Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Haben die Afrikaner das Schwingen erfunden?

Weisse Musiker spielen Reggae. Das Konzert wird wegen kultureller Aneignung abgebrochen. Hat das auch Auswirkungen auf den Sport? Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 31.07.2022 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2022 um 10:00 Uhr
Felix Bingesser

Die Band um den Mundartmusiker «Lauwarm» muss ihr Konzert in einem Berner Szenelokal abbrechen. Weisse Männer mit Dreadlocks dürfen keinen Reggae spielen. Das ist kulturelle Aneignung, ein Verrat an der jamaikanischen Rastafari-Bewegung sozusagen. Dies zumindest moniert ein Teil der Zuhörer. Und fordert den Abbruch des Konzerts. Von Weissen gespielter Reggae sei, sagen sie, eine Form des Rassismus.

Beim Lesen dieser Story bleibt einem prompt der Kebab im Halse stecken. Man fühlt sich bei der kulturellen, kulinarischen Fahnenflucht ertappt. Und überlegt sofort, wo es einen Bratwurststand mit integrierter Süssmostabgabe gibt.

Auch Pizza, Burger, Sushi – alles gestrichen? Wegen kultureller Aneignung?

Blick-Reporter Felix Bingesser schreibt jeden Sonntag seine Kolumne «Übrigens…»
Foto: Thomas Meier
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Jetzt hat man sich langsam an die Globalisierung gewöhnt. An die grosse multikulturelle Weltgemeinschaft ohne Grenzen und ohne ethnische Separierung. Und jetzt diese irritierende Diskussion, die aus den USA auf Europa überschwappt.

Und in Anlehnung an den blassen Berner Reggae-Sänger fragt man sich, wie man reagieren würde, wenn das gemischte Chörli von Nairobi am Strand von Kenia den volkstümlichen Klassiker «Schacher Sepp» intonieren würde.

Was bedeutet dieses neue Weltbild für den Sport? Haben sich die Frauen den nachweislich von Männern erfundenen Fussball kulturell angeeignet? Respektive dürften nur noch englische Männer aus dem Mutterland des Fussballs dem Ball hinterherrennen? Und hätten so die Möglichkeit, endlich wieder einmal Weltmeister zu werden.

Und man überlegt sich, welchen Sport man, ohne in Verdacht der kulturellen Aneignung zu geraten, noch ausüben darf. Das Skifahren ist ja eine Erfindung der Norweger, die wir schamlos abgekupfert haben.

Es bleibt wohl nur das Schwingen. Da muss man aber aufpassen, dass man beim Gang an den Brunnen auch die Nationalhymne mitsingt. Sonst wartet schon wieder das nächste Fettnäpfchen.

Doch Achtung: Auch beim Schwingen gibt es Zweifel. Im Senegal gibt es den Nationalsport «Lutte Sénégalaise», ein dem Schwingen sehr verwandter Kampfsport. Der wurde unter den Angehörigen der westafrikanischen Herrscherfamilien schon im 11. Jahrhundert ausgeübt. Haben unsere Bauern und Hirten den vaterländischen Hosenlupf vielleicht auch den Afrikanern abgekupfert und sich kulturell angeeignet?

Haben wir tatsächlich nur das «Ricola» erfunden?

Man könnte in dieser neuen Welt tatsächlich den Überblick verlieren. Jedenfalls zeigt die Seifenoper aus Bern, wohin uns diese hysterische und entfesselte «Political Correctness» noch treiben kann. In den Wahnsinn.

Als Zeichen des stillen Protests würde ich mir gerne «Dreadlocks» wachsen und flechten lassen. Das ist aber bei älteren weissen Männern, deren Deckungsgrad des Haupthaares etwas zu wünschen übrig lässt, ein schwieriges Unterfangen.

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