Arbeitgeber mit brisanten Forderungen
Arbeiten bis 70 gegen akuten Fachkräftemangel

Die Forderungen des Arbeitgeberverbands haben Zündstoff: Unter anderem sollen Angestellte nicht nur mehr, sondern auch bis zum 70. Lebensjahr – in manchen Fällen gar darüber hinaus – arbeiten.
Publiziert: 24.04.2023 um 16:55 Uhr
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Aktualisiert: 24.04.2023 um 17:06 Uhr
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Ulrich RotzingerWirtschaftschef

Der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet, die Arbeitslosenquote derzeit bei tiefen 2,0 Prozent. Selbst jene Unternehmen und Organisationen, die Personen beim Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt helfen, klagen über mangelnde Arbeitskräfte. «Wir bekommen momentan wenig Anmeldungen vom RAV oder von den Sozialämtern, weil der erste Arbeitsmarkt so dringend nach Fach- und Hilfskräften sucht», sagt Daniel von Holzen (61), der die Märkte und Läden bei Caritas Luzern leitet, im Blick.

Der Fachkräftemangel hat sich zum grössten Bremsklotz für die Schweizer Wirtschaft entwickelt, heisst es beim Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV). «Schon jetzt bleiben rund 120'000 Stellen unbesetzt. Diese Entwicklung wird sich noch deutlich verschärfen», schreiben die Arbeitgeber in einer Mitteilung. Um den Wohlstand zu halten und den Fachkräftebedarf in den kommenden Jahren zu sichern, schlägt der Verband acht Massnahmen vor. Darunter auch brisante Forderungen.

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Arbeitszeit erhöhen

Laut Arbeitgeberverband arbeitet die erwerbstätige Bevölkerung 14 Tage pro Jahr weniger als noch vor zehn Jahren. «Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen wir das geleistete Arbeitsvolumen erhöhen, statt über eine weitere Senkung nachzudenken», sagt Daniella Lützelschwab, Leiterin des Ressorts Arbeitsmarkt beim SAV. Dabei gelte es, bestehende Fehlanreize zu beseitigen und politische Vorstösse zur Reduzierung der Arbeitszeit abzulehnen.

Weiterarbeiten bis 70 statt 65 Jahren? Der Arbeitgeberverband um ...
Foto: Keystone
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Arbeit muss sich lohnen

Das Angebot an Drittbetreuungsplätzen in der Schweiz sei ungenügend. «Zum einen fehlt es vielerorts gänzlich an einem Angebot, und zum anderen sind die bestehenden Plätze zu teuer», so die Arbeitgeber. Kindertagesstätten und Horte müssen laut Verband stärker gefördert werden. «Jeder staatliche Franken, der die Kinderbetreuung subventioniert, muss in zusätzliche Arbeit oder Aus- und Weiterbildung fliessen und nicht in mehr Freizeit.»

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Länger Arbeiten

Europaweit hat die Schweiz eines der tiefsten Rentenalter. Schweizerinnen und Schweizer würden im Schnitt mit 65 Jahren in Rente gehen. Abhilfe böten eine generelle Erhöhung des Rentenalters und Modelle, um bis 70 Jahre oder länger zu arbeiten. Ziel: Ältere Arbeitnehmer zu einem längeren Verbleiben im Arbeitsmarkt zu verhelfen.

Mehr Lohn statt längeres Arbeiten

Die Arbeitgeber fordern eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten, unter anderem Arbeiten bis 70. «Die Arbeitgeber wollen das Rad der Zeit zurückdrehen», kontert der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) die Arbeitgeber-Forderungen. Laut diesem wären die Folgen der Flexibilisierung mehr Stress und Burnouts. «Nicht gerade förderlich für die Attraktivität von Arbeitsplätzen», so die Gewerkschafter. Der SGB stimmt den Arbeitgebern darin zu, dass die öffentliche Hand mehr Verantwortung bei den Kitas übernehmen muss. «Darüber hinaus braucht es aber zeitgemässe Arbeitszeiten und Löhne», heisst es weiter. Wer eine Lehre habe, solle mindestens 5000 Franken verdienen. Generell: Lohnerhöhungen sind laut dem Verband überfällig. (uro)

Die Arbeitgeber fordern eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten, unter anderem Arbeiten bis 70. «Die Arbeitgeber wollen das Rad der Zeit zurückdrehen», kontert der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) die Arbeitgeber-Forderungen. Laut diesem wären die Folgen der Flexibilisierung mehr Stress und Burnouts. «Nicht gerade förderlich für die Attraktivität von Arbeitsplätzen», so die Gewerkschafter. Der SGB stimmt den Arbeitgebern darin zu, dass die öffentliche Hand mehr Verantwortung bei den Kitas übernehmen muss. «Darüber hinaus braucht es aber zeitgemässe Arbeitszeiten und Löhne», heisst es weiter. Wer eine Lehre habe, solle mindestens 5000 Franken verdienen. Generell: Lohnerhöhungen sind laut dem Verband überfällig. (uro)

Mehr
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Mehr Wertschätzung

Die Berufsbildung, insbesondere die arbeitsmarktorientierte höhere Berufsbildung, habe mehr Wertschätzung und Anerkennung verdient. Unsere immer komplexere Arbeitswelt benötige nicht immer zwingend akademische Ausbildungen. Dies soll bereits den Jugendlichen vermittelt werden. Der Arbeitgeberverband: «Die Talentförderung in der Berufsbildung soll noch sichtbarer werden, damit der Berufsstolz gesteigert werden kann und die Berufe an Ansehen gewinnen.»

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Bildungsentscheide bewusster fällen und steuern

Die Arbeitgeber warnen vor dem Trend zu Mini-Pensen und vermehrt «interessensgesteuerter» Studienwahl. Diese führe zu ineffizienten Bildungsentscheiden (über 25 Prozent Abbrüche an Schweizer Universitäten) und schwierige Übergänge in den Arbeitsmarkt. Der Verband fordert eine verbindliche Verankerung der Studienberatung in der Oberstufe. Akademikerinnen und Akademiker sollen laut Arbeitgeber ihre Studienkosten amortisieren müssen.

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Auf Zuwanderung setzen

Klar, das inländische Fachpersonal kann besser ausgeschöpft werden. Allerdings müsse eine arbeitsmarktgetriebene Zuwanderung weiterhin möglich sein.

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Arbeitszeiten flexibler gestalten

Gemäss Verband ist das bestehende Arbeitsgesetz überaltert und muss stärker auf die heutigen und künftigen Bedürfnisse und Forderungen der Arbeitnehmenden und Arbeitgeber ausgerichtet werden. «Dazu gehört auch eine Lockerung der strengen Arbeitszeitregelungen, damit beispielsweise berufstätige Eltern nach der mit den Kindern verbrachten Zeit die liegengebliebene Arbeit auch am Abend – ausserhalb der ordentlichen Bürozeiten – beenden können.»

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Menschen mit Beeinträchtigungen im Arbeitsmarkt halten

Heute würden noch zu viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund von psychischen oder physischen Einschränkungen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. «Der Prävention und dem ressourcen- anstatt defizitorientierten Denken sowohl bei physischen als auch bei psychischen Einschränkungen am Arbeitsplatz kommt eine tragende Rolle zu», schreibt der SAV.

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