Die letzte Telefonkabine der Schweiz verschwindet
Einst gabs zehntausend – sie ist nun die letzte

Ende November verschwindet die letzte Telefonkabine der Swisscom aus dem öffentlichen Raum. Ein mehrstimmiger Nachruf auf die Plauderbox von Generationen.
Publiziert: 22.11.2019 um 13:32 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2019 um 13:13 Uhr
Die letzte Swisscom-Telefonkabine der Schweiz steht an der Bruggerstrasse in Baden AG.
Foto: Thomas Meier
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Daniel Arnet

056 222 28 99 – so lautet die Telefonnummer der letzten Telefonkabine der Schweiz. Sie steht an der Bruggerstrasse in Baden AG. Seit Freitag ist der Sprechapparat ausser Betrieb, morgen Montag stellt die Swisscom den Strom für die Beleuchtung ab, und am kommenden Donnerstag kommt die Kabine ins Museum für Kommunikation in Bern.

Damit geht ein Kapitel in der langen Ära der Festnetztelefonie zu Ende. Auf dem Höhepunkt 1995 betreibt die Swisscom-Vorgängerin PTT schweizweit noch 58'112 Telefonanschlüsse, die gegen Bezahlung allen zur Verfügung stehen – rund ein Fünftel der Apparate ist im öffentlichen Raum installiert, meist geschützt von einem Häuschen.

Heimliche Gespräche und Heimwehanrufe

Doch mit der aufkommenden Mobiltelefonie in den 1990er-Jahren sinkt der Umsatz der sogenannten Publifone massiv. 2002 übertrifft die Zahl der Handyabonnements erstmals die der Festnetzanschlüsse. Und nachdem der Bundesrat die Swisscom auf 2018 von der Pflicht befreit, in jeder Gemeinde mindestens eine öffentliche Sprechstelle zu betreiben, ist das Ende der Telefonkabine besiegelt. Jetzt ist es da.

Heimliche Gespräche von Verliebten, Heimwehanrufe an Verwandte: Jeder und jede hat Erinnerungen an die oftmals übel nach Urin und abgestandenem Rauch riechenden Glashäuschen, an zerfledderte Telefonbücher. Das schmuddelige Umfeld ist auch der Ort für anonyme Droh- oder Juxtelefonate, denn beim Angerufenen hinterlässt man nur eine 99 am Schluss – die Endziffern jeder Rufnummer einer Telefonkabine.

«‹Zletscht 9 – 9›, het si gseit»: Das vermittelnde «Fräulein vom Amt» bleibt zwar noch bis 1959, doch bereits die zwischen 1928 und 1933 eingeführte Kassierstation mit Wählscheibe verhilft der frei stehenden Telefonkabine zum Durchbruch. Zu Beginn ist sie allerdings bloss eine «Plakatsäule mit Zusatzfunktion». Erst ab Mitte der 1930er-Jahre setzt die PTT mit reinen Telefonhäuschen im Stil des Neuen Bauens Akzente in Strassen und auf Plätzen.

Plakatgesellschaft betreibt Gratistelefon

Diese Kabinen sind bis Ende des Zweiten Weltkriegs Anlaufstellen für den Grossteil der redewilligen Bevölkerung, denn erst ab 1945 wird der Telefonanschluss zu Hause auch für Privatpersonen erschwinglich. Während sich Schweizer für Gespräche fortan mehr und mehr in die eigenen vier Wände zurückziehen, nutzen zunehmend ärmere Migrantenfamilien ohne eigene Telefone die Kabine für Anrufe in die Heimat.

In der Euphorie durch den Höhenflug des Publifons Mitte der 1990er-Jahre lanciert die damalige PTT mit der Allgemeinen Plakatgesellschaft (APG) die «Telecab 2000» als letzte Generation von Telefonkabinen. Heute gehören die schweizweit 158 eleganten Glaszylinder nur noch der APG, sind also wie beim Durchbruch um 1930 eigentliche Plakatsäulen mit Zusatzfunktion.

Nach dem Rückzug der Swisscom funktionieren die Telefonapparate allerdings nur noch reduziert: Sie haben keinen Münzeinwurf, keinen Schlitz für Kartenzahlung und lassen keine Anrufe mit Mehrwertnummern und ins Ausland zu. Dafür ist die Benutzung innerhalb der Schweiz gratis – eine Notlösung für jeden Handy-Besitzer, bei dessen mobilem Telefon die Batterie leer ist. Die APG will die Standorte auf Anfrage «bis auf weiteres» betreiben.

Pierre-Antoine Favez (54)

Leiter Publifon bei der Swisscom und damit für den Abbau der Telefonkabinen zuständig: «Das ist schon ein Magic Moment: Die letzte Telefonkabine tritt nun ihre Reise in den Ruhestand an – und dabei verabschieden wir sie würdig. Nach neun Jahren als Leiter Publifon werde ich selbstverständlich dabei sein, wenn sie von der Bruggerstrasse in Baden AG wegkommt und einen ruhigen und schönen letzten Platz im Museum für Kommunikation in Bern finden wird. Dass ausgerechnet diese Kabine die letzte ist, die wir aus dem Verkehr ziehen, ist rein zufällig – eine muss die letzte sein. 1995 gab es noch fast 60'000 Publifone – rund 10'000 davon waren Kabinen auf öffentlichem Grund, 50'000 waren in privaten Räumen wie Restaurants, Heimen oder Einkaufszentren. Dort waren die Telefonapparate meist in einer Nische montiert. Eine Kabine kostete die Swisscom je nach Modell um die 6500 Franken. Der jährliche Unterhalt belief sich je nach Standort im niedrigen bis mittleren vierstelligen Bereich. Es hing auch davon ab, wie viel Vandalismus es gab. Als ich 2010 als Leiter anfing, war der Vandalismus schon stark zurückgegangen auf schweizweit weniger als 50'000 Franken. Das waren klare Anzeichen, dass die Nutzung bereits damals stark zurückgegangen war. Zuletzt waren die Publifone ein Verlustgeschäft. Nachdem der Bundesrat Swisscom 2018 von der Auflage befreit hatte, jede Gemeinde mit einem öffentlichen Telefon versorgen zu müssen, bauten wir sukzessive alle ab. Der Rückbau erfolgte fachgerecht und meist unspektakulär. Aber fast 650 Kabinen sind kreativ umgenutzt worden: So hat jemand in Montlingen SG aus einem Häuschen einen Lift gebaut, und in Mettau AG wollen Initianten aus der letzten Telefonzelle auf Gemeindegebiet eine Gut-gemacht-Maschine herstellen, die einem ein Lob für eine tägliche Arbeit ausspricht.»

Leiter Publifon bei der Swisscom und damit für den Abbau der Telefonkabinen zuständig: «Das ist schon ein Magic Moment: Die letzte Telefonkabine tritt nun ihre Reise in den Ruhestand an – und dabei verabschieden wir sie würdig. Nach neun Jahren als Leiter Publifon werde ich selbstverständlich dabei sein, wenn sie von der Bruggerstrasse in Baden AG wegkommt und einen ruhigen und schönen letzten Platz im Museum für Kommunikation in Bern finden wird. Dass ausgerechnet diese Kabine die letzte ist, die wir aus dem Verkehr ziehen, ist rein zufällig – eine muss die letzte sein. 1995 gab es noch fast 60'000 Publifone – rund 10'000 davon waren Kabinen auf öffentlichem Grund, 50'000 waren in privaten Räumen wie Restaurants, Heimen oder Einkaufszentren. Dort waren die Telefonapparate meist in einer Nische montiert. Eine Kabine kostete die Swisscom je nach Modell um die 6500 Franken. Der jährliche Unterhalt belief sich je nach Standort im niedrigen bis mittleren vierstelligen Bereich. Es hing auch davon ab, wie viel Vandalismus es gab. Als ich 2010 als Leiter anfing, war der Vandalismus schon stark zurückgegangen auf schweizweit weniger als 50'000 Franken. Das waren klare Anzeichen, dass die Nutzung bereits damals stark zurückgegangen war. Zuletzt waren die Publifone ein Verlustgeschäft. Nachdem der Bundesrat Swisscom 2018 von der Auflage befreit hatte, jede Gemeinde mit einem öffentlichen Telefon versorgen zu müssen, bauten wir sukzessive alle ab. Der Rückbau erfolgte fachgerecht und meist unspektakulär. Aber fast 650 Kabinen sind kreativ umgenutzt worden: So hat jemand in Montlingen SG aus einem Häuschen einen Lift gebaut, und in Mettau AG wollen Initianten aus der letzten Telefonzelle auf Gemeindegebiet eine Gut-gemacht-Maschine herstellen, die einem ein Lob für eine tägliche Arbeit ausspricht.»

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Adolf Muschg (85)

Schweizer Schriftsteller: «In Japan lernt man gerade, dass das Abtakeln der Telefonkabinen voreilig gewesen wäre. Sie funktionieren noch, als Unwetter (sprich: das Klima von morgen) alle 5G-Antennen lahmgelegt hatte. List und Witz der Vernunft zeigen sich immer wieder grösser als der Glaube der Technik an die Unwiderruflichkeit ihrer Einbahnstrasse. Ich kenne gute Fotografen, die das digital erzeugte Bild für das Ende der Kunst halten. Die Vinyl-Platten boomen wieder, während der Tisch-Computer auf dem Rückzug ist – und mancher User wünschte sich von seinem Smartphone, statt zu wischen seine eigene Handschrift zurück. Vorschlag: die Telefonkabinen zu Meditationszellen darüber umrüsten, wo persönliche Gegenwart im terroristischen Strahlenmeer von Bits und Bytes hingekommen ist: Dafür müssen die Glashäuschen nicht mehr mit aller Welt verbunden, sondern hinreichend gegen sie isoliert sein: Inseln der kleinen Freiheit vom zwanghaften Zeit-Vertreib virtueller Kommunikation.»

Schweizer Schriftsteller: «In Japan lernt man gerade, dass das Abtakeln der Telefonkabinen voreilig gewesen wäre. Sie funktionieren noch, als Unwetter (sprich: das Klima von morgen) alle 5G-Antennen lahmgelegt hatte. List und Witz der Vernunft zeigen sich immer wieder grösser als der Glaube der Technik an die Unwiderruflichkeit ihrer Einbahnstrasse. Ich kenne gute Fotografen, die das digital erzeugte Bild für das Ende der Kunst halten. Die Vinyl-Platten boomen wieder, während der Tisch-Computer auf dem Rückzug ist – und mancher User wünschte sich von seinem Smartphone, statt zu wischen seine eigene Handschrift zurück. Vorschlag: die Telefonkabinen zu Meditationszellen darüber umrüsten, wo persönliche Gegenwart im terroristischen Strahlenmeer von Bits und Bytes hingekommen ist: Dafür müssen die Glashäuschen nicht mehr mit aller Welt verbunden, sondern hinreichend gegen sie isoliert sein: Inseln der kleinen Freiheit vom zwanghaften Zeit-Vertreib virtueller Kommunikation.»

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Franziska Heller (39)

Privatdozentin für Film- und Medienwissenschaft an der Universität Zürich, hielt ihren Habilitations-Probevortrag an der Philosophischen Fakultät zum Thema «Telefonkabine im Film»: «Ein ganzer Film, der nur in einer Telefonzelle spielt? Wie sähe wohl Alfred Hitchcocks unerfülltes Wunschprojekt heute aus? Und was geht mit dem Abbau der Telefonkabinen für den Film verloren? Ein Blick zurück: Das Telefon als ein zentraler Bestandteil der Kabine hat zum Kino seit dessen Frühphase eine enge Beziehung. Sowohl Film als auch Telekommunikation haben Konzeptionen von An- und Abwesenheit, von Hier und Dort verändert. Die Telefonkabine liefert darüber hinaus als gläserner Raum-im-Raum einzigartige inszenatorische Möglichkeiten – für die unterschiedlichsten Lebenslagen: Für Charlie Chaplin bietet die Telefonzelle in ‹The Idle Class› (1921) einen willkommenen Blickschutz, als er betrunken vergessen hat, seine Hose anzuziehen. Hitchcock lehrt uns das Fürchten, wenn er uns bei einem Vogelangriff zu Gefangenen der Zelle macht. Wir lachen über die Absurdität, als Whoopie Goldberg in ‹Jumpin Jack Flash› (1986) mitsamt der Kabine von einem LKW abgeschleppt wird. Im Drama ‹The Servant› (1963) wird die Kabine zum Ort sexueller Fantasien: ein erotisches Spiel zwischen Anrufer, der Gesprächspartnerin am Telefon und fremden Frauen draussen, die sich an die Zellenscheiben drücken. Joel Schumachers Film ‹Phone Booth› erscheint 2002 dann als Abgesang und Übergang zur Mobiltelefonie zugleich. Denn Serien wie ‹24› zeigen schon ab 2001, welche erzählerischen Veränderungen die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Natels bedeuten. Aber was das Mobiltelefon nicht bietet – und man mag sich dies häufig im Tram wünschen, wenn man ungefragt Teil eines Telefonats von Fremden wird: einen geschützten Raum der Kommunikation, den man von aussen einsehen kann, aus dem man heraus sieht, wo man aber auch gesehen werden kann; einen Raum, der einen Aussenstehenden aber genau deshalb besonders neugierig macht. Unzählige Filme werden uns dankenswerterweise diese Erfahrungen aus unterschiedlichsten Perspektiven bewahren.»

Privatdozentin für Film- und Medienwissenschaft an der Universität Zürich, hielt ihren Habilitations-Probevortrag an der Philosophischen Fakultät zum Thema «Telefonkabine im Film»: «Ein ganzer Film, der nur in einer Telefonzelle spielt? Wie sähe wohl Alfred Hitchcocks unerfülltes Wunschprojekt heute aus? Und was geht mit dem Abbau der Telefonkabinen für den Film verloren? Ein Blick zurück: Das Telefon als ein zentraler Bestandteil der Kabine hat zum Kino seit dessen Frühphase eine enge Beziehung. Sowohl Film als auch Telekommunikation haben Konzeptionen von An- und Abwesenheit, von Hier und Dort verändert. Die Telefonkabine liefert darüber hinaus als gläserner Raum-im-Raum einzigartige inszenatorische Möglichkeiten – für die unterschiedlichsten Lebenslagen: Für Charlie Chaplin bietet die Telefonzelle in ‹The Idle Class› (1921) einen willkommenen Blickschutz, als er betrunken vergessen hat, seine Hose anzuziehen. Hitchcock lehrt uns das Fürchten, wenn er uns bei einem Vogelangriff zu Gefangenen der Zelle macht. Wir lachen über die Absurdität, als Whoopie Goldberg in ‹Jumpin Jack Flash› (1986) mitsamt der Kabine von einem LKW abgeschleppt wird. Im Drama ‹The Servant› (1963) wird die Kabine zum Ort sexueller Fantasien: ein erotisches Spiel zwischen Anrufer, der Gesprächspartnerin am Telefon und fremden Frauen draussen, die sich an die Zellenscheiben drücken. Joel Schumachers Film ‹Phone Booth› erscheint 2002 dann als Abgesang und Übergang zur Mobiltelefonie zugleich. Denn Serien wie ‹24› zeigen schon ab 2001, welche erzählerischen Veränderungen die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Natels bedeuten. Aber was das Mobiltelefon nicht bietet – und man mag sich dies häufig im Tram wünschen, wenn man ungefragt Teil eines Telefonats von Fremden wird: einen geschützten Raum der Kommunikation, den man von aussen einsehen kann, aus dem man heraus sieht, wo man aber auch gesehen werden kann; einen Raum, der einen Aussenstehenden aber genau deshalb besonders neugierig macht. Unzählige Filme werden uns dankenswerterweise diese Erfahrungen aus unterschiedlichsten Perspektiven bewahren.»

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Karl Kronig (62)

Stellvertretender Direktor und Leiter Sammlungen vom Museum für Kommunikation, Bern: «Diese Telefonkabine kommt in unser Depot und wird über unseren Online-Katalog auffindbar sein. Als letzte der Schweiz dokumentiert sie den Abschluss einer über 100-jährigen Ära und ist damit für uns ein wichtiger, erhaltenswerter Zeitzeuge, eine Art Leitfossil der Festnetz-Telefonie. Ich möchte der Beurteilung durch unseren Restaurator nicht vorgreifen, doch wenn es der Zustand zulässt, können wir uns auf das Konservieren des letzten Zustands beschränken und damit die historisch interessanten Gebrauchsspuren mit erhalten. Mit dem Ende der Telefonkabinen kommt schon ein wenig Nostalgie auf, waren sie doch markante Kleinarchitekturen in Stadt und Land, Erinnerungsorte für viele persönliche Erlebnisse. Aus meiner Jugend sind mir vor allem Gerüche von Telefonkabinen, nicht immer die besten, in Erinnerung. In sehr positiver Erinnerung ist mir hingegen eine Kabine in der Nähe meiner damaligen Schule, in der wir die Telefonnummer mit Klopfen auf der Hörergabel hacken und so gratis telefonieren konnten. Der einzige Nachteil war, dass dies vielen Schülern bekannt war und die Warteschlangen entsprechen lang waren. In unserer Sammlung befinden sich dreizehn weitere Kabinen, zwei davon sind permanent in der Ausstellung des Museums für Kommunikation im Einsatz. Vielleicht werden unsere Nachfolger mal eine Ausstellung zu einem Telefonkabinen-Jubiläum planen. Wir sorgen jedenfalls dafür, dass dannzumal eine repräsentative Auswahl an historischen Telefonkabinen zur Verfügung stehen wird. Der Titel ‹Wo bisch?› unserer viel beachteten Handy-Ausstellung von 2010/11 würde irgendwie auch zu einer Schau über Telefonkabinen passen – war sie doch für die, welche unterwegs waren, etwas wie ein mobiles Telefon mit fixem Standort. Je nach Aussengeräuschen dürfte diese Frage oft gestellt worden sein. Und wenn ich mich als Texter versuche, komme ich spontan auf: ‹Die ganze Welt in einer kleinen Kabine.›»

Stellvertretender Direktor und Leiter Sammlungen vom Museum für Kommunikation, Bern: «Diese Telefonkabine kommt in unser Depot und wird über unseren Online-Katalog auffindbar sein. Als letzte der Schweiz dokumentiert sie den Abschluss einer über 100-jährigen Ära und ist damit für uns ein wichtiger, erhaltenswerter Zeitzeuge, eine Art Leitfossil der Festnetz-Telefonie. Ich möchte der Beurteilung durch unseren Restaurator nicht vorgreifen, doch wenn es der Zustand zulässt, können wir uns auf das Konservieren des letzten Zustands beschränken und damit die historisch interessanten Gebrauchsspuren mit erhalten. Mit dem Ende der Telefonkabinen kommt schon ein wenig Nostalgie auf, waren sie doch markante Kleinarchitekturen in Stadt und Land, Erinnerungsorte für viele persönliche Erlebnisse. Aus meiner Jugend sind mir vor allem Gerüche von Telefonkabinen, nicht immer die besten, in Erinnerung. In sehr positiver Erinnerung ist mir hingegen eine Kabine in der Nähe meiner damaligen Schule, in der wir die Telefonnummer mit Klopfen auf der Hörergabel hacken und so gratis telefonieren konnten. Der einzige Nachteil war, dass dies vielen Schülern bekannt war und die Warteschlangen entsprechen lang waren. In unserer Sammlung befinden sich dreizehn weitere Kabinen, zwei davon sind permanent in der Ausstellung des Museums für Kommunikation im Einsatz. Vielleicht werden unsere Nachfolger mal eine Ausstellung zu einem Telefonkabinen-Jubiläum planen. Wir sorgen jedenfalls dafür, dass dannzumal eine repräsentative Auswahl an historischen Telefonkabinen zur Verfügung stehen wird. Der Titel ‹Wo bisch?› unserer viel beachteten Handy-Ausstellung von 2010/11 würde irgendwie auch zu einer Schau über Telefonkabinen passen – war sie doch für die, welche unterwegs waren, etwas wie ein mobiles Telefon mit fixem Standort. Je nach Aussengeräuschen dürfte diese Frage oft gestellt worden sein. Und wenn ich mich als Texter versuche, komme ich spontan auf: ‹Die ganze Welt in einer kleinen Kabine.›»

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Franz Hohler (76)

Schweizer Schriftsteller, dessen neuester Roman «Das Päckchen» (Luchterhand) mit einem Publifon beginnt: «Ich habe immer, wenn ich unterwegs telefonieren musste und eine Kabine sah, diese benutzt – auch als ich schon längst ein Handy hatte. Diejenige Kabine im Bahnhof Olten nannte ich im Scherz ‹mein Oltner Büro›. Die Einstiegsszene zu meinem Roman ‹Das Päckchen› habe ich tatsächlich erlebt: Als ich vom Flughafen Kloten aus vor dem Abflug noch telefonieren wollte, läutete der Apparat neben mir. Ich spielte mit dem Gedanken, abzunehmen – aus Neugier, wer das sein könnte: Der Flughafen ist ja ein Drehpunkt für alle möglichen Geschichten von Abschiedsschmerz bis zu Drogenhandel oder Geldwäscherei. Als das Klingeln aufhörte, nahm ich mir vor: Wenn ich das nochmals erlebe, nehme ich ab. Doch es wollte einfach nicht mehr passieren, und so dachte ich: Dann schreibe ich halt selbst eine Geschichte, in der einer einen solchen Anruf abnimmt. Meine Romanfigur will im Bahnhof Bern ‹von einem der wenigen Telefonapparate› seine Frau anrufen. Letzte Woche war ich wieder dort und sah, dass die drei öffentlichen Telefone in der Unterführung weg waren. Da dachte ich: Ich habe wohl bereits einen historischen Roman geschrieben. Zukünftigen Generationen muss man von Telefonkabinen vermutlich mit der Märchenformel ‹Es war einmal …› erzählen. Mit der Kabine geht ein Erzählort und das Kommunikationsmittel verloren, das man mit anderen teilte ­– Phone Sharing sozusagen, wie das Car Sharing. Aber auch das Handy hat erzähltechnisches Potenzial: Dort wundere ich mich oft, wie schamlos die Menschen ihre privaten Probleme nicht mehr in einer Kabine, sondern auf offener Strasse ausbreiten.»

Schweizer Schriftsteller, dessen neuester Roman «Das Päckchen» (Luchterhand) mit einem Publifon beginnt: «Ich habe immer, wenn ich unterwegs telefonieren musste und eine Kabine sah, diese benutzt – auch als ich schon längst ein Handy hatte. Diejenige Kabine im Bahnhof Olten nannte ich im Scherz ‹mein Oltner Büro›. Die Einstiegsszene zu meinem Roman ‹Das Päckchen› habe ich tatsächlich erlebt: Als ich vom Flughafen Kloten aus vor dem Abflug noch telefonieren wollte, läutete der Apparat neben mir. Ich spielte mit dem Gedanken, abzunehmen – aus Neugier, wer das sein könnte: Der Flughafen ist ja ein Drehpunkt für alle möglichen Geschichten von Abschiedsschmerz bis zu Drogenhandel oder Geldwäscherei. Als das Klingeln aufhörte, nahm ich mir vor: Wenn ich das nochmals erlebe, nehme ich ab. Doch es wollte einfach nicht mehr passieren, und so dachte ich: Dann schreibe ich halt selbst eine Geschichte, in der einer einen solchen Anruf abnimmt. Meine Romanfigur will im Bahnhof Bern ‹von einem der wenigen Telefonapparate› seine Frau anrufen. Letzte Woche war ich wieder dort und sah, dass die drei öffentlichen Telefone in der Unterführung weg waren. Da dachte ich: Ich habe wohl bereits einen historischen Roman geschrieben. Zukünftigen Generationen muss man von Telefonkabinen vermutlich mit der Märchenformel ‹Es war einmal …› erzählen. Mit der Kabine geht ein Erzählort und das Kommunikationsmittel verloren, das man mit anderen teilte ­– Phone Sharing sozusagen, wie das Car Sharing. Aber auch das Handy hat erzähltechnisches Potenzial: Dort wundere ich mich oft, wie schamlos die Menschen ihre privaten Probleme nicht mehr in einer Kabine, sondern auf offener Strasse ausbreiten.»

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Eckart Schörle (48)

Deutscher Historiker und Autor des im August erschienenen Buchs «Eine kleine Geschichte der Telefonzelle» (Schörle-Verlag): «Der Aufbau leistungsstarker Mobilfunknetze und die steigende Zahl der Mobiltelefone führte dazu, dass die Telefonkabinen immer seltener genutzt wurden, bis schliesslich der hohe Aufwand zu deren Unterhaltung nicht mehr tragbar war. Die Telekom AG in Deutschland suchte nach preiswerteren Möglichkeiten, um dem Versorgungsauftrag nachzukommen. Zunächst verschwand die schützende Aussenhaut. Die neuen öffentlichen Fernsprecher verfügten nur noch über Seitenscheiben aus Glas, sodass man beim Telefonieren Wind und Wetter, aber auch der lauten Umgebung schutzlos ausgeliefert war. Schliesslich verzichtete man auch auf die Seitenfenster, übrig blieb ein kümmerliches Basistelefon, das nicht einmal mehr über einen Münzeinwurf verfügte. Bemerkenswert fand ich, dass sich hier zwei Entwicklungen kreuzten: Mit dem Verschwinden der Telefonhäuschen wurde das private Telefongespräch in den öffentlichen Raum getragen, ebenso wie mit der Verbreitung von Handy und Smartphone. Für mich war das der Ausgangspunkt, um mich intensiver mit der Geschichte der Telefonhäuschen zu befassen. Die ersten Telefonkabinen waren noch aus Holz und standen in Hotels oder an der Börse. Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert fanden sie den Weg nach draussen und prägten fortan das Stadtbild. Nun sind die letzten Tage gezählt. In Deutschland wurde im April die letzte gelbe Telefonzelle vom Typ TelH78 abgebaut, jetzt werden in der Schweiz die verbliebenen Telefonkabinen vom Netz genommen. Damit verschwindet ein Erinnerungsort des 20. Jahrhunderts aus unserem Alltag. Aber nicht ganz, denn es gibt auch eine kreative Nachnutzung: als Büchertauschkabine, Discozelle, Aquarium, Dusche oder E-Tankstelle.»

Deutscher Historiker und Autor des im August erschienenen Buchs «Eine kleine Geschichte der Telefonzelle» (Schörle-Verlag): «Der Aufbau leistungsstarker Mobilfunknetze und die steigende Zahl der Mobiltelefone führte dazu, dass die Telefonkabinen immer seltener genutzt wurden, bis schliesslich der hohe Aufwand zu deren Unterhaltung nicht mehr tragbar war. Die Telekom AG in Deutschland suchte nach preiswerteren Möglichkeiten, um dem Versorgungsauftrag nachzukommen. Zunächst verschwand die schützende Aussenhaut. Die neuen öffentlichen Fernsprecher verfügten nur noch über Seitenscheiben aus Glas, sodass man beim Telefonieren Wind und Wetter, aber auch der lauten Umgebung schutzlos ausgeliefert war. Schliesslich verzichtete man auch auf die Seitenfenster, übrig blieb ein kümmerliches Basistelefon, das nicht einmal mehr über einen Münzeinwurf verfügte. Bemerkenswert fand ich, dass sich hier zwei Entwicklungen kreuzten: Mit dem Verschwinden der Telefonhäuschen wurde das private Telefongespräch in den öffentlichen Raum getragen, ebenso wie mit der Verbreitung von Handy und Smartphone. Für mich war das der Ausgangspunkt, um mich intensiver mit der Geschichte der Telefonhäuschen zu befassen. Die ersten Telefonkabinen waren noch aus Holz und standen in Hotels oder an der Börse. Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert fanden sie den Weg nach draussen und prägten fortan das Stadtbild. Nun sind die letzten Tage gezählt. In Deutschland wurde im April die letzte gelbe Telefonzelle vom Typ TelH78 abgebaut, jetzt werden in der Schweiz die verbliebenen Telefonkabinen vom Netz genommen. Damit verschwindet ein Erinnerungsort des 20. Jahrhunderts aus unserem Alltag. Aber nicht ganz, denn es gibt auch eine kreative Nachnutzung: als Büchertauschkabine, Discozelle, Aquarium, Dusche oder E-Tankstelle.»

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Stefan Ulrich (41)

Geschäftsführer Region Olten Tourismus: «Unsere umgenutzte Telefonkabine auf dem Klosterplatz mitten in der Altstadt von Olten SO ist ein richtiger Hingucker und steckt voller Überraschungen: Wenn man die Tür öffnet, beginnt durch den Bewegungsmelder eine einminütige Geschichte, welche die landesweit bekannte Oltner Slam-Poetin Lisa Christ (Bild, rechts) eingespielt hat. Es ist eine sympathische Begrüssung der Gäste mit dem Hinweis, dass unsere schöne Stadt viel mehr zu bieten hat als nur den Bahnhof. Zudem ist in der Kabine eine Rätselbox. Auf Knopfdruck spuckt sie eine Frage aus. Die Rätselbox hat zwei Funktionen: Die einen Fragen richten sich an Kinder, behandeln allgemeine Themen und sind spielerisch in der Umsetzung; die anderen Fragen sind für Erwachsene und nehmen immer Bezug zu einer Geschichte des Schweizer Schriftstellerwegs, von dem die Telefon- bzw. Rätselkabine eine Station ist. Die Besucherinnen und Besucher reagieren stets begeistert, finden die Idee originell und beteiligen sich rege. Allerdings geben nur wenige die Lösung bei uns im Tourist Center ab, obwohl es eine schöne Belohnung gäbe. Auf die Idee für diese Umnutzung kamen wir 2017. Der Rückbau der Telefonapparate erfolgte durch die Swisscom, worauf wir unsere Technik einbauten. Wir machten auch eine neue Abdeckung an der Kabinenrückwand und inszenierten auf den drei Glasfronten einen Buchstabenwirbel. All das kostete uns rund 15'000 Franken – eine gute Investition in die Zukunft der ehemaligen Telefonkabine.»

Geschäftsführer Region Olten Tourismus: «Unsere umgenutzte Telefonkabine auf dem Klosterplatz mitten in der Altstadt von Olten SO ist ein richtiger Hingucker und steckt voller Überraschungen: Wenn man die Tür öffnet, beginnt durch den Bewegungsmelder eine einminütige Geschichte, welche die landesweit bekannte Oltner Slam-Poetin Lisa Christ (Bild, rechts) eingespielt hat. Es ist eine sympathische Begrüssung der Gäste mit dem Hinweis, dass unsere schöne Stadt viel mehr zu bieten hat als nur den Bahnhof. Zudem ist in der Kabine eine Rätselbox. Auf Knopfdruck spuckt sie eine Frage aus. Die Rätselbox hat zwei Funktionen: Die einen Fragen richten sich an Kinder, behandeln allgemeine Themen und sind spielerisch in der Umsetzung; die anderen Fragen sind für Erwachsene und nehmen immer Bezug zu einer Geschichte des Schweizer Schriftstellerwegs, von dem die Telefon- bzw. Rätselkabine eine Station ist. Die Besucherinnen und Besucher reagieren stets begeistert, finden die Idee originell und beteiligen sich rege. Allerdings geben nur wenige die Lösung bei uns im Tourist Center ab, obwohl es eine schöne Belohnung gäbe. Auf die Idee für diese Umnutzung kamen wir 2017. Der Rückbau der Telefonapparate erfolgte durch die Swisscom, worauf wir unsere Technik einbauten. Wir machten auch eine neue Abdeckung an der Kabinenrückwand und inszenierten auf den drei Glasfronten einen Buchstabenwirbel. All das kostete uns rund 15'000 Franken – eine gute Investition in die Zukunft der ehemaligen Telefonkabine.»

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