Federer greift in Stuttgart wieder an
«Manchmal geht mir die Kritik zu weit»

Als würde Zeit keine Rolle spielen, stellt sich Roger Federer (36) nach seinem dritten Training in Stuttgart ausgiebig den Fragen der Schweizer Presse. Nach seiner langen Abstinenz ist die Neugierde natürlich gross: Wie geht es King Roger vor dem Einstieg in die so wichtige Rasensaison?
Publiziert: 12.06.2018 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 06:27 Uhr
Cécile Klotzbach aus Stuttgart

BLICK: Roger Federer, Ihre Planung für Stuttgart war dieses Mal eher kurzfristig. Warum haben Sie so lange offen gelassen, hier zu spielen?
Roger Federer:
Ehrlich gesagt, wir waren uns teamintern nicht ganz sicher, was das Beste ist. Wichtig ist für mich: Wieviel ist zu viel? Braucht es zwei Turniere vor Wimbledon? Es stand 60:40 für Stuttgart. Aber ich kann ja auch mal etwas flexibel sein und mit Entscheidungen abwarten. Am Ende dachte ich, es ist besser, hier zu spielen. 

Gehören spontane Entscheidungen zum zunehmenden Alter?
Nein, es ist eher umgekehrt. Für mich ist es besser zu wissen, was kommt. Wenn möglich plane ich voraus. Was ich keinesfalls möchte, ist Zusagen und dann kurzfristig zurückziehen – das wäre Zuschauer «verseckle». Das habe ich in den letzten zehn Jahren ganz gut hinbekommen, dafür bin ich bekannt und das soll auch mein Image bleiben. Auch ein Turnier muss die Sicherheit haben, dass Federer kommt, wenn er zusagt. 

Ausserdem können Sie hier wieder die Nummer 1 werden ...
Logisch, daran hätte ich sehr Freude! Nur schon nach Rotterdam erneut die Chance zu haben, an einem kleineren Turnier die Nummer 1 zu werden, ist sehr interessant. Ich könnte wieder Geschichte schreiben, den Rekord noch einmal hochschrauben. Wir reden hier über Weltrekorde – logisch sind die auch mein Ziel. Aber Vorsicht, Schritt für Schritt! Nach drei Monaten Pause wird es nicht logisch sein, hier gleich den Final zu erreichen oder zu gewinnen. Es ist sehr gefährlich, beim ersten Match gegen Mischa Zverev zu spielen.

Roger Federer beim Training in Stuttgart.
Foto: imago
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Roger Federer erklärt sich beim Interview in Stuttgart.
Foto: Foto: MercedesCup / Paul Zimmer

Auch darum ist es doch gut, zwei Turniere vor Wimbledon zu spielen – sie könnten ja auch wie letztes Jahr Ihren ersten Rasen-Match verlieren.
Genau das fand auch meine Mannschaft! Was wäre, wenn ich in Halle gleich verliere? Ausserdem gehört auch das Feeling bei den Trainings mit den verschiedenen Spielern dazu – Vorgestern mit Kohlschreiber, gestern mit Berdych, heute mit Bemelmans. Aber ich trat schon in Wimbledon ohne Matchpraxis an – wenn du viel und konzentriert trainierst, geht das schon auch. Ist es ein grosser Unterschied, wenn du nun ein oder zwei Matches à zwei Sätze gespielt hast? Vielleicht ist es besser als keiner, ja... Es ist jedenfalls ok so und es gibt mir weniger Druck, weder in Stuttgart noch in Halle.

Haben Sie viel auf Rasen trainiert, oder mussten Sie oft auf Hartplatz ausweichen?
Nur, wenn es zu viel geregnet hat für den Rasen. Aber das ist auch okay. Ich spiele lieber auf einem Hartplatz als auf einem halbnassen Rasen. Der ist nur selten richtig trocken, meistens, vor allem früh morgens, ist er halt feucht. Dann trainierst Du fast nur Aufschlag, Return, Aufschlag, Return. Auf Hartplatz kannst Du wieder richtig durchziehen und dich gut bewegen. Das machst du dann automatisch auch besser auf Rasen. Dort musst du mehr aufpassen, fängst manchmal an, die Bälle nur zu schieben. Zudem hast du mehr Muskelkater.

Wo haben Sie Muskelkater?
Im unteren Rücken und im Gesäss. Die erste Reaktion auf Rasen ist immer, nach vorne und tief runter gehen. Von dieser brutalen Explosivität und ständigen Anpassung wirst du schnell müde. Aber das ist jetzt vorbei. Ich hatte bei weitem genug Rasentraining und bin ready.

Wie spüren Sie das älter werden? 
Habe ich ein Problem, dann bleibt es länger. Tat mir früher was weh, wars schon am nächsten Tag 50 Prozent besser, nach zwei Tagen nochmal 25 Prozent, danach spürte ich vielleicht noch was, war aber schon fast wieder bei 100 Prozent. Heute kann ein Problem bis zu einer Woche oder mehr dauern. Und sonst? Vielleicht brauche ich mehr Schlaf. Wenn die Verausgabung gross ist und immer viel los ist, brauche ich minimal acht, neun Stunden. Aber vielleicht habe ich früher einfach immer mehr geschlafen – ich hatte ja sonst nichts zu tun, da liegen die zehn Stunden immer drin. (lacht) 

Was war das Problem bei Ihren Niederlagen in Indian Wells und Miami?
Ich spürte im Verlauf der beiden Turniere, dass ich immer passiver wurde, mich nicht mehr recht getraut habe, in den Return zu steigen. Aber Indian Wells ist halt manchmal schwierig, der Ball springt dort extrem ab. Und in Miami ist es sehr windig. Blöd gelaufen, eine Runde weiter hätte ich mehr Rhythmus bekommen. Aber dies sind Momente, die mir zeigen: Jetzt brauche ich wieder mal Zeit für anständiges Training, um wieder richtig gut zu spielen, den Arm laufen lassen und mich alles getrauen.

Wimbledon 2013, Sergey Stakhovsky (ATP 116) vs. Roger Federer (ATP 3) 6:7, 7:6, 7:5, 7:6
Foto: Blicksport
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War ihre Turnierpause nun erholsam oder immer noch zu kurz?
Es war trotz allem sehr busy. Ich wünsche mir immer noch, ich hätte mehr Tage frei gehabt. Das Schöne ist, wenn du eine Woche hast und nicht weisst, was du machen sollst. Trainieren, nur Kaffee trinken, oder mit den Kindern in den Wald gehen? Oft ist aber trotzdem alles mit Tennis, Konditionstraining usw. durchgeplant und die zwei Monate gehen sehr schnell vorbei. Dass es dennoch erholsam ist, merke ich manchmal erst jetzt, wenn ich wieder hier sitze und Lust auf Interviews, Autogramme und den ganzen Rummel habe. Dass ich mich darauf wieder freuen kann, ist was vom Besten an der Pause.

Sie wechseln jetzt von Familien- auf Turniermodus. Fällt Ihnen das immer leicht? 
Ich muss mich schon etwas zurückbesinnen, vor allem jetzt, wenn die Matches kommen. Es tönt fast etwas amateurhaft, aber manchmal vergesse ich schier, meine Füsse zu tapen, oder wieder zwei Paar Socken anzuziehen. Im Training mache ich das nicht. Und dann merke ich auf einmal beim Aufwärmen: Oh, jetzt habe ich fast keine Zeit mehr dafür. Dabei hatte ich jetzt drei Monate, mich darauf vorzubereiten! Ich muss wieder den Turnier-Rhythmus finden. Aber ich bin froh, wieder unter den Spielern zu sein, das ist eine schöne Abwechslung, wenn du lange weg warst.

Keine Wehmut, jetzt wieder weniger Zeit für die Kinder zu haben?Nein, das gehört dazu. Ich hatte jetzt ja eine schöne Zeit mit der Familie und in den Ferien mit Mirka, den Kindern und Freunden. Hier in Stuttgart ist es eh kein Problem, ich bin ja dermassen nah von zuhause. Sollte es dort irgendein Problem geben, könnte ich noch heute Abend heimfahren und morgen wieder zurückkommen. Das wäre nicht total verrückt.

Roger Federer mit einem seiner Zwillings-Söhne am Strand in Miami.
Foto: Omid Davarian/freshfocus
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Sie sprachen bereits von nächster Sandsaison. Bedeutet es, dass sie nächstes Jahr sicher noch spielen?
Ja (lacht), das haben Sie richtig interpretiert! Ich gehe davon aus, dass ich noch spielen werde, das ist zumindest der Plan. Aber eine Garantie gibt es nicht, wenn du älter wirst. Erst recht nicht für die Sandsaison. Es ist offen, noch immer auf dem Tisch. Aber wenn ich wieder auf Sand spielen würde, dann müsste ich mehr als nur in Paris antreten. Will ich dort siegen, oder zumindest eine kleine Siegeschance haben, müsste ich zwei, drei Turniere vorher spielen. Niemand in meinem Team würde gerne sehen, wenn ich nach so langer Absenz unvorbereitet in eine Sandsaison starten würde. Die Vorbereitung würde im Prinzip schon im Dezember stattfinden. 

Wie reagieren Sie auf Kritik über Ihr Überspringen dieser Sandsaison?
Es herrscht Meinungsfreiheit – jeder darf sagen, was er will! Ich bin sicher nicht mit denen einverstanden, die sagen, ich solle doch einfach mal spielen. Schön, ist Roger da – und dann wird er abgemetzelt. Ich habe höhere Ansprüche, will, dass die Leute auch auf Sand den besten Roger Federer spielen sehen. Ich bin ja gut, aber ich brauche schon Vorbereitung, dass ich mit allen mithalten kann. Die Leute vergessen manchmal, dass es alles nicht so simpel ist. Und wie schon gesagt: Ich habe auch noch vier Kinder, mit denen ich Zeit verbringen will! Kann also nicht alle meine Träume erfüllen. Aber, entschuldigung, ich bin fast zwanzig Jahre auf der Tour, habe sie 17 Jahre lang voll von Januar bis November durchgespielt! Nicht wie Hewitt oder Roddick, die manchmal eine Saison ausgelassen haben, weil die Reise zu weit ist... Meine Verletzung machte dann klar: Will ich länger auf der Tour bleiben – und man sollte meinen, dass dies auch besser für die Tour ist – muss ich Pausen einlegen. Ich verstehe den Frust mancher Turnierdirektoren – selbst von denen, für die ich schon viel getan habe. Aber ich finde auch, dass sie mich schützen könnten und sagen sollten: Roger darf frei entscheiden! Manchmal geht mir die Kritik etwas zu weit.

Er wolle nicht arrogant sein, doch er mache sich keine Sorge über künftige Berufsmöglichkeiten, so Federer.
Foto: Foto: MercedesCup / Paul Zimmer

Sie spielen hier in Stuttgart mit einem neuen Racket, haben Sie etwas daran geändert?
Nein, das ist nur ein kosmetischer Wechsel mit Wilson. Das war sehr einfach, denn es ist das gleiche Material. Mein letzter Wechsel zum schwarzen Schläger fühlte sich anders an. Aber den machte ich in der Phase, als ich verletzt war – ich hatte Monate, um mich anzugewöhnen.

Mit ihrem Kleider-Ausrüster Nike ist Ihr Vertrag abgelaufen. Wie stark sind Sie in diese Verhandlungs-Prozesse involviert?
Sehr stark natürlich. Nach so vielen Jahren habe ich mich schon sehr häufig über mehrere Jahre durch Vertragsverhandlungen gespielt. Also nichts Neues im Westen.

Machen Sie sich bei solchen Vertragsabschlüssen auch Gedanken über Ihre Zukunft? In die Wirtschaft zu wechseln oder Ähnliches?Jein. Eigentlich will ich nicht daran denken, mir so wenig wie möglich verbauen für später. Ich will das ganze Konstrukt noch gar nicht gebaut haben. Aber sobald ich Verträge für fünf, zehn Jahre oder länger unterschreibe, stelle ich mir die Frage, ob ich auch in Zukunft mit diesen Partnern zusammenarbeiten will, also schon. Alles weitere blocke ich innerlich ab – auch als Schutz für mich und die Familie. Wichtig ist erst einmal, dass ich nachher zur Ruhe komme, Zeit für die Kinder habe und flexibel bin. Ohne jetzt arrogant sein zu wollen: Ich habe das Gefühl, es werden sich genügend Möglichkeiten für mich ergeben.

Um den Rhythmus auf Rasen wieder zu finden, trainiert Federer mit Berdych.
Foto: imago

Was ist Ihre Meinung über das Walliser Nein zu Olympia in Sion 2026?
Ich habe gespürt, dass es so kommt. Ich denke, die Schweiz ist nicht ready für Olympia, wir haben das Vertrauen in Grossanlässe, das IOC und deren Grössenwahn verloren. Es ist alles etwas zu weit, zu gross unterdessen, und wir glauben nicht mehr an die Nachhaltigkeit. 

Sie persönlich auch?
Ich sehe es schon auch so, dass es überall zu gross wird. Wie auch bei der Fifa. Bei Sommerspielen kann ich den Gigantismus schon mehr nachvollziehen, aber bei Winterspielen finde ich es wichtig, dass wir zurück zu den Ressourcen kommen. Es gibt nicht viele Destinationen, wo man hingehen sollte. Es müssen solche sein, wo der Sport zelebriert wird – von dem her wäre die Schweiz zwar prädestiniert gewesen. Deshalb hoffe ich, dass es eines Tages doch möglich ist, dass Olympia in der Schweiz durchgeführt wird. Aber das Timing dafür muss perfekt sein. Im Moment habe ich es nicht richtig gespürt, das war schon mit dem Plan im Bündnerland so. 

Die letzten sechs Grand-Slam-Titel sind unter Ihnen und Nadal verteilt – sind Sie beide zu gut, oder die anderen zu schwach?
Ein Mix von beidem vielleicht ... Die Generation um Dimitrov und Raonic hat uns nicht abgelöst, mal sehen wie stark die Zverev-Generation sein wird. Aber es ist schon unglaublich! Wenn wir fit sind – und dazu zähle ich auch Djokovic, oder Murray und Stan – ist es wohl schwer für die Gegner. Sie müssen ja durch alle von uns durch, wenn sie ein Major gewinnen wollen. Eine solche Konstellation gab es wohl noch nie. Ausserdem gab es früher mehr Sand-, Rasen- oder Hartplatz-Spezialisten. Heute können wir auf allen Belägen dominieren. Da ist es fast undenkbar, dass ein 17-jähriger Emporkömmling wie Boris Becker in Wimbledon alle überrascht. 

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