BLICK trifft Migros-Chef Herbert Bolliger zum letzten Zeitungsinterview – und bringt ihm 10 Geschenke mit
«Es gibt einen Schnitt – und ich bin zufrieden, wenn die Rente kommt»

Herbert Bolliger haut in seinem letzten Interview nochmals kräftig auf die Pauke. Er kritisiert die biologische Landwirtschaft als ineffizient und verschwenderisch, droht der Post mit dem Entzug aller Aufträge und stellt für nächstes Jahr höhere Preise in Aussicht.
Publiziert: 18.12.2017 um 07:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 23:10 Uhr
Interview: Moritz Kaufmann und Guido Schätti

In seinem letzten Interview spricht Bolliger Klartext. So greift er die Post frontal an. Diese spielt Steigbügelhalter beim Einstieg des US-Giganten Amazon in der Schweiz. Sollte sich herausstellen, dass die Post Amazon mit besonders guten Bedingungen ködere, werde die Migros intervenieren. Konkret: Sie werde sämtliche Transportaufträge, welche heute die Post hat, kündigen und neu ausschreiben. Das ist eine happige Drohung an Post-Chefin Susanne Ruoff.

Nach 30 Jahren bei der Migros geht Herbert Bolliger in seine letzte Woche als Migros-Chef. Die Kisten sind schon gepackt.
Foto: Thomas Meier
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Bolliger kritisiert auch die biologische Landwirtschaft. Diese sei ineffizient, teuer und letztlich eine Verschleuderung von Ressourcen. «Mit biologischen Produkten lässt sich die Welt nicht ernähren», sagt Bolliger. Der forcierte Anbau von Bio-Produkten verstärke den Hunger in der Welt.

Laut Bolliger ist die Phase der sinkenden Preise im Detailhandel vorbei. Nächstes Jahr würden zahlreiche Produkte teurer, prophezeit der abtretende Migros-Chef. Angesichts des steigenden Euros hätten die Markenartikel-Hersteller bereits Forderungen nach Preisanpassungen nach oben gestellt.

1) Zügelkiste

BLICK: Herr Bolliger, wir haben Ihnen eine Zügelkiste mitgebracht.
Herbert Bolliger: Da kommen Sie zu spät, ich habe mein Büro schon fast geräumt.

Was lassen Sie zurück?
Alles, was nicht mir gehört natürlich. Und ein paar Personaldossiers übergebe ich meinem Nachfolger Fabrice Zumbrunnen. Der Rest ist weg. Ich habe schon ein paar Abfallcontainer gefüllt. Ich bin nicht der Jäger und Sammler.

Was lassen Sie am liebsten zurück?
Die Verantwortung gebe ich gerne ab. Auch die zeitliche Belastung reduziere ich gerne.

Was nehmen Sie mit nach Hause?
Die Begegnungen mit den Mitarbeitenden. Ich habe 270-mal mit je acht bis zehn Mitarbeitenden zu Mittag gegessen. Da nehme ich vieles mit. Sonst aber nichts. Es gibt einen Schnitt, und ich bin zufrieden, wenn die Rente kommt. Ich werde mich in Zukunft nicht mehr zur Migros äussern.

2) Glitzer

Sie und Ihre Frau waren an vielen Gesellschaftsanlässen dabei. Das wird Ihnen garantiert fehlen! Deshalb haben wir Ihnen ein wenig Glitzer mitgebracht.
Haben Sie eine Ahnung! Das war schön, wird mir aber keine Minute fehlen. Viele Anlässe habe ich schon gar nicht mehr besucht, weil ich genug davon hatte. Es wiederholt sich ständig.

Gingen Sie nur Ihrer Frau zuliebe hin?
Auch sie war kein grosser Fan davon.

Was tun Sie, um nach der Pension nicht in ein Loch zu fallen?
Wir werden betreut von der Personalberatung. Wenn man Probleme hat, kann man sich dort melden. Die Migros schaut schliesslich für ihre Mitarbeitenden.

Für die Direktoren oder für alle?
Für alle natürlich. Man wird vorbereitet auf die Pensionierung. Zwei Jahre zuvor gibt es einen Vorbereitungskurs, zu dem man zusammen mit der Partnerin oder dem Partner eingeladen wird. Ich habe die Unterlagen durchgelesen und gemerkt, dass ich auch noch das eine oder andere regeln muss.

3) Porsche

Sie können nun Ihrem Hobby frönen. Deshalb haben wir Ihnen ein Modellauto mitgebracht. Sie sind ja schliesslich Porsche-Fahrer.
Nicht Fahrer, Fan. Als junger Mann hatte ich mir einen 924er mit Audi-Motor zusammengespart. Alle sagten, das sei kein richtiger Porsche. Für mich war es aber ein Porsche. Mit dem zweiten Kind brauchten wir aber ein grösseres Auto.

Dieses Problem haben Sie jetzt nicht mehr.
Stimmt. Es könnte tatsächlich sein, dass ich mir nun einen richtigen Porsche leiste. 

4) Aktentasche

Eine andere Idee: Sammeln Sie Verwaltungsratsmandate! Die Aktentasche haben wir dabei.
Danke. Das eine oder andere Mandat werde ich sicher annehmen. Ich habe auch schon eines in Aussicht. Welches verrate ich sicher nicht im BLICK.

Ihr grosser Rivale, Ex-Coop-ChefHansueliLoosli, hat sich gewichtige Mandate geschnappt. Er ist sowohl Swisscom- wie Coop-Präsident. Können Sie ihn toppen?
Nein, sicher nicht. Das ist mir aber auch völlig egal. Die Rivalität bestand darin, wer das bessere Retail-Geschäft hat. Das hat eindeutig die Migros. 

Im Kerngeschäft haben Sie also gewonnen?
Selbstverständlich. Man muss sich nur die Entwicklung der Marktanteile ansehen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Loosli?
Was reden Sie immer von Loosli? Der Chef von Coop ist Joos Sutter.

Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?
Mein Verhältnis ist zu beiden gut. Im Geschäft ist es wie im Sport: Auf dem Spielfeld schenkt man sich keinen Millimeter, aber danach trinkt man zusammen ein Bier. Auf der persönlichen Ebene hatten wir bei aller Rivalität nie ein Problem.

Was hat Coop besser gemacht als die Migros?
Da müsste ich tagelang überlegen. Spontan fällt mir nichts ein.

Bei Bio ist Coop stärker.
Mit dem M-Sano-Projekt haben wir schon in den 80er-Jahren den Einsatz von Pestiziden und Insektiziden reduziert. Daraus entstand die Integrierte Produktion, die IP, die gleichzeitig effizient und nachhaltig ist. Das ist der richtige Weg. Bio hingegen ist eine Nische. Damit kann man die Welt nicht ernähren.

Ist Bio nur etwas für Reiche?
Reich oder Arm ist nicht das Thema. Bio ist nicht ressourceneffizient. Es beansprucht zu viel Boden, und die Ernteausfälle sind zu gross. Sicher sind die Produkte gesund, aber das sind IP-Produkte auch. Beim Anbau von Lebensmitteln muss man die Balance zwischen Effizienz und Ökologie finden. So gesehen ist Bio nicht das Heilmittel. Wenn alle Menschen Bio wollen, hat ein grosser Teil der Bevölkerung nichts mehr zu essen. Die Preise würden massiv steigen. Wir hätten gravierende Verteilungskämpfe.

5) Pflaster

Bleiben wir bei der Gesundheit – wir haben auch Pflaster mitgebracht. Jetzt kann man bei der Migros schon zum Arzt. Ist es noch gesund, wenn die Migros von der Wiege bis zur Bahre alles abdeckt?
Särge verkaufen wir ja keine. Bei der Gesundheit legen wir den Schwerpunkt auf die Prävention, also auf gesunde Ernährung und Bewegung. Krankheit ist erst der letzte Teil. Mit unseren Gesundheitszentren leisten wir einen Beitrag, um die Kosten unter Kontrolle zu halten. Wir können den stationären Bereich entlasten.

Will die Migros die Ärztezentren ausbauen?
Auf jeden Fall. Wir wollen ein flächendeckendes Netz von Gesundheitszentren. Nach der Ostschweiz gehen wir nun nach Westen. In Genf haben wir beim Bahnhof bereits ein Zentrum eröffnet. Die Standorte zu finden, ist aber einfacher als gute Ärzte. Wir eröffnen nur, wenn wir diese haben. Bei der Qualität machen wir keine Abstriche.

Wollen die Ärzte für die Migros arbeiten?
Doch, sie arbeiten sehr gerne bei uns. Wir bieten moderne Arbeitsverhältnisse, die Ärzte können auch mal Ferien machen oder Teilzeit arbeiten. Das ist sehr attraktiv.

Wird die Cumulus-Karte zur Patientenkarte?
Nein. Die beiden Welten Detailhandel und Gesundheit müssen völlig getrennt bleiben. Alles andere wäre verantwortungslos.

Gab es Bereiche, bei denen Sie sagten, hier steigen wir nicht ein?
Sicher. Den Einstieg in den Betrieb von Spitälern und Altersheime haben wir vertieft angeschaut, aber davon Abstand genommen. Es wären nur Investitionen in Immobilien gewesen.

Und Krankenkassen?
Haben wir auch geprüft, aber der Markt ist so stark reguliert, dass es kaum Spielraum gibt, etwas besser zu machen. Wenn die Regulierung ändert, etwa der Vertragszwang wegfällt, würden wir das aber sicher wieder anschauen.

6) Hanteln

Wir haben Ihnen auch Hanteln mitgebracht. Sie werden bereits regelmässig im Fitnesscenter gesichtet. Jetzt haben Sie noch mehr Zeit.
Dieses Modell braucht meine Frau zum Walken. Ich werde sicher besser planen können und muss nicht mehr zu den Stosszeiten gehen. 

7) Duschgel

Auch ein Shampoo haben wir dabei, ein L’Oréal-Produkt. Diese haben Sie schon mal aus dem Regal genommen, weil Ihnen die Preise zu hoch waren.
Ich sehe nicht ein, weshalb man für ein Markenprodukt in der Schweiz doppelt so viel bezahlen soll wie im Ausland. Da ist genau dasselbe drin! Klar, wir haben teurere Vertriebswege. Ein Zuschlag von 20 oder 30 Prozent kann man erklären. Alles darüber nicht.

Die Fair-Preis-Initiative will Schweizer Händlern die Möglichkeit geben, im Ausland einzukaufen. Dennoch unterstützt die Migros die Initiative nicht.
Ich finde das Anliegen der Initiative gut. Es macht aber keinen Sinn, wenn die Migros in einem politischen Komitee mitmacht.

Inzwischen hat sich der Franken deutlich abgeschwächt. Der Euro ist nicht mehr bei 1.05 Franken, sondern bei 1.17. Steigen jetzt die Preise?
Ja. Bei den in Euro bezahlten Frischprodukten ist das bereits der Fall. Hier schlägt sich der Wechselkurs 1:1 nieder. Früher oder später kommt das auch bei den Hartwaren. Die ausländischen Markenhersteller stellen bereits ihre Forderungen. Deshalb ist zu befürchten, dass nächstes Jahr bei den aus dem EU-Raum importierten Produkten die Preise steigen.

Kehren dafür die Einkaufstouristen zurück?
Zurück nicht. Aber sie gehen nicht noch mehr nach Deutschland zum Einkaufen. 

8) Migros-Budget-Kaugummi 

Unser nächstes Geschenk ist ein M-Budget-Kaugummi. Die Linie war Ihre Antwort auf den Markteintritt von Aldi und Lidl. Deren Erfolg konnte Sie aber nicht verhindern.
M-Budget gibts schon viel länger. Seit 21 Jahren! Aber klar waren wir froh, dass wir sie hatten, als die Harddiscounter kamen. Coop hat sie ja dann kopiert. Wir brauchen eine Preis-Einstiegslinie. Zudem ist M-Budget Kult und kommt bei der Beliebtheit der Marken nur wenig hinter Migros.

Trotzdem kamen die Deutschen und breiteten sich rasant aus.
Ich würde nicht sagen rasant. Am Anfang ging es schleppend. Aber auch dieses Jahr werden wir es wieder schaffen, dass Denner grösser ist als die anderen beiden zusammen. Es ist das erklärte Ziel von Denner-Chef Mario Irminger, dass er 50 Prozent des Discount-Markts halten will. Das ist sehr anspruchsvoll, aber ich finde es super, dass er den Kampf annimmt.

Aldi und Lidl haben die Migros kopiert.
Sie lernen logischerweise vom Besten. Das würde ich auch so machen. Ich würde denen einfach noch empfehlen, dass sie das Kulturprozent einführen. Dann würden sie auch noch einen Beitrag zur Kultur und zum Sozialen in der Schweiz leisten.

Der nächste grosse Konkurrent steht schon vor der Tür: Amazon will in die Schweiz!
Ja, deshalb stossen wir das Wachstum bei unseren Onlinehändlern Digitec und Galaxus auch so an. Dieses Jahr werden sie wieder deutlich zweistellig wachsen. Es wäre gefährlich, wenn wir nur mittelmässig wären, wenn Amazon kommt. So aber haben wir eine gute Ausgangslage.

Was wird Amazon in der Schweiz verändern?
In Deutschland sind sie unheimlich stark. In der Schweiz werden wir sehen. Wir sind ein kleines Land mit drei Sprachen. Es gibt viele Herausforderungen. Wir sind ja nicht EU, die Verzollung …

… die ja jetzt die Post für Amazon übernehmen soll.
Genau. Sehr problematisch wäre, wenn der Staatskonzern Amazon bessere Konditionen bieten würde. Ich erwarte von der Post: Der, der die höchsten Volumen bringt, muss auch den besten Preis bekommen.

Also Zalando?
Ich behaupte, dass wir der grösste Paketkunde der Post sind. Mit Digitec, Exlibris, Le Shop und all unseren Fachmärkten haben wir sicher mehr Volumen als Zalando. Und ich erwarte von der Post, dass da ein Volumen-Rabatt herausschaut. Sollte herauskommen, dass Amazon bessere Preise hat als wir, würden wir intervenieren! 

Wie?
Wir würden alle Aufträge neu ausschreiben und auf andere Anbieter zugehen.

Haben Sie Anzeichen, dass ausländische Onlineshops besser behandelt werden als die Migros?
Nein. Aber ich formuliere einfach meine Erwartungen an die Post, die eine starke Partnerin der Migros ist.

9) Monte-Generoso- Kuchen

Ein weniger belastetes Thema: Migros hat letztes Jahr das neue Restaurant auf dem Monte Genereso eröffnet. Finden Sie nicht, dass es aussieht wie eine Handgranate?
Ach was, es sieht aus wie eine Steinblume! Wir hatten verschiedene Vorschläge für den Neubau. Aber erst Mario Botta hat eine wirklich überzeugende Idee gebracht. Mir gefällt der Bau sehr gut. Zudem gibt es dort einen exzellenten Weinkeller ...

10) Champagner

Das Stichwort für unser Abschiedsgeschenk: einen Champagner. Den mussten wir aber im Coop kaufen.
Sie wären besser zu Denner gegangen. Dort wäre er günstiger gewesen.

Warum haben Sie nie Alkohol eingeführt in der Migros? Das hätte Ihnen massiv Umsatz gebracht.
Das hat nichts mit Umsatz zu tun, sondern mit Grundsätzen. Es gab vor langer Zeit mal eine Urabstimmung unter den Genossenschaften. Die Romands waren dafür, die Deutschschweizer dagegen. Also wurde diskutiert, ob man nur in der Romandie Alkohol verkaufen soll. Schliesslich kamen auch die Romands zum Schluss: Die Migros darf man nicht spalten.

Ihr Nachfolger Fabrice Zumbrunnen ist Romand!
Auch er wird keinen Alkohol verkaufen. Es bräuchte ja eine Statutenänderung. Das heisst: In jeder Region müssten die Genossenschafter mit einem qualifizierten Mehr Ja sagen.

Mit anderen Worten: Sie würden gern, aber die Basis lässt Sie nicht.
Sicher nicht. Da bin ich unheimlich konservativ. Keinen Alkohol zu verkaufen, ist Teil der Migros-Identität. Würden wir das plötzlich tun, wäre das tödlich für das Vertrauensverhältnis zu den Kunden. An der Identität der Migros darf man nicht schrauben.

Migros-Urgestein

Herbert Bolliger (64) stand 30 Jahre in den Diensten der Migros. Der Betriebswirtschafter leitete die Finanzen der Migros Bern, war Informatik-Chef der Gruppe und Geschäftsleiter der Migros Aare. 2005 wurde er Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB). Unter Bolliger kaufte die Migros den Discounter Denner und baute die Bereiche Gesundheit und Sport massiv aus. Jeden Freitag traf sich der Aargauer mit zehn bis zwölf Mitarbeitern zum Mittagessen im 19. Stock des Migros-Hochhauses am Limmatplatz in Zürich. Mit Ehefrau Beatrice hat er zwei erwachsene Kinder.

Herbert Bolliger (64) stand 30 Jahre in den Diensten der Migros. Der Betriebswirtschafter leitete die Finanzen der Migros Bern, war Informatik-Chef der Gruppe und Geschäftsleiter der Migros Aare. 2005 wurde er Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB). Unter Bolliger kaufte die Migros den Discounter Denner und baute die Bereiche Gesundheit und Sport massiv aus. Jeden Freitag traf sich der Aargauer mit zehn bis zwölf Mitarbeitern zum Mittagessen im 19. Stock des Migros-Hochhauses am Limmatplatz in Zürich. Mit Ehefrau Beatrice hat er zwei erwachsene Kinder.

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