CEO Andreas Meyer hat Immobilien im Wert von 1,5 Milliarden Franken abgestossen
So verkaufen die SBB unser Land

Die Bahn buhlt im Internet um Käufer – viele Grundstücke und Gebäude gehen an kommerzielle Privatanleger. Und der Bundesrat schaut weg.
Publiziert: 24.03.2018 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 11.06.2020 um 14:36 Uhr
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Thomas Schlittler

Die SBB besitzen 94,4 Millionen Quadratmeter Land. Das ist mehr als die Fläche des Zürichsees, zweieinhalb Mal der Kanton Basel-Stadt. Damit ist die Bahn nach der Armee der grösste Grundbesitzer der Schweiz. Und weil sich der Konzern in der Hand des Bundes befindet, gehören diese Ländereien letztlich dem Volk – also uns allen!

Doch der Land- und Immobilienbesitz der SBB wird Jahr für Jahr kleiner. Denn die Bundesbahnen vermieten ihre Immobilien nicht nur, wie zum Beispiel an der Zürcher Europaallee, sie stossen auch laufend Grundstücke und Objekte ab. Allein 2017 haben die SBB Immobilien im Wert von 203,7 Millionen Franken veräussert. So steht es im neusten Geschäftsbericht, der diese Woche veröffentlicht wurde.

SonntagsBlick-Berechnungen zeigen: Seit CEO Andreas Meyer 2007 das Ruder übernahm, haben die SBB Grundstücke im Wert von über 1,5 Milliarden Franken abgestossen.
Foto: Blick Grafik

Immobilienverkäufe in dieser Grössenordnung sind bei den SBB keine Seltenheit. SonntagsBlick-Berechnungen zeigen: Seit CEO Andreas Meyer 2007 das Ruder übernahm, haben die SBB Grundstücke im Wert von über 1,5 Milliarden Franken abgestossen (siehe Grafik).

Das Geld aus den Immobilienverkäufen blieb zwar im System Bahn. Mit den Erträgen wurde der Unterhalt der Bahninfrastruktur finanziert und die SBB-Pensionskasse saniert – wie vom Bundesrat gefordert. Dennoch stellt sich die Frage: Wäre es nicht nachhaltiger, wenn Andreas Meyer und die SBB alle ihre Immobilien behalten und vermieten würden?
Foto: Keystone
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Die Verkäufe haben massgeblich dazu beigetragen, die jeweiligen Jahresergebnisse aufzuhübschen. Es könnte sogar sein, dass das Tafelsilber verscherbelt wurde, um kurzfristige, eventuell Bonus-relevante Ziele zu erreichen.

Viel Geld für Infrastruktur und SBB-Pensionskasse

Das Geld aus den Immobilienverkäufen blieb zwar im System Bahn. Mit den Erträgen wurde der Unterhalt der Bahninfrastruktur finanziert und die SBB-Pensionskasse saniert – wie vom Bundesrat gefordert. Dennoch stellt sich die Frage: Wäre es nicht nachhaltiger, wenn die SBB alle ihre Immobilien behalten und vermieten würden? Warum setzt man nicht vollständig auf kontinuierliche, ewig sprudelnde Mieterträge statt auf einmalige Verkaufserlöse? Schliesslich steigen die Immobilienpreise in der Schweiz seit Jahrzehnten. Und solange die Bevölkerung weiterwächst, dürfte das auch so bleiben.

Die Zürcher Nationalrätin Jacqueline Badran (56) hält die Immobilienverkäufe der SBB für skandalös. Insbesondere stört die Sozialdemokratin, dass viele Immobilien an kommerzielle Privatanleger verkauft werden. Badran: «Das ist eine Veruntreuung von Volksvermögen!»

Das ist ein harter Vorwurf. Aber wechselten die Immobilien im Milliardenwert, die unter Meyers Ägide bisher verkauft wurden, tatsächlich vom öffentlichen in privaten Besitz? Die SBB geben dazu keine detaillierten Zahlen heraus. «Die Kommunikation über die Geschäfte liegt in den Händen der Käufer, deshalb nennt die SBB keine Namen, sondern nur Orte und Verkaufsvolumen», sagt Sprecher Daniele Pallecchi.

Vieles geht an kommerzielle Private

Allerdings ist bekannt, dass ein beträchtlicher Teil der SBB-Immobilien an kommerzielle Private verkauft wurde: Der Hauptsitz in Bern-Wankdorf zum Beispiel geriet 2015 in die Hände der Pensimo Management AG. Ihre Büros im Westlink Plaza in Zürich-Altstetten traten die SBB 2016 an die Basler Versicherungen ab. Und das altehrwürdige Gotthardgebäude in Luzern gehört seit einigen Monaten der börsenkotierten Investmentgesellschaft Swiss Prime Site.

Auch die Grundstücke, die 2017 veräussert wurden, gingen grösstenteils an Private. SBB-Sprecher Pallecchi: «In Genf verkauften wir mehr als 100’000 Quadratmeter für kommerzielle Nutzungen an private Schweizer Versicherungs- und Immobilienunternehmen sowie einen lokalen Entwickler.»

Initiative verlangt Vorkaufsrecht für Kantone und Gemeinden

Genau solche Verkäufe sind Jacqueline Badran ein Dorn im Auge. Sie hat deshalb zusammen mit anderen die Volksinitiative für «Mehr bezahlbare Wohnungen» lanciert. Die verlangt unter anderem, dass Kantone und Gemeinden ein Vorkaufsrecht haben, wenn bundesnahe Betriebe wie die SBB Grundstücke verkaufen wollen.

Die SBB lehnen diesen Vorschlag ab. «Die Initiative verfolgt zwar nachvollziehbare Anliegen, wir halten sie aber für die falsche Lösung», so Pallecchi. Das geforderte Vorkaufsrecht würde primär für Unsicherheiten und zusätzliche Bürokratie sorgen, ohne dem preisgünstigen Wohnungsbau zu nutzen.

Die SBB wollen ihre Immobilien also weiterhin auch an Private verkaufen können. Das bringt höhere Erträge. Unterstützt werden sie dabei vom Bundesrat, der die Volksinitiative für «Mehr bezahlbare Wohnungen» diese Woche zur Ablehnung empfohlen hat. Die Landesregierung begründet das unter anderem mit folgendem Satz: «Grundstücke der SBB werden in aller Regel nicht veräussert.»

Wie ahnungslos ist man in Bern?

Nur: Wie kommt der Bundesrat zu dieser Aussage? Weiss in Bern niemand, wie viele Grundstücke die SBB in den vergangenen Jahren veräussert haben? Oder hält man 1,5 Milliarden Franken aus Immobilienverkäufen für Peanuts?

Ernst Hauri, Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen, hat die Botschaft des Bundesrats verfasst. Von SonntagsBlick mit der bemerkenswerten Aussage konfrontiert, räumt Hauri ein: «1,5 Milliarden Franken sind eine beeindruckende Zahl. Diese Grössenordnung überrascht mich. Vor diesem Hintergrund ist die Formulierung sicherlich unglücklich.»

An der ablehnenden Haltung zur Volksinitiative ändert sich aber trotz dieses Eingeständnisses nichts. Immerhin stellt SBB-Sprecher Pallecchi in Aussicht, dass man mittelfristig weniger Areale veräussern werde und sie vermehrt selbst entwickeln wolle.

Auf der Homepage von SBB Immobilien ist von diesem Sinneswandel noch nichts zu spüren. Dort frohlocken die Bundesbahnen: «Mittelfristig bringen wir Objekte und Areale mit einem Verkaufsvolumen von circa 1,6 Milliarden Franken auf den Markt.»
Der Ausverkauf geht weiter.

Der Staat ist keine Firma

Der Begriff «Tafelsilber» stammt aus einer anderen Zeit. In Zeitungen und Heftli kam das Wort Ende des 19. Jahrhunderts so richtig in Mode – just zu jener Zeit, als der Bund die grossen Privatbahnen aufkaufte und zu den SBB zusammenschmiedete. Dieser Mega-Investition vorangegangen war ein emotionaler Abstimmungskampf. Gewonnen wurde er mit dem Slogan: «Die Schweizer Bahnen dem Schweizer Volk!»

Ja, das «Tafelsilber» der SBB stammt aus ­einer anderen Zeit. Darf die Bahn es darum einfach verscherbeln? Sie hat in den letzten zehn Jahren Liegenschaften im Wert von 1,5 Milliarden Franken verkauft – an die öffentliche Hand ebenso wie an Private. Auf diese Weise hat SBB-Chef Andreas Meyer seine Bilanz Jahr für Jahr aufgehübscht.

Meyer kann sich auf seinen Auftrag berufen: Der Bundesrat schreibt den Bahnen vor, jährlich 150 Millionen Franken Gewinn aus dem Immobilienbereich in die Infrastruktur zu stecken. Ob das Geld aus Vermietungen oder aus Verkäufen stammt – diesen Entscheid überlässt die Landesregierung den SBB.

Aus dem Postautoskandal haben wir eines in jedem Fall gelernt: Der Pseudokapitalismus unserer Bundesbetriebe setzt gravierende Fehlanreize. Kurzfristige Renditeziele treffen auf scheinbar unendliche Ressourcen – etwa riesige SBB-Ländereien oder milliardenschwere Subventionstöpfe. Der Bund macht den Staatsbetrieben merkwürdige Gewinnvorgaben, die dann auf merkwürdige Weise erreicht werden.
Der Bund muss sein Verhältnis zu den Staatsbetrieben dringend klären. Und seine Rolle als allmächtiger Superunternehmer neu definieren.

Denn natürlich sind die Subven­tionstöpfe nicht unerschöpflich; die SBB-Ländereien sind es ohnehin nicht. Und natürlich gehören die Schweizer Bundesbahnen dem Schweizer Volk, nicht etwa dem Bundesrat und auch nicht Andreas Meyer.

Gieri Cavelty, SonntagsBlick-Chefredaktor
Gieri Cavelty, SonntagsBlick-Chefredaktor

Der Begriff «Tafelsilber» stammt aus einer anderen Zeit. In Zeitungen und Heftli kam das Wort Ende des 19. Jahrhunderts so richtig in Mode – just zu jener Zeit, als der Bund die grossen Privatbahnen aufkaufte und zu den SBB zusammenschmiedete. Dieser Mega-Investition vorangegangen war ein emotionaler Abstimmungskampf. Gewonnen wurde er mit dem Slogan: «Die Schweizer Bahnen dem Schweizer Volk!»

Ja, das «Tafelsilber» der SBB stammt aus ­einer anderen Zeit. Darf die Bahn es darum einfach verscherbeln? Sie hat in den letzten zehn Jahren Liegenschaften im Wert von 1,5 Milliarden Franken verkauft – an die öffentliche Hand ebenso wie an Private. Auf diese Weise hat SBB-Chef Andreas Meyer seine Bilanz Jahr für Jahr aufgehübscht.

Meyer kann sich auf seinen Auftrag berufen: Der Bundesrat schreibt den Bahnen vor, jährlich 150 Millionen Franken Gewinn aus dem Immobilienbereich in die Infrastruktur zu stecken. Ob das Geld aus Vermietungen oder aus Verkäufen stammt – diesen Entscheid überlässt die Landesregierung den SBB.

Aus dem Postautoskandal haben wir eines in jedem Fall gelernt: Der Pseudokapitalismus unserer Bundesbetriebe setzt gravierende Fehlanreize. Kurzfristige Renditeziele treffen auf scheinbar unendliche Ressourcen – etwa riesige SBB-Ländereien oder milliardenschwere Subventionstöpfe. Der Bund macht den Staatsbetrieben merkwürdige Gewinnvorgaben, die dann auf merkwürdige Weise erreicht werden.
Der Bund muss sein Verhältnis zu den Staatsbetrieben dringend klären. Und seine Rolle als allmächtiger Superunternehmer neu definieren.

Denn natürlich sind die Subven­tionstöpfe nicht unerschöpflich; die SBB-Ländereien sind es ohnehin nicht. Und natürlich gehören die Schweizer Bundesbahnen dem Schweizer Volk, nicht etwa dem Bundesrat und auch nicht Andreas Meyer.

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