«Der Rollstuhl gehört zu meinem Leben»
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Silvano Beltrametti:«Der Rollstuhl gehört zu meinem Leben»

Silvano Beltrametti führt in seinem Berghotel 30 Mitarbeiter
«Im Herzen bin ich immer noch Spitzensportler»

Fast 20 Jahre auf Ski, fast 20 Jahre im Rollstuhl: Ex-Ski-Star Silvano Beltrametti (40) startet als Hotelier durch. Aber er weiss, so wie jetzt kann es nicht weiter gehen. Für «60 Jahre Blick» gibt er Einblick in seine Gefühlswelt.
Publiziert: 20.12.2019 um 02:02 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2019 um 02:18 Uhr
Mathias Germann

Silvano Beltrametti wirkt nachdenklich. Am 22. März dieses Jahres feierte er seinen 40. Geburtstag. Eine Feier wollte er nicht. «Ich bin jetzt seit beinahe 20 Jahren im Rollstuhl. Also praktisch mein halbes Leben. Zuerst war der Sport, dann kam der Unfall, der Schnitt. Jetzt blicke ich zurück und überlege mir: Was habe ich seither erreicht?»

Als er die Antwort gibt, erkennt man ein Lächeln in seinem Gesicht. «Der 8. Dezember 2001 stellte mein Leben auf den Kopf. Ich bin stolz auf das, was ich seither geleistet habe», so Beltrametti.

Seit 12 Jahren erfolgreicher Hotelier

Wir treffen den Bündner in seinem Berghotel Tgantieni oberhalb von Lenzerheide GR. Es zählt zu den besten 3-Sterne-Häusern der Schweiz. «Früher war es ein Maiensäss, und der Urgrossvater meiner Frau hat dieses als Bergbauer genutzt. Den Grundstein legte dann ihr Grossvater, Louis Parpan. Er verkaufte im Winter Kafi Schnaps und Gerstensuppe. Und er merkte, dass er auch Übernachtungen anbieten könnte.»

Silvano Beltrametti sitzt fast sein halbes Leben im Rollstuhl.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Der Gedanke erwies sich als Sechser im Lotto. Der Bau der Funibahn 1936 zog immer mehr Leute den Berg hoch – auch Skifahrer. Beltrametti: «Die Piste, die gleich neben unserem Hotel durchgeht, ist die allererste der Region. Die Gäste können direkt von ihrem Zimmer auf die Ski.»

Seit 12 Jahren ist Beltrametti Hotelier. Vorher war er im Sportmanagement tätig und auch OK-Präsident der Weltcuprennen Lenzerheide. Und noch vorher? Praktisch jeder kennt die Geschichte des Ski-Talents: der kometenhafte Aufstieg in die Weltspitze, dann sein tragischer Unfall in Val-d’Isère, bei dem die Kanten seiner Ski die Schutz­planen durchschnitten und er ungebremst in den Wald dahinter schoss.

2001 hing sein Leben am seidenen Faden

Damals hing sein Leben am seidenen Faden. Cheftrainer Dieter Bartsch war bei der Rettung im Helikopter. Er tätschelte Beltrametti immer wieder auf die Wangen, sprach pausenlos auf ihn ein – Silvano durfte auf keinen Fall einschlafen. Keiner weiss, ob er jemals wieder aufgewacht wäre. Beltrametti schlief nicht ein. Er hielt durch, bezahlte aber einen hohen Preis. Verschobener Bruch am sechsten und siebenten Brustwirbel. Querschnittlähmung.

Beltrametti war schon immer ein Arbeitstier. Er absolvierte die Lehre zum Zimmermann mit Bravour und trieb seine Ski-Karriere in horrendem Tempo voran. Kein Aufwand war ihm zu gross, keine Mühe nicht zu bewältigen. Doch nun begann sein grösster Kampf. «All meine Träume platzten innerhalb von einigen Sekunden, ich fiel in ein tiefes Loch», so Beltrametti.

Er konnte sich nicht vorstellen, wie er den Rest seines Lebens bewältigen sollte. Der Rollstuhl ist seither sein ständiger Begleiter. Familie und Freunde halfen, wo es nur ging. Die Anteilnahme im ganzen Land war riesig. «Das war unglaublich schön. Gleichzeitig wusste ich: Nichts macht den Unfall rückgängig.»

Mit dem Schicksal Frieden geschlossen

Beltrametti nahm sein Schicksal in die Hand, schaute nach vorne. Die Frage «Warum ich?» plagte ihn dennoch zu Beginn. Doch er fand immer Halt – auch im Glauben. «Ich bin überzeugt, dass da oben im Himmel jemand ist, der uns führt und Leitplanken setzt. Und der gewisse Tage in unserem Leben rot anstreicht. In meinem Fall war jener 8. Dezember rot angestrichen.»

Längst hat Beltrametti mit seinem Schicksal Frieden geschlossen. Auch nach seiner Karriere verschloss er sich nicht, war in den Medien präsent. «Ich wollte Menschen, die ebenfalls untendurch mussten, Halt geben. Vielleicht auch ein Vorbild sein.» Noch heute hält er Referate zum Thema «Umgang mit Veränderungen». Dabei zeigt Beltrametti auch seinen fatalen Sturz. «Es sind emotionale Bilder, aber sie treffen mich nicht mehr.»

«78 Kilo – mit Rollstuhl 92»

Beltrametti ist mit sich im Reinen. Angst, ihm gegenüber etwas Falsches zu sagen, muss niemand haben. «Auch Sprüche unter der Gürtellinie kränken mich nicht. Ich kann das schon einordnen und weiss, dass sie nicht so gemeint sind.» Oft müsse er sogar selbst lachen.

Kein Wunder: Humor war für Beltrametti schon immer wichtig. «Auch wenn man das Wasser am Hals hat, darf man das Lachen nicht vergessen – dann gehts leichter durchs Leben.» Eine Kostprobe? Bei seinem Gewicht schreibt er auf seiner Homepage: «78 Kilo – mit Rollstuhl 92».

Trotz der krassen Veränderungen ist etwas geblieben: Beltrametti tickt immer noch wie ein Profisportler – auch als Hotelier. «Im Herzen bin ich noch Spitzensportler. Es ist schwierig, loszulassen. Ich setze mir knallhart Ziele und verfolge sie auch.»

«Ich versuche immer, mit gutem Vorbild vorauszugehen»

Im Unterschied zu früher kann er nun aber nur im Team erfolgreich sein, ohne seine 30 Mitarbeiter würde der Betrieb im Winter nicht funktionieren. «Als Chef bin ich streng und konsequent. Aber ich versuche immer, mit gutem Vorbild vorauszugehen. Wenn ich am Morgen mal Husten habe oder mir nicht wohl ist, stiere ich den Tag trotzdem durch – auch an Spitzentagen.» Dann gehen schon mal 400 Mittagessen raus.

Beltrametti, der Chef, ist dann hinter der Theke und zapft ein Bier nach dem anderen. «Das ist wie Spitzensport, es geht richtig ab. Wir müssen schnell, strukturiert und effizient arbeiten. Es ist lässig, wenn man am Abend sagen kann: Heute haben wir die Hütte gerockt !» An solchen Tagen geht Beltrametti kaputt, aber besonders zufrieden ins Bett.

Dennoch: Die Work-Life- Balance leidet. «Sie muss in den nächsten Jahren besser werden», gibt der passionierte Jäger offen zu. Und ergänzt: «Meine Frau und ich haben jetzt 12 Jahre Vollgas gegeben. In diesem Stil sollte es nicht mehr lange weiter­gehen.»

Mehr Zeit für seine Frau und die Hobbys

Er will nicht nur mehr Zeit für seine Frau, sondern auch für seine Hobbys haben. «Im Winter einen schönen Tag auf dem Monoski verbringen und im Sommer mit dem Handbike. Auch mal noch einige Reisen machen, vielleicht nach Afrika.»

Dass Beltrametti sich sputen möchte, hat einen einfachen Grund: «Mein Körper kann sich nur zu einem Drittel bewegen. Im Alter werde ich zunehmend die ein­geschränkte Mobilität spüren. Der Alterungsprozess ist bei mir wohl viel schlimmer als bei den meisten Menschen.»

Für Beltrametti ist klar: «Somit werde ich das Pensionsalter auch früher erreichen und darf natürlich den Absprung vom Beruf nicht verpassen.» Niemand zweifelt, dass ihm auch dies gelingen wird.

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