Winkt Federer hier letztmals den Wimbledon-Fans zu?
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Abschied nach Viertelfinal-Out:Winkt Federer hier letztmals den Wimbledon-Fans zu?

«Noch ein Jahr, Roger!»
Gott ist er schon, lasst ihn jetzt auch Mensch sein

Gibt es den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt eines Sportlers? Nein, so lange das Feuer brennt und die Knochen halten, gibt es wichtigere Dinge als blosse Resultate.
Publiziert: 09.07.2021 um 19:23 Uhr

Als Roger Federer nach dem Viertelfinal-Out in Wimbledon enttäuscht vom Center Court lief und dem Publikum applaudierte und zuwinkte, noch nicht wissend, ob das ein definitiver Abschied von seinem Lieblingsort sein wird, gaben die Fans ihrer Liebe Ausdruck: «One more year, one more year!», skandierten sie.

Ob der Maestro tatsächlich noch einmal zurückkehrt an diesen Ort seiner grössten Triumphe, oder ob das 0:6 im letzten Satz gegen seinen Bezwinger, den 24-jährigen Hubert Hurkacz, als letztes sportliches Resultat stehen bleibt? Wir wissen es noch nicht. Federer wird sich das gut überlegen und auf seinen brillanten Instinkt hören und auf die Menschen, die ihm am nächsten stehen.

Simis ewiger Traum vom Fliegen

Läuft er Gefahr den richtigen Zeitpunkt für den Abgang zu verpassen? «Den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt gibt es nicht», pflegt der zweifache Doppel-Olympiasieger Simon Ammann zu sagen. Obwohl Simi seit Jahren den grossen Resultaten und Weiten hinterher hüpft, bereut er nichts. Skispringen ist ein Rausch. Die Erfüllung des ewigen Traums vom Fliegen. So einen Traum gibt man nicht einfach auf. Ammann umschreibt es so: «Ich mag dieses abwechslungsreiche Leben, Sport auf Spitzenniveau zu betreiben und nebenbei noch meinen Kopf herauszufordern.» Also tüftelt und springt er weiter – auch mit 40.

Vielleicht muss man unterscheiden zwischen Mannschaftssport und Einzelsport. Hätte Jogi Löw nach dem Weltmeistertitel 2014 als Nationaltrainer Deutschlands aufhören sollen? Im Nachhinein gesehen ja, er wäre als ewiger Held und Sieger in die Geschichte eingegangen und die deutsche Nationalelf hätte sich vielleicht nicht so krass in die Sackgasse bewegt. Aber Löw hätte all die schönen, intensiven, emotionalen Momente und lehrreichen Erfahrungen so nicht machen können, er findet nicht, dass er den Absprung verpasst habe: «Für mich ist es der richtige Zeitpunkt, den Stab weiterzugeben», sagte er bei der Rücktritts-PK.

Ebenso bitterer wie fairer Moment des Schweizers: Federer gratuliert seinem Besieger Hubert Hurkacz herzlich zu dessen Dreisatzsieg.
Foto: DUKAS
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«Ja, es war nötig»

Hätte Muhammad Ali rechtzeitig aufhören sollen? Sicher hätte er sich gesundheitlich einiges erspart. Aber seine hilflosen, bemitleidenswerten letzten Auftritte im Ring konnten seinem Ruf, seinem Ruhm, seinem Platz in der Geschichte letztlich nichts anhaben. Genauso ist es bei Michael Schumacher. War es denn nötig, dass er 2010 noch einmal ein Comeback im Cockpit geben musste, das drei Jahre später mit dem 13. Platz im WM-Klassement endete? Ja, es war wohl nötig. Nicht für jeden ist es die sportliche Erfüllung, auf dem Höhepunkt abzutreten. So wie es beispielsweise Boxer Rocky Marciano 33-jährig tat, als er 1956 unbesiegt als Schwergewichtschampion den Ring verliess.

Wer also darf sich das Recht herausnehmen, den Sportlern zu sagen, wann sie aufhören sollen? Solange sie diese Leidenschaft antreibt, der Hunger nach Ruhm, nach Applaus, das intensive Leben auf der grossen Bühne geniessen können, solange es die Gesundheit zulässt und sie niemandem einen Platz wegnehmen oder Schaden zufügen, ist das allein ihre Entscheidung.

Roger Federer hat in Wimbledon auch dieses Jahr Geschichte geschrieben. Er ist der älteste Viertelfinalist aller Zeiten. Dass viele das als Misserfolg werten, zeigt nur, wie gross dieser Mann ist, wie gross die Erwartungen an ihn sind. Doch sind Resultate im Falle einer solchen Legende tatsächlich noch das Wichtigste? Können wir uns nicht damit begnügen, dass wir ihn weiter sehen werden auf dem Tennisplatz? Seine schwerelose Noblesse, seine genialen Momente, sein vorbildliches Auftreten, seine sympathischen Interviews nach den Spielen?

Egal, was jetzt noch kommt

Ist es nicht eine neue Herausforderung für ihn, dass er sich ohne die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit des Siegens durch die Turniere kämpfen muss? Vielleicht sogar jedes zweite Spiel verliert, aber vielleicht auch noch einmal zum grossen Schlag ausholt? Ist es für die Fans nicht verdammt aufregend, diese neue Reise ins Ungewisse mitzumachen? Sogar Rivale Novak Djokovic würde sich freuen: «Ich möchte, dass Roger und Rafa so lange wie möglich weiterspielen, da sie eine der grössten Quellen meiner Motivation sind.»

Federer muss niemandem mehr etwas beweisen. Er wird als einer der Allergrössten in die Sportgeschichte eingehen. Egal, was jetzt noch kommt. Hoffen wir, dass er weitermacht und wir ihn weiter begleiten können, auch auf ungewohnten Pfaden. Gott ist er schon, lasst ihn jetzt auch Mensch sein.

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