Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Züri brännt

Nur Tage nach der Nabelschau der Hochfinanz steht der Sportkanton Zürich vor einer historischen Erfolgswelle. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 01.05.2022 um 11:11 Uhr

Der Zürcher Zunftball ist vorbei, die Pferdeäpfel sind zusammengewischt, ein Böögg ist explodiert, die anderen haben ihre lustigen Gwändli wieder gegen die Bundfaltenhosen eingetauscht und gehen ihren spekulativen Bankgeschäften nach.

Aber Züri brennt weiter lichterloh. Im Sport! In einer Stadt, die wohl als einzige Metropole weltweit noch kein vernünftiges Fussballstadion hat. In der das Opernhaus mit Millionen subventioniert, der Sport aber insgesamt doch eher stiefmütterlich behandelt wird.

Eine Stadt, in der man den Nobelklub GC mangels Geldgeber aus den Reihen der berittenen Zünfter an die Chinesen verscherbeln musste. In einer Stadt, die vor Kapital zu explodieren droht. In einem Land, in dem ein Quartalsverlust (!) der Nationalbank von mehr als 30 Milliarden zur Kenntnis genommen wird, ohne dass jemand mit der Wimper zucken würde. Ein Klacks.

Blick-Reporter Felix Bingesser schreibt die SonntagsBlick-Kolumne Übrigens.
Foto: Thomas Meier
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Es sind bewegende Tage für Zürich. Nach der gockeligen Nabelschau der Hochfinanz haben nur Tage später die Büezer Hochkonjunktur. Der Arbeiterklub FCZ kann den Titel ausgerechnet am 1. Mai klarmachen. Der ZSC ebenso. Am Tag der Arbeit, am Tag des Klassenkampfes.

Spannt man den Bogen noch etwas weiter, dann steht der Sportkanton Zürich vor einem historischen Erfolg. Kloten ist bereits aufgestiegen, der FC Winterthur kann nachziehen. Die vier Meister in den beiden wichtigsten Mannschaftssportarten könnten alle aus demselben Kanton kommen. Ein empirisch belegter Weltrekord! Ein goldener Zürcher Sportfrühling!

Und trotzdem kommt etwas Wehmut auf. Man kann vom Sechseläuten, von gewissen Kreisen als Bonzenfasnacht bezeichnet, halten, was man will. Traditionen zu pflegen, ist ja im Grundsatz etwas Wunderbares.

Ein anderer Kopf auf dem Böögg

Man kann auch vom Sport, insbesondere vom Büezer-Sport Fussball, halten, was man will. Und seine gesellschaftliche Inspiration und seine integrative Kraft schätzen oder nicht. Anlass für verklärten Fanatismus und für Gewaltfantasien darf das eine und das andere nicht sein.

Denn die traurigste Erkenntnis dieser Tage ist die, dass sowohl am Sechseläuten als auch bei den kommenden Meisterfeiern kombiniert mit dem 1. Mai ein gigantischer Sicherheitsriegel mit Hundertschaften von Polizisten aufgezogen werden musste und aufgezogen werden muss.

Dass man diesem 1. Mai überall nicht voller uneingeschränkter Vorfreude, sondern mit einem mulmigen Gefühl entgegenblickt. Das ist, unabhängig von ideologischen Haltungen, das Armutszeugnis unserer Gesellschaft.

Gerade in Zeiten wie diesen, in denen jedem wieder einmal vor Augen geführt wird, dass ein friedliches und tolerantes Neben- und Miteinander alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.

Der Böögg beim Sechseläuten ist explodiert. Angesichts der beelendenden Lage in Europa hätte man sich aber einen anderen Kopf da oben auf dem Scheiterhaufen gewünscht. Zum Beispiel jenen von W. P. aus M. im Staate R.


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