Bars und Clubs kämpfen ums Überleben – Murat Erbudak (47) muss aufgeben
«Miete und Warenkosten brachten Fass zum Überlaufen»

Gleich zwei beliebte Musikbars im Zürcher Langstrassenquartier machen dicht. Auch in anderen Schweizer Städten kämpfen Bars und Clubs ums Überleben. Schuld sind die steigenden Kosten, etwa bei den Mieten und beim Wareneinkauf. Aber auch das veränderte Ausgehverhalten.
Publiziert: 20.05.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 20.05.2024 um 11:18 Uhr

Murat Erbudak (47) macht einen wehmütigen Eindruck in seiner leeren Musikbar «Der Kern» mitten im Zürcher Langstrassenquartier. An der Wand hinter ihm: ein Countdown. Fast 14 Jahre lang war er jeden Tag hier, hat Konzerte von lokalen Bands und DJs organisiert, Bier gezapft, Drinks gemixt. Nun ist Schluss, Erbudak gibt den Betrieb auf. 

Unter anderem wegen einer Mietzinserhöhung. «Das war mit ein Grund, der das Fass zum Überlaufen brachte», erzählt er beim Besuch von Blick. Gleichzeitig sind auch die Preise im Wareneinkauf massiv gestiegen. «Zusammen war das einfach nicht mehr tragbar.»

Vielen steht das Wasser bis zum Hals

Erbudak ist damit nicht alleine: Keine 200 Meter entfernt schloss der «Sender» vor einem Monat seine Türen. Das Lokal war gleichzeitig ein Veranstaltungsort für Konzerte und Partys und das Studio des Internet-Radios GDS.FM. «Am Ende des Monats blieb praktisch nie etwas übrig», bedauert Betreiber Christian Gamp (37). Er und seine Partner verzichteten teils auf den eigenen Lohn, um das Lokal über Wasser zu halten. «Trotzdem wurde es zunehmend schwierig, die Kosten zu decken – am Ende fehlten im Monat bis zu 10'000 Franken.»

Murat Erbudak führte die Musikbar «Der Kern» im Zürcher Langstrassenquartier fast 14 Jahre lang.
Foto: Georg Nopper
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Der Sender kassierte zwar – anders als Der Kern – keine Mietzinserhöhung. Aber die Miete machte schon immer einen verhältnismässig grossen Anteil bei den Fixkosten aus. Und der teurere Wareneinkauf, die höhere Mehrwertsteuer, die steigenden Versicherungsprämien und Strompreise machten dem Lokal schliesslich trotzdem den Garaus. Nur das Radio, das durch Vereinsmitgliedschaften finanziert wird, läuft weiter. 

Das Sterben der Bar- und Clubbetriebe ist kein reines Zürcher Phänomen, wie eine Umfrage in anderen Schweizer Städten zeigt. Aus Bern, Luzern und Basel heisst es unisono: Vielen Betrieben im Nachtleben steht das Wasser bis zum Hals.

Alkoholfreies Bier statt massenhaft Cocktails

Schuld sind nicht alleine die steigenden Kosten – sondern auch ein verändertes Ausgehverhalten. Die jüngere Generation legt mehr Wert auf einen gesunden Lifestyle. Murat Erbudak schenkte in den vergangenen Jahren deutlich mehr alkoholfreies Bier aus als früher, besonders an die Jungen. «Sie trinken vielleicht ein bis zwei Cocktails, gehen dann aber frühzeitig nach Hause.» Das gesteigerte Gesundheitsbewusstsein sei grundsätzlich begrüssenswert, hält Erbudak fest. «Aber die Gäste bleiben weniger lang und konsumieren weniger.»

Zum Verhängnis wird das gerade jenen Betrieben, die nicht nur auf Trinken und Party setzen – sondern auf Kultur. «Es funktioniert nicht mehr, dass mit Alkoholverkauf Kultur wie elektronische Musik und Konzerte finanziert wird», sagt dazu Christian Gamp vom Sender.

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«Überall stehen teure Wohn- und Geschäftshäuser. Für eine kleine Musikbar sind die Mieten dort unerschwinglich.»
Murat Erbudak (47), Betreiber der Zürcher Musikbar «Der Kern»
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Das veränderte Ausgehverhalten der Jungen hat auch mit der Corona-Pandemie zu tun: Wer im Lockdown erwachsen geworden ist, hat auch heute nicht das Bedürfnis, jedes Wochenende feiern zu gehen, heisst es aus der Branche. «Die Jungen gehen eher einmal im Monat in den Ausgang, dafür wollen sie dann etwas richtig Grosses erleben», sagt dazu Jean-Marc Lüthy. Er sitzt im Vorstand der Schweizer Bar und Club Kommission (SBCK).

Grosse Clubs und Veranstalter, die ganze Festivals oder ausgefallene Day Raves auf die Beine stellen, profitieren davon. Kleinere, traditionelle Clubs mit Resident DJs oder intimen Konzerten haben das Nachsehen. Ohne zusätzliche Subventionen haben Kulturbetriebe im Nachtleben keine Chance mehr, sind die Betreiber überzeugt. «Die Orte, wo man ein solches Projekt vielleicht realisieren könnte, gibt es heute gar nicht mehr», sagt dazu Murat Erbudak vom Kern. «Diese Gebäude wurden alle abgerissen. Jetzt stehen dort überall teure Wohn- und Geschäftshäuser. Und für eine kleine Musikbar sind die Mieten dort erst recht unerschwinglich.» Christian Gamp vom Sender ergänzt, man müsste wenn, dann in die Aussenquartiere ausweichen: nach Altstetten, Schlieren oder Leimbach. Gentrifizierung lautet das Stichwort.

Macht das Basler Modell schweizweit Schule?

Basel zeigt, dass es auch anders gehen könnte: Ende 2020 sagte das Basler Stimmvolk Ja zur sogenannten «Trinkgeld-Initiative». Sie schreibt vor, dass 5 Prozent des Basler Kulturbudgets in die Jugend- und Alternativkultur fliessen. Eine direkte Förderung der Nacht- und Clubkultur – das ist schweizweit einzigartig.

Davon können die Betreiber in Zürich nur träumen. In Murat Erbudaks Bar sind mittlerweile alle Felder des Countdowns abgehakt. In der Nacht auf Samstag ging die letzte Stange über den Tresen. Noch ein allerletztes Mal bringt er die leeren Flaschen weg. Dann ist «Der Kern» Geschichte.

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