Corona-Schutzkonzepte werden auf vielen Baustellen ignoriert – die Arbeiter haben Angst
«Wer was sagt, wird entlassen»

Die Schweizer Baufirmen stehen unter Zeitdruck, weil die Bauherren auf ihren Terminen bestehen. Ausbaden müssen es die Arbeiter. Ihre Gesundheit ist in Gefahr.
Publiziert: 29.11.2020 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 25.01.2021 um 23:07 Uhr
In der Pandemie prallen zwei Faktoren aufeinander, die schwer zu vereinbaren sind – die Ansprüche der Bauherren und die Gesundheit der Arbeiter.
Foto: DUKAS
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Danny Schlumpf

Es war später Vormittag. 100 Arbeiter malochten auf der Baustelle, als das Herz ihres Kollegen versagte. Der Mann brach zusammen und starb. Die anderen arbeiteten weiter. «Als ob nichts passiert wäre», sagt der Maurer Markus Roth* (29). «Ich kam mir vor wie im Krieg.»

Bauarbeiter sind harte Kerle, aber gleichgültig sind sie nicht. «Wir stehen unter einem enormen Zeitdruck», sagt Roth. «Und wir ­haben Angst. Corona hat das Klima auf dem Bau vergiftet.»

Der Grund: In der Pandemie prallen zwei Faktoren aufeinander, die schwer zu vereinbaren sind – die Ansprüche der Bauherren und die Gesundheit der Arbeiter.

Das führt zu einem Konflikt, in dessen Zen­trum die Covid-Schutzmassnahmen stehen: Abstand ­halten, Maske tragen, Hände waschen. Diese Regeln sind unerlässlich im Kampf gegen Corona, aber sie behindern die Arbeiter in ihrer Tätigkeit: Sie kosten Zeit. «Nur ­interessiert das die Bauherren nicht», sagt der Maler Ralf Scholz* (41). «Sie bestehen auf den Terminen, die vor Corona abgemacht wurden.»

Zeitplan einhalten statt Abstand

Dazwischen stehen die Baufirmen: Sie sind verantwortlich für die ­Gesundheit ihrer Mitarbeiter, aber sie stehen auch den Bauherren ­gegenüber in der Pflicht. «Diesen Druck geben sie an uns weiter», sagt Scholz. Das habe zur Folge, dass die Schutzmassnahmen kaum mehr eingehalten würden. «Plattenleger, Elektriker, Gipser – häufig drängen sich 20 Männer zusammen in einen Raum, und keiner trägt eine Maske.» Es sei schon möglich, mit Abstand zu arbeiten, sagt Markus Roth. «Aber dann können wir den Zeitplan nicht einhalten. Und das will keiner riskieren.» Dafür würden die Bauleiter sorgen. «Die Botschaft ist klar», sagt Roth. «Ein Anruf genügt, und es sind 20 Temporärarbeiter zur Stelle, um uns zu ersetzen.»

Seit dem Sommer seien die hygie­nischen Zustände immer schlechter geworden, sagt der Kranführer ­Enver Dema* (52). «Zu wenige Baracken, zu wenig Wasser. Es kommt vor, dass sich 50 Arbeiter eine einzige Toilette teilen.» Doch darüber spreche niemand. «Man erwartet von uns, dass wir einfach funktionieren», sagt der Dachdecker Sergio Arantes* (48). «Ich bin ziemlich sicher, dass ich schon Corona hatte.» Aber er weiss es nicht. «Es macht ja niemand einen Test. Alle haben Angst, den Job zu verlieren, sollte der Test positiv sein.»

Markus Roth sagt: «Wir haben viele Leute auf der Baustelle, die krank sind. Niemand weiss, ob sie Grippe haben oder Corona.» Warum drängen die Arbeiter nicht auf die Einhaltung der Schutzmassnahmen? «Wer etwas sagt, wird entlassen», sagt Arantes. «Ich habe das schon mehrmals erlebt.»

Zustände wie vor Corona

Das seien leider keine Einzel­fälle, sagt Nico Lutz (50), Leiter Sektion Bau bei der Gewerkschaft Unia. «Auf vielen Baustellen wird wieder gearbeitet wie in der Zeit vor Corona.» Die Abstände würden häufig nicht eingehalten, die sanitären Einrichtungen seien mangelhaft und es werde viel zu wenig ­getestet. «Hinzu kommt, dass zu wenig kontrolliert wird. Ein Teil der Kontrolleure meldet sich sogar vorher an, dann bringt es gar nichts.» Die Unia fordere die konsequente Einhaltung der Schutzmassnahmen und wirksame Kontrollen, sagt Lutz. «Aber wir stossen gegen eine Wand.»

Bernhard Salzmann (40), Vize­direktor des Schweizerischen Baumeisterverbands, widerspricht: «Der Bau hat den Tatbeweis erbracht, dass die Baustellen sicher betrieben werden. Das zeigen auch die vorliegenden Kontrollergeb­nisse der zuständigen Stellen.» Die Unia bewirtschafte einzelne Ne­gativbeispiele und hoffe wohl, so Mitglieder zu gewinnen. «Doch die Unia wird selber zum Sicherheits­risiko, wenn die Gewerkschaftsfunktionäre wie Covid-Nomaden von Baustelle zu Baustelle tingeln.»

Der Nidwaldner FDP-Ständerat Hans Wicki (56) stösst ins gleiche Horn. «Die Bauwirtschaft unternimmt enorme Anstrengen zur Einhaltung der Schutzmassnahmen», sagt der Präsident von Bauenschweiz, dem Dachverband der Schweizer Bauwirtschaft. «Erkannte Verstösse müssen selbstverständlich korrigiert werden. Aber die heutigen Baustellenkontrollen funktionieren zuverlässig.»

Mängel würden rasch behoben

Seit Ende März hat der Unfall­versicherer Suva den Auftrag, die Einhaltung der Covid-Schutzmassnahmen auf dem Bau zu überprüfen. Doch die Ressourcen des Unfallversicherers sind beschränkt: 45 Kontrolleure sind zuständig für 350'000 Arbeiter auf 30'000 Bauplätzen. Mehr als 600 Stichproben im Monat liegen nicht drin. Adrian Bloch (55) ist Bereichsleiter Bau bei der Suva. Er sagt: «Unsere Erfahrungen im Rahmen des Covid-Kontrollauftrags zeigen, dass die meisten Betriebe die Schutzmassnahmen ernst nehmen und allenfalls festgestellte Mängel rasch beheben.»

Verantwortlich für den Schutz der Arbeiter sind die Kantone. So steht es im Arbeitsgesetz. Wäre es nicht angezeigt, ihr Personal aufzustocken und die Kontrollen selber durchzuführen? Der baselstädtische SP-­Regierungsrat Christoph Brutschin (62) winkt ab. «Die Zusammen­arbeit zwischen Suva und Kantonen ist eng und gut», sagt der Präsident der Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz. «Zudem führen die Kantone durchaus auch selbst zusätzliche Kontrollen auf Baustellen durch.»

Markus Roth, Ralf Scholz und Sergio Arantes haben in diesem Jahr noch keine Kontrolleure auf ihren Baustellen gesehen. Enver Dema ­erinnert sich an zwei Besuche der Suva im Frühling: «Beim ersten Mal überprüften sie die Werkzeuge. Beim zweiten Mal grüssten sie von der Strasse aus.»

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