Foto: Thomas Meier

Direktor der Jungfraubahnen Urs Kessler
«Ohne Skisport wären die Alpen tot»

Die Jungfraubahnen investieren fast eine halbe Milliarde in die neue V-Bahn. Doch lohnt es sich, so viel Geld in den Schneesport zu stecken? Absolut, meint Direktor Urs Kessler.
Publiziert: 07.12.2019 um 23:41 Uhr
|
Aktualisiert: 08.12.2019 um 14:25 Uhr
Interview: Cyrill Pinto

Am kommenden Wochenende eröffnen die Jungfraubahnen ihr neues Vorzeigeprojekt, einen Teil der neuen V-Bahn auf den Männlichen

SonntagsBlick: Sie investieren in einen Sport von gestern …
Urs Kessler: Nein! Ich glaube an den Wintertourismus, er hat trotz allem Zukunft.

Der Klimawandel schreitet voran, Skifahren ist nicht nachhaltig, braucht sehr viel Energie. Was sagen Sie Kritikern, die Sie da­rauf ansprechen?
Für uns sind Nachhaltigkeit und Klimawandel schon auch ein Thema. Doch ohne den Tourismus – und das ist bei uns vor allem der Skisport – wäre der Alpenraum tot. Realität ist auch: Im Wintersport gibt es einen Verdrängungskampf – entweder man gehört zu den Besten, oder man verschwindet. Und um zur Topliga zu gehören, muss man leider auch in künstliche Beschneiung investieren.

Der Direktor der Jungfraubahnen, Urs Kessler, investiert kräftig in neue Bahnen und in den Wintersport. «Ohne Skisport wären die Alpen tot!»
Foto: Thomas Meier
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Und doch kann man ja wohl nicht einfach so weitermachen …
Wir müssen als Unternehmen so sorgfältig wie möglich mit der Natur umgehen und nachhaltig arbeiten. So haben wir zum Beispiel unser eigenes Wasserkraftwerk, produzieren den Grossteil unseres Stroms selber. Wegen der Nachhaltigkeit setzten wir den Schwerpunkt auch auf den ÖV und bieten Gästen, die mit dem Auto anreisen, bequemere Umsteigemöglichkeiten auf die Bahn. Wir wollen mehr Bahn und weniger Strasse in unserem Verkehrskonzept. Das neue Terminal in Grindelwald, welches Zug und Seilbahn verknüpft, ist deshalb für das neue V-Bahn-Projekt zentral.

Sie investieren also in den ÖV. Sind Sie mit der Qualität der SBB als Zubringerin zufrieden?
(Überlegt) Also ... wenn ich mich als Chef mit Mittelmass zufriedengebe, dann gibt sich auch mein Team mit Mittelmass zufrieden. Wir müssen aber immer besser werden. Auch beim ÖV-Angebot. Denn der Trend ist klar: Weltweit haben die Menschen mehr freie Zeit, wollen aber weniger Zeit aufwenden, um von A nach B zu kommen. Und wenn man sieht, wie viele junge Leute in den Städten heute kein Auto mehr besitzen und nicht einmal mehr die Fahrprüfung machen, dann kann man erahnen, welche Bedeutung der Bahn in Zukunft zufällt.

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Sind Sie mit der Anbindung ihrer Region an den öffentlichen Verkehr und dessen Qualität zufrieden?
Man muss selbstkritisch sagen: Die Situation zum Umsteigen in Interlaken Ost ist nicht optimal – die Wege sind schlicht zu lang. Da möchten wir eine bessere Lösung. Ausserdem haben wir mit europäischen Bahnen und mit den SBB ein Paket geschnürt. Mehr Gäste sollen mit dem Zug direkt nach Interlaken reisen können.

Die Mehrheit der Skitouristen kommt aber immer noch mit dem Auto.
Wir möchten, dass der Wintersport nachhaltiger wird, und setzten deshalb unseren Schwerpunkt auch auf den ÖV. Gästen, die mit dem Auto anreisen, bieten wir in Grindelwald bequemere Umsteigemöglichkeiten auf die Bahn.

Je mehr Gäste mit der Bahn kommen, desto stärker wird die Jungfrauregion nicht nur von Besuchern des Jungfraujochs, sondern auch von Skianfängern überrannt.
Nein, wir arbeiten mit einer Limitierung der Besucherzahlen auf dem Jungfraujoch, künftig sogar im ganzen Skigebiet. So dürfen pro Tag höchstens 5500 Gäste aufs Joch – mehr geht nicht. Übrigens waren wir die letzten Jahre im Schnitt an 25 Tagen ausverkauft. Trotz der Limite können wir also noch wachsen. Aber wir planen auch eine Limitierung im Wintersport. Bei 17'000 Gästen auf der Piste ist es genug. Natürlich kommt diese Überlegung, Limiten festzulegen, nicht bloss aus einem Umwelt­gedanken, sondern auch aus einer Überlegung des Marketings heraus: Je knapper ein Gut, umso wertvoller ist es.

Die Jungfraubahnen machen pro Jahr 47 Millionen Franken Gewinn, haben eine Marge von 28 Prozent – das sind glänzende Zahlen. Trotzdem nehmen Sie Darlehen der öffentlichen Hand in Anspruch.
Als wir das V-Bahn-Projekt 2012 planten, waren die Zinsen noch nicht so tief und mit dem Terminal in Grindelwald, das wir kommende Woche eröffnen, leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Ausbau des ÖV. Man muss sich das vor Augen halten: Die öffentliche Hand bezahlt 7,7 Millionen Franken, der Fahrgast gewinnt mit dem Ausbau 47 Minuten Fahrzeit – es gibt kein ÖV-Projekt in der Schweiz, das für so wenig Geld einen so grossen Zeitgewinn bringt. Stossend finde ich es, wenn Bergbahnen die Steuerzahler einer ganzen Region in die Pflicht nehmen. Oder, wie im Fall von Andermatt, A-fonds-perdu-Beiträge einer ganzen Region in den Ausbau eines Gebiets fliessen. Wir waren überrascht, wie viel Geld die Innerschweizer Kantone in den Ausbau des Gebiets steckten. Ich wehre mich gegen Infrastruktur-Erhaltung durch Staatsbeiträge, denn das ist immer auch eine Wettbewerbsverzerrung.

Sie kennen Asien sehr gut. Wenn Sie wählen könnten: In welchem asiatischen Land würden Sie gerne Ferien verbringen?Thailand.

Warum?
Wir kennen unsere Gäste aus Thailand sehr gut, sie sind bei uns als besonders freundlich bekannt. Ich weiss nicht, woran es liegt, aber Thais sind fröhlich und haben immer einen guten Draht zu unseren Mitarbeitern.

Nicht alle Leute in der Region empfinden die Gäste aus Asien als Bereicherung. Was sagen Sie diesen Kritikern?
Wir können Asien nicht vom Wirtschaftswachstum ausschliessen – die neu gewachsene Mittelschicht will die Welt auch entdecken. Und wir müssen dafür sorgen, dass sich die Gäste hier wohlfühlen. Ein Beispiel: Als Ende der 90er-Jahre die ersten Inder ins Berner Oberland kamen, hatten sie einen Anhänger an ihrem Reisebus. Das war ihre fahrbare Küche. Auf dem Parkplatz in Lauterbrunnen kochten sie dann ihr eigenes Curry, das sie mit in den Zug nahmen. Die Wagen mussten wir dann immer in die Reinigung schicken. Das kam bei unseren Mitarbeitern natürlich nicht gut an. Nachdem wir im Jahr 2000 das erste indische Restaurant mit Köchen aus Indien eröffnet hatten, legte sich die Aufregung.

Und was sagen Sie den Einheimischen?
Wir leben vom Tourismus. Man muss auch etwas Verständnis aufbringen – und ein bisschen mehr Wertschätzung.

Urs Kessler

Urs Kessler (57) war 1987 der Erste, der bei den Jungfraubahnen Verkaufsförderung betrieb. Seit gut zehn Jahren ist er nun deren Direktor. Kessler erschloss in Asien neue Märkte für das Jungfraujoch und sorgte mit spektakulären Aktionen für Schlagzeilen. So liess er etwa Roger Federer am Jungfraujoch gegen Lindsey Vonn antreten. Kesslers grösstes Projekt ist die neue V-Bahn, deren erster Ast am nächsten Samstag eröffnet wird.

Urs Kessler (57) war 1987 der Erste, der bei den Jungfraubahnen Verkaufsförderung betrieb. Seit gut zehn Jahren ist er nun deren Direktor. Kessler erschloss in Asien neue Märkte für das Jungfraujoch und sorgte mit spektakulären Aktionen für Schlagzeilen. So liess er etwa Roger Federer am Jungfraujoch gegen Lindsey Vonn antreten. Kesslers grösstes Projekt ist die neue V-Bahn, deren erster Ast am nächsten Samstag eröffnet wird.

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Jahrhundert-Projekt V-Bahn

Billig ist sie nicht, die neue V-Bahn. 470 Millionen Franken kostet der Stolz der Jungfraubahnen: zwei Seilbahnen, die von einer gemeinsamen Talstation wegführen und somit ein grosses V bilden. Daher ihr Name.

Herzstück des nun etappenweise realisierten Jahrhundertprojekts ist das neue Terminal in Grindelwald. Hier gibt es Geschäfte, Gastronomie und ein Skidepot. Gäste reisen per Zug oder Auto an und steigen auf die Seilbahn um. Wer keine Ski mitbringt, kann sie gleich vor Ort mieten.

Am kommenden Samstag werden das Terminal und der erste Teil der neuen Bahn auf den Männlichen eröffnet – eine Zehner-Gondelbahn, die Wintersportler direkt auf die Piste bringt.

Im Dezember 2020 wird der zweite Teil fertig: Vom gleichen Terminal bringt die Seilbahn Eigerexpress die Gäste dann von Grindelwald zur neu ausgebauten Station Eigergletscher, wo sie auf dem Weg zum Jungfraujoch umsteigen.

Gemäss dem Verband Schweizer Seilbahnen ist die V-Bahn ein Leuchtturmprojekt für die ganze Branche. Denn sie verknüpft den öffentlichen Verkehr mit der Seilbahn – wodurch sich die Reisezeit massiv reduziert: Nicht weniger als 45 Minuten beträgt die Einsparung von Grindelwald aufs Jungfraujoch.

Dass die neue Bahn tatsächlich gebaut werden kann, war lange unklar. Im Jahr 2012 begann die Planung. Als sie dann öffentlich wurde, war der Widerstand gross: Umwelt­verbände und Anwohner kämpften gegen das Mammutprojekt. Erst im Sommer 2018 konnte das Bundesamt für Verkehr grünes Licht geben.

Die Talstation der neuen V-Bahn in Grindelwald ist das Herzstück der neuen Verbindung in die Jungfrauregion.

Billig ist sie nicht, die neue V-Bahn. 470 Millionen Franken kostet der Stolz der Jungfraubahnen: zwei Seilbahnen, die von einer gemeinsamen Talstation wegführen und somit ein grosses V bilden. Daher ihr Name.

Herzstück des nun etappenweise realisierten Jahrhundertprojekts ist das neue Terminal in Grindelwald. Hier gibt es Geschäfte, Gastronomie und ein Skidepot. Gäste reisen per Zug oder Auto an und steigen auf die Seilbahn um. Wer keine Ski mitbringt, kann sie gleich vor Ort mieten.

Am kommenden Samstag werden das Terminal und der erste Teil der neuen Bahn auf den Männlichen eröffnet – eine Zehner-Gondelbahn, die Wintersportler direkt auf die Piste bringt.

Im Dezember 2020 wird der zweite Teil fertig: Vom gleichen Terminal bringt die Seilbahn Eigerexpress die Gäste dann von Grindelwald zur neu ausgebauten Station Eigergletscher, wo sie auf dem Weg zum Jungfraujoch umsteigen.

Gemäss dem Verband Schweizer Seilbahnen ist die V-Bahn ein Leuchtturmprojekt für die ganze Branche. Denn sie verknüpft den öffentlichen Verkehr mit der Seilbahn – wodurch sich die Reisezeit massiv reduziert: Nicht weniger als 45 Minuten beträgt die Einsparung von Grindelwald aufs Jungfraujoch.

Dass die neue Bahn tatsächlich gebaut werden kann, war lange unklar. Im Jahr 2012 begann die Planung. Als sie dann öffentlich wurde, war der Widerstand gross: Umwelt­verbände und Anwohner kämpften gegen das Mammutprojekt. Erst im Sommer 2018 konnte das Bundesamt für Verkehr grünes Licht geben.

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