Holdener erwischt Schlag auf den Ski und scheidet aus
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Nach bester Zwischenzeit:Holdener erwischt Schlag auf den Ski und scheidet aus

Viel Lob nach Holdener-Drama
«Wendy hat eine grosse Reife und verlässt die WM erhobenen Hauptes»

Wie bitter ist das denn? Wendy Holdener (29) ist beim WM-Slalom drauf und dran, Gold zu holen. Dann scheidet sie aus. Tränen fliessen, doch sie stellt sich und reist mit zwei Silbermedaillen ab.
Publiziert: 18.02.2023 um 20:24 Uhr

Tränen, nichts als Tränen. Sie kullern Wendy Holdener (29) ständig über die Wangen. Die Schwyzerin wischt sie vor jedem Gespräch mit den Journalisten weg, atmet durch und beantwortet die Fragen. Dabei macht sie überall Halt – zuerst bei den TV-Stationen, dann bei den Radios und schliesslich bei den Reportern der schreibenden Zunft. Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann: «Das war ein Spiessrutenlauf, den ich keinem Sportler wünsche. Aber genau das zeichnet Wendy aus, auch wenn es schwierig ist. Sie hat eine grosse Reife und Offenheit und darf diese WM erhobenen Hauptes verlassen.»

Zwei Silbermedaillen hat Holdener in Méribel gewonnen, je eine in der Kombination und beim Parallel-Einzelrennen. In diesem Moment, nach ihrem Ausfall im WM-Slalom, ist dies aber kein Trost. Kein Wunder: Nachdem Holdener im ersten Lauf als Einzige mit US-Star Mikaela Shiffrin (27) mitgehalten hat, will sie Gold. Und genau so fährt sie: angriffig, präzise, technisch brillant. Die erste Zwischenzeit ist bereits gut, die zweite grandios: 1:22,74 Minuten. Bei der vor ihr gestarteten Kanadierin Laurence St-Germain (28) stoppt die Zeit bei 1:23,46. Und bei Shiffrin, die als Führende in den zweiten Lauf geht, sind es 1:23,29. «Ich habe mich richtig gut bewegt und die Ski trotz der Spuren in der Falllinie behalten», erzählt sie. Holdener ist kurz davor, erstmals bei einem Grossanlass WM-Gold im Slalom zu holen.

Doch dann, im Bruchteil einer Sekunde, löst sich Holdeners Traum in Schall und Rauch auf. Im schattigen Teil der Piste erwischt sie bei einer Rechtskurve einen Schlag, der Innenski greift, der Aussenski liegt in der Luft, Holdener verliert die Balance und verpasst ein Tor. Am Ende gewinnt St-Germain, Shiffrin wird Zweite und Lena Dürr (De) Dritte. Für Holdener bleibt der Frust. «Wendy war die Stärkste am Berg», sagt Lehmann. Doch was nützt es, wenn man es nicht über die Ziellinie bringt?

Die Enttäuschung ist kaum in Worte zu fassen: Holdener scheidet mit dem WM-Titel vor Augen aus.
Foto: Sven Thomann
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Fast wie bei der WM 2019

Bereits bei der WM 2019 in Are (Sd) war Holdener in einer ähnlichen Ausgangslage gewesen. Damals hatte sie nach dem ersten Durchgang geführt und ging «all-in», wie sie oft sagt. Also: volles Risiko. Belohnt wurde sie nicht, schon nach wenigen Toren war sie draussen. Vier Jahre später ist das Bild ähnlich. Oder noch bitterer, fehlen doch nur noch 15 Tore bis zum Ziel. «Es wäre richtig geil gewesen, wenn es aufgegangen wäre», sagt sie im Wissen, dass der Konjunktiv nichts zählt. Holdener betont, dass ihr so kurz nach dem Rennen nicht klar ist, was passiert sei. «Ich wusste, dass der Lauf unten schnell wird. Dass der Untergrund so unruhig sein würde, hätte ich nicht erwartet. Ich muss das Ganze im Video analysieren.»

Sicher ist: Das Betrachten der TV-Bilder wird schmerzen. Holdener weiss, dass sie eine grosse Chance verpasst hat. Ihre Teamkollegin Aline Danioth (24) wird starke Sechste und meint: «Es tut mir leid für Wendy. Aber Slalom ist so eine Psycho-Disziplin, alles geht so schnell und man ist draussen.» Und Holdener? Sie lächelt zum Abschluss des Gesprächs und meint mit feuchten Augen: «Es ist alles okay, wie es ist.» Dann bittet sie um Entschuldigung und geht.

«Mir tut die Fahrt von Wendy richtig weh»
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Emotionen nach verpasstem Gold:Danioth: «Mir tut die Fahrt von Wendy richtig weh»

Kanadierin schafft Sensation

Strahlen kann dagegen St-Germain. Sie gewinnt völlig überraschend und schreibt eine der grössten Sensationen der WM-Geschichte. Die 28-Jährige aus der Region Québec kann ihr Glück kaum fassen. «Ich bin im siebten Himmel. Klar, ich wusste, dass ich schnell sein kann. Aber WM-Gold? Damit habe ich niemals gerechnet.» St-Germain, die im Weltcup nie unter den Top 5 klassiert war, schlägt zu und profitiert vom Nachlassen der müde wirkenden Shiffrin. Es ist die zweite Goldmedaille Kanadas bei dieser WM nach dem Triumph von James Crawford im Super-G – die erste im Frauen-Slalom nach Anne Heggtveit vor 63 Jahren.

St-Germain stand mit drei Jahren erstmals im berühmten Skigebiet Mont Sainte-Anne auf den Ski. Geprägt hat sie eine Landsfrau, die 2003 in St. Moritz in der Abfahrt ähnlich überraschend WM-Gold gewann: Mélanie Turgeon (46). «Als ich ein Kind war, ist sie mit mir Ski gefahren. Und ich liess jeden meiner Helme von ihr unterschreiben.»

Benjamin Soland
Alle Infos zur Ski-WM 2023

In Courchevel und Méribel findet das Ski-Highlight des Winters statt. Hier findest du alles, was du über die Ski-WM 2023 wissen musst.

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