Ein Niedergang in 4 Akten
Lichterlöschen bei der Economiesuisse

Der Einfluss von Economiesuisse schwindet. SVP-Patriarch Christoph Blocher hat den Respekt vor diesen «Wirtschaftsbürokraten» verloren.
Publiziert: 15.08.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 16:44 Uhr
Wie blanker Hohn: Heinz Karrer.
Foto: Joseph Khakshouri
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René Lüchinger und Joël Widmer

Es klingt wie blanker Hohn. Economiesuisse, höchster Repräsentant der Schweizer Wirtschaft, ist für SVP-Patriarch Christoph Blocher nichts weiter als eine Ansammlung von «Wirtschaftsbürokraten» (gestern im BLICK). Ein Schimpfwort ists für die Organisation, in der die Spitzen der heimischen Wirtschaft vereinigt sind. Ein Zeichen, dass Blocher auch vor dieser Institution den Respekt verloren hat. Das kommt nicht von ungefähr: 1992 gewann er die EWR-Abstimmung eben auch gegen das Wirtschafts-Establishment und damit gegen den Vorort, wie der Spitzenverband damals noch hiess. Und seither schwindet dessen Einfluss wie Schnee in der Sonne. Es ist ein Trauerspiel in vier Akten.

I. Die Gründung
Als der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins am 12. März 1870 gegründet wurde, war die Schweiz Alfred-Escher-Land. Der Eisenbahnpionier, Erbauer der Gotthardbahn, Gründer der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) und FDP-Nationalrat, war der dominierende Kopf im Land. Seine Projekte pflegte er in kleinen Zirkeln voranzutreiben. Gegen dieses elitäre «System Escher» wurde der Vorort aus der Taufe gehoben, der die Interessen der Wirtschaft in Bern transparent vertreten sollte – eine Art Demokratisierung der Vertretung der Wirtschaft. 

II. Der Aufstieg
Als der Zürcher Jurist und Ökonom Alfred Frey 1900 zum ersten Direktor des Vororts erkürt wurde, bedeutete dies Einfluss. Er «gehörte jenem Kreise an, in dem in den Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahren die meisten wichtigen Entscheidungen liefen», urteilte Vorort-Historiker Bernhard Wehrli einmal gegenüber der «Bilanz». So war Frey während des Ersten Weltkriegs etwa Unterhändler des Bundesrates für Handelsverträge, sass für die FDP im Nationalrat und in den Verwaltungs­räten von Rentenanstalt, NZZ oder SBB. Dessen Nachfolger Ernst Wetter schaffte gar den Sprung in den Bundesrat, übernahm 1939 das Eidgenössische Finanz- und Zolldepartement. Den Direktor Nummer drei, Heinrich Homberger, der bis 1965 amtete, nannte man «den achten Bundesrat».

III. Im Zenit
Im Jahre 1970 wurde Gerhard Winterberger Direktor des Vororts. Er baute die Organisation zu einer meinungsbildenden Kampfmaschine für die Interessen der Wirtschaft um. Der Einfluss des Vororts war gross wie nie. Die Gesellschaft zur Förderung der Schweizerischen Wirtschaft (WF) diente dem Vorort als Wahlkampforganisation für wirtschaftspolitische Anliegen und die WF finanzierte zudem die Schweizerische Politische Korrespondenz (SPK), die vorab Zeitungen in ländlichen Gegenden mit News und bürgerlich ausgerichteten Kommentaren versorgte.

IV. Der Niedergang
Im Jahre 2000 gingen Vorort und WF in der Economiesuisse auf. Die Präsidenten gaben sich in kurzen Kadenzen die Klinke in die Hand und an der Urne gab es eine Schlappe nach der anderen: 2004 etwa bei Steuerpaket oder AHV-Revision. Knapp zehn Jahre später folgte die ganz grosse Demütigung: Trotz Einsatz von acht Millionen Franken für den Abstimmungskampf konnte Economiesuisse ein Volks-Ja zur Abzocker-Initiative nicht verhindern. Und als Christoph Blocher die Initiative gegen Masseneinwanderung lancierte, war von dem Spitzenverband gar kein Kampfgeist mehr zu spüren. Stattdessen lässt sich Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer von Christoph Blocher wortlos vorführen. Zu dessen Provokation («Wirtschaftsbürokraten») wollte er gestern keine Stellung nehmen. Sein Sprecher meinte kleinlaut: «Wir hören gerne zu, was uns Herr Blocher im persönlichen Gespräch zu sagen hat. Alles an­dere ist für uns zweitrangig – vor allem vor den Wahlen.»

Ist das Ängstlichkeit? Oder schon Arroganz? Sicher ist: Jeder erhält den Respekt, den er sich erarbeitet. Wer keinen mehr hat, riskiert Beleidigungen.

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