, können wir beim wirtschaftlichen Aufbau helfen.

Das WEF ist so etwas wie eine inoffizielle Schaltzentrale für die ganze Welt. Dass es in einem kleinen Land angesiedelt ist, macht die Aufgabe leichter. Kaum ein Erdenbürger ist besser vernetzt als Klaus Schwab. Rund um den Globus wird er empfangen wie ein Staatsgast. Gerade erst ist er vom Weissen Haus zurückgekehrt, wo er zur Kabinettssitzung im Roosevelt-Raum ein­geladen war – eine kaum zu überbietende Ehre, zumal für einen Ausländer. Sieben Minister waren dabei, es ging um den Auftritt der USA am 49. WEF. Bilaterale Begegnungen mit Aussenminister Mike Pompeo, IWF-Chefin Christine Lagarde und Weltbank-Präsident Jim Yong Kim folgten. Ein halbstündiges Treffen mit Präsident Donald Trump im Oval Office krönte Schwabs Aufenthalt in Washington D.C.

Die Frage ist: Wieso trauen alle Klaus Schwab?

Wenige Tage darauf gab das Weisse Haus bekannt, dass Trump das WEF in Davos GR erneut besuchen wird. Und das WEF gab bekannt, dass ein Konflikt mit Wladimir ­Putin beigelegt ist: Trotz US-Sanktionen wird eine russische Delegation in Davos sein, sich allerdings an einige Auflagen halten müssen.

Schwab pflegt gegenüber den Gästen des Forums, so formuliert er es selber, «einen wohlwollenden Ansatz». Nie würde er öffentlich, etwa über Donald Trumps Lügen oder Xi Jinpings Menschenrechtsverletzungen, ein böses Wort verlieren. Denn er sieht sich als Vermittler. Nur: Vermitteln wollen viele. Warum vertrauen alle – von Trump und Xi über Angela Merkel und Bill Gates bis hin zu Papst Franziskus – ausgerechnet Klaus Schwab?
Weil sein WEF wie kein zweiter Anlass weltweit die Spitzen von ­Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie, Medien, NGOs, ­Kultur und Kirchen zusammenführt. Weil es dabei nie mehr sein wollte als 
ein neutraler Veranstalter in der neutralen Schweiz. Und weil es ­einem unangreifbaren Grundsatz folgt: Es ist besser, wenn die Entscheidungsträger miteinander reden, als wenn sie es nicht tun.

«Wir haben die Regierungen nie betrogen oder gegeneinander ausgespielt», sagt Schwab. «Wir haben uns immer als neutrale, unabhängige Organisation betrachtet.» Seine Gattin formuliert es so: «Mein Mann ist unparteiisch, unideologisch, objektiv. Er kann gut vermitteln.» Wie aber gelingt ihm das?

Erstens: Klaus Schwab lässt sich und das WEF nie für fremde ­Zwecke einspannen. Obwohl ihm alle Türen offenstehen und er damit viel Geld verdienen könnte, hat er kein einziges Verwaltungsratsmandat.Zweitens: Wer nicht mehr im Amt ist, erhält keine Einladung. So wird das WEF nicht zum Altherrenclub. Einzige Ausnahme: Schwabs einstiger Professor Henry Kissinger (95), Ex-Aussenminister der USA.

Drittens: Das Forum zahlt keine Honorare. Wer in Davos auftritt, tut das der Sache wegen.

Auch im Alltag handelt der Gründer und Vorsitzende des World Economic Forum, so der offizielle Name, durch und durch diszipliniert. Hat er ein Treffen von 30 Minuten, kommt er nach 26 Minuten allmählich zum Schluss. Schwabs Trick: In den Regalen seines Büros hat er diskret kleine Uhren verteilt. So kommt er ohne den unhöflichen Blick auf seine Armbanduhr aus.
Der 30-Minuten-Takt regiert auch an diesem Morgen: Die Verantwortlichen der Community «Young Global Leaders» erscheinen jetzt zur Audienz. Sie präsentieren Schwab die Kandidatenliste aus Menschen unter 40, die in Zukunft eine wichtige Rolle spielen könnten und den Nachwuchs des Forums darstellen. Jeder von ihnen wurde einer Recherche unterzogen, damit kein Skandal verborgen bleibt. ­Einige werden nun aussortiert. Nach 26 Minuten sagt Schwab: «Eine gute Liste! Aber bitte trefft die finale Entscheidung selbst und nehmt nicht Bezug auf mich.»

Ein Mann, nicht ohne eine 
Portion Eitelkeit

«Professor Schwab», wie alle ihn ehrfürchtig nennen, ist die unangefochtene Autorität im Haus. Was von ihm kommt, gilt. Dass neben dem Haupteingang ein Ölgemälde mit seinem Konterfei hängt, finden zwar manche übertrieben. Aber alle wissen, was das Forum dem Professor zu verdanken hat: alles.Im persönlichen Gespräch ist dieser asketische Mann, der mit 80 aussieht wie ein 50-Jähriger, überaus höflich, fast schüchtern. Small-Talk erträgt er nicht, bei sogenannten «Promi-Anlässen» ist er nie anzutreffen. Seine Stärke sind bilaterale Begegnungen. Er kann gut ­zuhören, noch besser analysieren – und aus seinen Mitarbeitern das Beste herausholen. Die Zeit nach Feiertagen ist bei ihnen gefürchtet, denn dann hat Schwab viel Zeit zum Aushecken neuer Ideen.

Das WEF verfolgt derzeit an die hundert Vorhaben, von vielen hat Schwab kaum je vernommen. «Oft erfahre ich über Google Alerts von einem neuen Projekt», erzählt er. Manchmal ruft er dann den zuständigen Mitarbeiter an, er möge ihm bitte etwas mehr erzählen. Dazu kommen Studien in verschiedenen Bereichen. Das Forum ist zu einer Riesenorganisation angewachsen, es hat einen Jahresumsatz von 326 Millionen Franken. Den grössten Teil steuern die Mitglieds­firmen bei, wobei kein Unternehmen mehr als 0,5 Prozent des Budgets ab­decken darf, damit keine Abhängigkeit entsteht.

Das Jahres-Meeting in Davos ist der Höhepunkt. Auf den Januartermin folgen – in der Schweiz kaum beachtet – regionale Treffen: 2019 werden sie in Jordanien, Südafrika und Indien stattfinden. Es folgen die jährlichen Treffen in New York und Dubai. Das WEF beschäftigt mehr als 700 Vollzeitangestellte aus über 80 Nationen. Frauenanteil: 57 Prozent. Durchschnittsalter: 35 Jahre. Fast 500 von ihnen arbeiten in Genf, die restlichen in den Zweigstellen New York, San Francisco, ­Peking und ­Tokio. Laut WEF-Statistik bleiben sie vier Jahre. Danach haben sie hervorragende Karriereaussichten in der Wirtschaft, bei internationalen Organisationen und beim Staat. Das WEF gilt weltweit als begehrter ­Arbeitgeber: Jährlich treffen 38 000 Bewerbungen ein.

Schwabs neustes Buch wurde in 
30 Sprachen übersetzt

Einer, der es geschafft hat, ist der Australier Nicholas Davis (40): Der Anwalt ist Co-Autor von Schwabs Bestseller «Die Vierte Industrielle Revolution», in dreissig Sprachen übersetzt und über eine Million Mal verkauft. Eines Tages rief ihn der WEF-Gründer an und sagte: «Die Menschen unterschätzen, was gerade passiert. Eine soziale, politische und wirtschaftliche Revolution! Es braucht ein Buch!» Vier Monate später war es auf dem Markt – zunächst in Eigenproduktion, weil kein Verlag so schnell publizieren konnte.

Beim WEF nennen sie es nur «4IR». In San Francisco, Peking, ­Tokio und Mumbai gibt es 4IR-­Center des WEF, weitere sind ­geplant, weltweit. Davis erklärt, was es mit der Vierten Industriellen ­Revolution auf sich hat: «Jetzt werden die Gesetze geschrieben, die Jahrzehnte gelten werden. Da dürfen wir keine Fehler machen.» Es komme darauf an, wie selbstfahrende Autos, Cyber-Security oder auch Killer-Roboter juristisch bewertet und reguliert werden, ein Prozess, bei dem das WEF Regierungen weltweit unterstützt: In Ruanda etwa wird gerade der Einsatz von Drohnen für Hilfszwecke geregelt.

Dieser Tage erscheint die Fortsetzung des Bestsellers: «Die Zukunft der Vierten Industriellen Revolution». Es geht um die Frage, was der Mensch tun muss, damit er die Herrschaft über die Revolution nicht verliert, sich nicht zum Sklaven der ­Roboter und Algorithmen macht. «Es braucht ethische Prinzipien!», fordert Schwab und erntet damit nicht nur Beifall. «Ein Drittel denkt, ich sei ein Idealist, der von Wirtschaft keine Ahnung hat. Ein Drittel räumt ein, dass ich recht habe, findet aber, dass die Wirtschaft nun mal anders funktioniert. Ein weiteres Drittel geht mit mir einig.»

Zurück in Schwabs Büro. Auf seinem iPhone geht er jetzt die Mails durch und diktiert seine Antworten. Seine Assistentin Susanne Grassmeier (42) schreibt so schnell, wie Schwab spricht. Und dies – vorerst noch – zuverlässiger als jedes Spracherkennungsprogramm.
12.30 Uhr: 60 Botschafter an der Uno in Genf sind zum Arbeitslunch eingeladen. Wenn das WEF ruft, kommen alle. Manche Länder, so heisst es, entsenden sogar eigens Botschafter nach Genf, um den Kontakt zum WEF nicht zu verlieren. Schwab und Brende informieren 
die Diplomaten vertraulich, wen 
sie alles in Davos erwarten: rund 1000 CEOs, mehr als 60 Staatschefs, 300 Minister und 60 Chefs von NGOs. Es wird 350 Diskussionsrunden geben, etwa zu Handel, Frieden, Sicherheit oder wirtschaftlichem Wachstum. Die Botschafter werden gebeten, ihre Erwartungen zu formulieren. «Gebt den Jungen eine Stimme», sagt einer, «denn die können sich am besten Visionen für die Zukunft ausdenken.» Auch ­Valentin Zellweger (56) ist dabei, der Schweizer Botschafter an der Uno. Er sagt: «Das WEF hat 50 Jahre ­Erfahrung 
in der Zusammen­arbeit zwischen Politik und Wirtschaft – das kann niemand aufholen.»
Schwab verspricht ein optimistisches WEF. Trotz aller Weltprobleme blickt er positiv in die Zukunft: «Wir haben weniger Armut als früher, jeder von uns hat viel mehr Möglichkeiten, wir leben viel gesünder und werden älter!»

Schwab ist das WEF – und das WEF ist sein Leben

Auch Schwab selbst wird älter. Aber er ist so lebensfroh wie gewohnt, sein Forum ist grösser und bedeutender denn je, die Kritik weitgehend verstummt. Der Professor ist das WEF, das WEF ist sein ­Leben. Wie es dereinst ohne ihn weitergehen soll, ist eine Frage, auf die keiner eine Antwort hat – die es aber derzeit auch nicht braucht.

Die Botschafter sind verabschiedet, nun geht es an die Planung der kommenden Tage: In Indien trifft Schwab den Premier. Dann Peking, mit Übernachtung im staatlichen Gästehaus und Empfang bei Präsident Xi Jinping. Ob er gleich in der Nacht oder am nächsten Morgen zurückfliegen will? «In der Nacht, so spare ich Zeit.» Schwab wird in den nächsten zwei Wochen vier Nächte in Flugzeugen verbringen.

Erstmal aber steigt Klaus Schwab mit seiner Gattin in einen grauen Audi A8: Der Chauffeur bringt sie nach Mailand, wo er weitere Treffen haben, an der Saisoneröffnung der Scala teilnehmen und dem Chefredaktor einer italianischen Zeitung ein Interview geben wird. Auch die Stunden im Auto sind verplant: Nach der Abfahrt wird Alain Berset anrufen.
Zeit ist Schwabs wichtigstes Gut. Keine Sekunde darf vergeudet ­werden. Büroleiterin Ommundsen formuliert es so: «Er erzählt fast nie Geschichten von früher. Er schaut immer nach vorne und fragt: What’s next?» 

Vom 22. bis am 25. Januar findet in Davos das 49. World Economic Forum statt.

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WEF 2020

Vom 21. bis 24. Januar findet wieder das World Economic Forum (WEF) in Davos statt. Rund 2500 internationale Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft treffen sich zum Austausch.

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