Airbnb-Gründer Nate Blecharczyk
«Ich habe mehr als Tausend Gäste beherbergt»

Nate Blecharczyk ist seit Stunde eins bei Airbnb dabei. Der Strategiechef der Plattform über KI, die Schweiz und seine – vermietete – Wohnung.
Publiziert: 14.11.2023 um 19:54 Uhr
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Fabienne Kinzelmann
Handelszeitung

Für einen US-amerikanischen Tech-Unternehmer gehört Nathan «Nate» Blecharczyk praktisch schon zum alten Eisen. Statt im Hoodie schaltet sich der 40-jährige Airbnb-Mitgründer im weissen Hemd aus Barcelona zum Video-Interview zu. «Ich bin mit meiner Familie für neun Monate auf Reisen», sagt der Strategiechef der US-amerikanischen Apartment-Plattform, «darum bin ich so formell, ich habe aktuell nicht alle Optionen aus meinem Kleiderschrank zur Verfügung.»

Für die Sache von Airbnb brennt der US-Amerikaner seit der Gründung vor 16 Jahren. Durch den Börsengang von Airbnb im Dezember 2020 wurde Blecharczyk wie seine zwei Mitgründer zu einem reichen Mann. Das US-Magazin «Forbes» schätzt sein Vermögen auf 7,9 Milliarden Dollar.

Herr Blecharczyk, in wie vielen Airbnbs haben Sie selber schon übernachtet?
Nate Blecharczyk:
Das müssen Hunderte sein. Mal von mir gebucht, mal von meiner Frau. Allein in den letzten fünfzig Tagen habe ich siebenundvierzig Nächte in acht oder neun verschiedenen Airbnbs verbracht. Ich bin definitiv ein aktiver Gast und auch sehr gerne Gastgeber. In den sechzehn Jahren habe ich mehr als tausend Gäste beherbergt.

Nate Blecharczyk, Co-Gründer und Strategiechef Airbnb: «Wir denken bei uns gar nicht so gross an die Konkurrenz.»
Foto: PD

Wir könnten also selber einfach so beim Airbnb-Strategiechef daheim einchecken?
Klar. Selbst während ich auf dieser Reise bin. Ich halte mein Profil im Gegensatz zu unserem CEO Brian Chesky eher unter dem Radar, aber die Möglichkeit, mein Haus zu buchen, besteht. Manche Leute erleben dann unerwartet die Überraschung, dass ihr Airbnb-Gastgeber auch einer der Gründer ist. Und für mich ist es eine grossartige Möglichkeit, nahe an beiden Seiten unseres Produkts zu bleiben.

Sie waren zweimal am WEF in Davos. Haben Sie dort auch ein Airbnb gebucht?
Ja, an eines erinnere ich mich besonders!

Weil es so teuer war? Die Preise während des WEF sind ja berüchtigt …
(Lacht) Mein Team hat es ausgesucht, da müsste ich nachfragen. Ich erinnere mich eher daran, weil es so eine hübsche Unterkunft war, zu der man mit einem Funicular, einem kleinen Bähnchen, hinfahren konnte.

Die volle Schweiz-Experience also. Themenwechsel: Ihr Mitgründer und CEO Brian Chesky räumte in einem Interview mit dem «Spiegel» vor einigen Monaten ein, dass Airbnb vom Kurs abgekommen sei und sein Kerngeschäft vernachlässigt habe. Etwa, dass die Gastgeber selbst anwesend sind. Stimmen Sie zu?
Das war eines der wichtigsten Dinge, die wir in der Pandemie gelernt haben. Wir mussten gerade zu Beginn einige schwierige Entscheidungen treffen, weil die Tourismusbranche so stark betroffen war. Wir mussten Mitarbeitende entlassen und konnten damit eben auch nicht mehr weitermachen wie vorher.

Was heisst das konkret?
Wir haben uns gefragt: Was ist uns am wichtigsten? Wenn wir nur die Hälfte der Firma behalten könnten – welche Hälfte wäre das? Das hat uns daran erinnert, dass die Gastgeber das sind, was Airbnb ausmacht. Darauf wollten wir uns wieder fokussieren. Auch wenn das bedeutete, dass wir auf Dinge verzichten mussten, die vielleicht gute Entwicklungsmöglichkeiten gewesen wären, aber eben nicht unser Kerngeschäft – Flüge, ein Magazin, Hotels zum Beispiel. Das hat gut geklappt. Seither hauen wir alle sechs Monate Produkt-Updates raus, die wirklich das betreffen, worum es uns geht.

Zum Beispiel?
Das «Private-Rooms-Update». Gastgeber offerieren ein Extrazimmer in ihrem eigenen Zuhause und sind während des Aufenthaltes auch präsent. So haben wir ja auch mit Airbnb angefangen, aber während der Pandemie war das weniger sichtbar, weil es den Leuten weniger um günstige Unterkünfte als mehr um Privatsphäre ging. Ein anderes Feature ist der «Host Passport», der den Gastgeber einer Unterkunft im Angebot mehr hervorhebt. Gäste können vor der Buchung erfahren, wer er oder sie ist, was derjenige arbeitet oder was seine Hobbys sind. Und das hat Synergien mit unserem ursprünglichen Angebot.

Künstliche Intelligenz erlebt gerade einen Boom. Welche KI-Tools nutzen Sie bei Airbnb?
Wir haben soeben einen neuen Service für unsere Gastgeber und Gastgeberinnen freigeschaltet, den wir «Fototours» nennen. Dazu muss man wissen: Für jedes unserer sieben Millionen Objekte werden grob gesagt zwanzig oder mehr Bilder gezeigt. Wir haben insgesamt 175 Millionen Bilder auf der Plattform. Das ist eine ziemliche Menge, die man als Gastgeber nun besser organisieren kann. KI erkennt bei jedem Bild, was da gezeigt wird. Ist es die Küche, ist es das Schlafzimmer, ist es das Wohnzimmer?

Und was bringt das den Besuchern der Website?
Bei einer Menge von zwanzig Bildern und mehr ist es für Besucherinnen und Besucher der Website oft nicht klar, was sie da gerade sehen. Der KI-gestützte Fotorundgang organisiert das betreffende Objekt nach Räumen, was besser zeigt, was diese erwarten können.

Sie erwähnen die sieben Millionen Objekte. Das Spezielle an Airbnb ist ja: Das Angebot besteht aus lauter Individuen, das Unternehmen kann die Häuser und Apartments nicht selber gestalten. Müsste Airbnb nicht selbst Unterkünfte gestalten?
Das ist ja eben gerade die Kraft unserer Plattform: Wir könnten niemals selbst sieben Millionen Objekte bauen. Allein im letzten Jahr kam mehr als eine Million neue Angebote hinzu.

Für den Start könnten es ja auch mal fünftausend sein.
In der Vergangenheit jedenfalls gab es Pläne bei Airbnb, selbst Wohnungen zu gestalten und zu bauen. Es stimmt, dass wir bei unserem Marktplatzmodell keine ganz direkte Kontrolle haben. Aber durch unser Bewertungssystem können wir Anreize setzen, dass die Hosts ihre Gäste noch mehr ins Zentrum rücken. Das ist unsere Priorität. Selbst Objekte zu bauen, gehört nicht dazu. Das können, wenn schon, unsere Gastgeberinnen und Gastgeber tun, wenn sie wollen.

Wie läuft das Geschäft in der Schweiz?
Wir haben hier 25’000 Gastgeberinnen und Gastgeber, die meisten davon sind «individuelle Anbieterinnen und Anbieter». Im Trend liegen längere Aufenthalte und Reisen, die verstärkt in ländliche Gebiete führen. Das Ländliche performt stark. Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres registrieren wir zudem 50 Prozent mehr Suchanfragen von Schweizer Reisenden. Die Topdestinationen sind dabei die Schweiz selbst, gefolgt von Frankreich, Deutschland und Portugal. Wenn es weiter weg gehen soll, werden wärmere Orte wie Thailand oder Hongkong stark nachgefragt.

Wir Schweizerinnen und Schweizer sind ja der Meinung, nicht Airbnb habe das Apartment-Sharing erfunden. Sondern das Schweizer Unternehmen Swiss Chalets (heute Interhome), gegründet 1965 von den Schweizer Tourismuspionieren Bruno Franzen und Werner Frey. Die Schweizer haben es erfunden – stimmen Sie dem zu?
Die Geschichte des Teilens reicht Hunderte Jahre zurück. Manche Länder haben ihre eigene und ganz spezifische Sharing-Kultur ...

Wir haben es also nicht erfunden. Aber Airbnb auch nicht.
Es ist doch grossartig zu sehen, dass die Schweizerinnen und Schweizer ihre ganz eigene Sharing-Kultur haben! Und es ist wohl so, dass auch wir nicht die Erfinder waren. Aber was Airbnb mit Erfolg geschafft hat: Das Konzept des Teilens zu skalieren und es damit in den Mainstream zu bringen. Mit dem Konzept der Bewertungen und der sicheren Bezahlmethoden konnten wir die Barriere senken und Vertrauen aufbauen.

Wer ist Ihr grösserer Konkurrent: Plattformen wie Booking.com und Expedia, die ebenfalls stark auf Apartments setzen? Oder Regulatoren grosser Städte, welche die Entwicklung von Airbnb beschränken wollen?
Wir denken bei uns gar nicht so gross an die Konkurrenz. Sondern eher an den bisher unadressierten Markt, an das ganze Potenzial, das noch brachliegt. Es gibt noch so viele Menschen, die unseren Dienst noch gar nie benutzt haben, weder als Gastgeber noch als Gast. Es gibt noch ein enormes Aufwärtspotenzial, das wir mit weiteren Innovationen erschliessen können. Der Kuchen wird in den nächsten Jahren immer grösser, für alle. Was uns dabei einzigartig macht: Bei uns steht das Sharing im Mittelpunkt. Und wir sind die Einzigen, die ein ganzes Geschäftsfeld spezifisch auf genau diesem Boden aufgebaut haben.

Trotzdem: Regulatoren haben ein Auge auf Airbnb.
Je stärker wir Mainstream werden, desto stärker werden wir ins Regulierungsgefüge integriert. Das ist uns bewusst, und das wollen wir nicht umgehen. Solange es Lösungen sind, die dem gesunden Menschenverstand folgen.

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