Sogar der König darf als Amateur derzeit nicht in Sägemehl
Löst Corona Profi-Revolution im Schwingsport aus?

Die Traditionalisten wehren sich seit Jahrzehnten gegen den Profi-Status im Schwingsport. Doch vielleicht bodigt Corona selbst die heiligste Kuh in der Sägemehl-Schweiz.
Publiziert: 05.11.2020 um 14:33 Uhr
|
Aktualisiert: 24.12.2020 um 12:40 Uhr
Marcel W. Perren

Es ist sportlich betrachtet der grösste Widerspruch in dieser Corona-Krise. Während die Schweizer Profi-Boxer auch nach dem jüngsten Pandemie-Entscheid des Bundesrats im Ring aufeinander einprügeln dürfen, darf Schwingerkönig Christian Stucki derzeit in seinem Trainingslokal nicht mit anderen «Bösen» zusammengreifen.

Warum darf der Überschwinger, der vor elf Monaten vor Roger Federer zum Sportler des Jahres gewählt wurde, im Gegensatz zu den wenig bekannten helvetischen Berufsboxern derzeit keine Kontaktsportart ausüben? Ganz einfach: Seit dem am 28. Oktober ausgerufenen Bundesrats-Beschluss dürfen nur Athleten mit Profi-Status Zweikämpfe bestreiten. Und Schwinger gelten offiziell ausnahmslos als Amateure.

«... ansonsten wirds gefährlich»

Wenn die Anzahl von positiven Fall-Zahlen nicht bald hinuntergeht, droht Stucki, Wicki, Orlik und Co. deshalb eine Sägemehl-Pause bis im Frühling. Und das würde die kommende Wettkampf-Saison, in der mit dem Jubiläums-Schwinget in Appenzell und dem Kilchberger gleich zwei Eidgenössische Kräftemessen auf dem Programm stehen, ernsthaft gefährden.

Die Schwingkeller – hier jener von Christian Stucki in Biel – bleiben zurzeit leer.
Foto: BENJAMIN SOLAND
1/12

«Wenn die Kranzfest-Saison wie geplant im Mai gestartet werden soll, müssen die Schwinger spätestens im Februar mit dem Schwingtraining im Sägemehl beginnen können. Ansonsten wirds gefährlich», sagt Stuckis Athletik-Trainer Tommy Herzog.

«Möchte keine Zweiklassengesellschaft»

Denkt man deshalb beim Eidgenössischen Schwingerverband darüber nach, sämtlichen Kader-Schwingern den Profi-Status zu verleihen? «Bis jetzt haben wir noch nicht darüber diskutiert», sagt der Aargauer Stefan Strebel, der seit letzten Frühling beim ESV die Rolle des Technischen Leiters interpretiert. «Und ich möchte klar betonen, dass ich grundsätzlich gegen das Profitum im Schwingen bin, weil ich in unserem Sport keine Zweiklassengesellschaft haben möchte.»

Ausschliessen will der gelernte Metzger einen für Sennen-Sport revolutionären Schritt aber trotzdem nicht: «Wenn sich die Corona-Krise bis im Januar nicht entschärft, werden wir beim ESV vielleicht sogar über einen Profi-Status reden müssen.»

Box-Profi arbeitet beim Strassenverkehrsamt

Klar ist aber auch, dass viele konservative Ehrenmitglieder vom ESV auch in dieser Ausnahme-Situation mit allen Mitteln gegen den Begriff Profi kämpfen werden. Für sie muss ein richtiger Schwinger unter der Woche einen bürgerlichen Beruf ausüben.

Dass sich der Titel eines Profisportler und ein klassischer Broterwerb nicht ausschliessen, zeigen in der Schweiz nicht zuletzt die Boxer. Der Aargauer Stefan Rumpold, der im September seinen ersten Profi-Kampf bestritt, arbeitet nach wie vor zu hundert Prozent beim Strassenverkehrsamt in Schafisheim AG. Und von Sponsoren-Verträgen, wie sie die Schwinger-Könige seit rund zehn Jahren abschliessen, können unsere Faust-Fechter sowieso nur träumen.

Wenger und Sempach: Über eine halbe Million

Zur Erinnerung: Kilian Wenger und Matthias Sempach haben nach ihren grossen Würfen in Frauenfeld 2010 und Burgdorf 2013 mehr als eine halbe Million im Jahr verdient. Deshalb mussten die Herren im Eidgenössischen Schwingerverband zur Entschärfung dieser für die «Bösen» besonders komplizierten Phase auf dem Papier nur den Amateur-Status mit dem Titel austauschen, welchem einige Schwinger in der Praxis sowieso schon länger gerecht werden: Profi.

Wie professionell im Schwingsport seit der Ära von Jörg Abderhalden gearbeitet wird, belegt übrigens auch die Tatsache, dass mit Michael Wiget und Fabian Staudenmann zurzeit zwei Eidgenossen die Spitzensportler-RS in Magglingen absolvieren. Mit Matthias Glarner steht den beiden Bernern dort sogar ein echter König als Trainer zur Seite, welcher vom ESV fürs Schwingen im Militär im Mandat angestellt wurde.

Aber eben, aufgrund vom Kontaktsport-Verbot für Amateure dürfen Wiget und Staudenmann selbst in der Rekrutenschule für Spitzensportler nicht zusammengreifen…

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?