Schwarzsee-Sieger und Athletenrat Florian Gnägi zum VAR im Schwingsport
«Ein Schwinger-Gilet mit Drucksensoren würde Gerechtigkeit bringen»

Vor 12 Monaten wurde Florian Gnägi als Auslaufmodell gehandelt. Doch in der laufenden Saison ist der Berner gemessen an Kranzfestsiegen die Nummer 2 hinter Samuel Giger. Zudem spricht er im Athletenrat heisse Themen an.
Publiziert: 16.07.2022 um 12:33 Uhr
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Aktualisiert: 16.07.2022 um 12:35 Uhr
Marcel W. Perren (Text) und Sven Thomann (Fotos)

Für Florian Gnägi ist es ein besonders bitterer Moment. Am 3. Juli 2021 landet der sonst so verlässliche Lokalmatador am Berner Seeländer-Verbandsfest ausserhalb der Kranz-Ränge! Auf der Tribüne stellt sich manch einer die Frage, ob der zweifache Eidgenosse seinen Zenit überschritten hat? «Ich musste ein paar Wochen vor diesem Wettkampf eine Knie-Operation über mich ergehen lassen. Auch ich war mir in diesem Moment nicht sicher, ob ich den Sprung zurück an die Spitze noch einmal schaffe», gibt Gnägi zu.

Der gewinnbringende Kopfgriff seines Vaters

Doch in dieser dunklen Stunde macht ihm auch die Biografie seines Vaters Erich Hoffnung, der nach zahlreichen Verletzungen im Alter von 32 Jahren 1989 in Stans doch noch den eidgenössischen Kranz gewinnt. «Durch Papa habe ich von klein auf gelernt, was es für ein erfolgreiches Comeback nach einer Verletzung braucht. Ich denke immer wieder an die Video-Aufnahme, die dokumentiert, wie er auf den Fingerspitzen Liegestützen macht. Und als gelernter Metzger hat er vom vielen Ausbeinen die mächtigeren Unterarme entwickelt, als ich sie habe.»

Resultatmässig hat sich Florian in diesem Sommer aber noch eindrücklicher zurückgemeldet als sein Erzeuger vor 33 Jahren: Drei Kranzfestsiege (Seeländer, Bern-Jurassier und Schwarzsee) hat der gelernte Kaufmann in den letzten drei Monaten gefeiert. Besonders viel Glanz versprüht sein Triumph beim Berg-Klassiker am Schwarzsee. Hier reüssierte er auch dank einer Spezialität seines Seniors. «Im fünften Gang habe ich gegen Michael Moser mit dem Kopfgriff gewonnen, den ich bei meinem Vater abgeschaut habe.»

In der verletzungsbedingten Pause von König Christian Stucki hat sich Florian Gnägi zum Herrscher des Berner Seelands entwickelt.
Foto: Sven Thomann
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«Das spricht gegen den VAR!»

Der leidenschaftliche Anhänger des EHC Biel ist aber auch neben dem Sägemehlring ein echter Leader. Der zwölffache Kranzfestsieger ist der Berner Vertreter im Aktivrat des Eidgenössischen Schwingerverbandes ESV. In dieser Funktion nimmt der 125-Kilo-Mann, der hauptberuflich in Magglingen im Kompetenzzentrum Sport der Armee arbeitet, auch an der Debatte VAR im Schwingsport teil. «Ich bin grundsätzlich immer für die Gerechtigkeit. Aber in meinen Augen ist die Einführung eines Video-Schiedsrichters nur schon aus finanziellen Gründen undenkbar!»

Gnägi nennt ein konkretes Beispiel: «Wenn man den VAR bei sämtlichen Kranzfesten einführen möchte, sind 15 Kameras nötig, um alle fünf Plätze sauber abzudecken. Die Veranstalter des Berner-Jurassischen, die, wenn es hochkommt, 1500 zahlende Zuschauer haben, können sich so etwas unmöglich leisten.»

Zudem glaubt der 106-fache Kranzgewinner nicht daran, dass es durch die Einführung des VAR gar keine Fehlentscheidungen mehr geben würde. «Gewisse Kamerawinkel können zu optischen Täuschungen führen. Absolute Gerechtigkeit könnten wir nur dann erzielen, wenn jeder Schwinger unter seinem Hemd ein Gilet mit Drucksensoren tragen würde. Dazu bräuchte es natürlich eine präzise wissenschaftliche Abstimmung, wie viele dieser Sensoren gleichzeitig reagieren müssten, bis der Kampfrichter das Resultat geben darf.»

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Doch kaum hat Gnägi diesen revolutionären Gedanken ausgesprochen, verwirft er lachend die Hände. «In Wahrheit kommt auch diese Idee einer reinen Utopie gleich. Ein Jungschwinger bezahlt in unserem Klub ein Jahresbeitrag von 30 Franken. Und dieser Sport soll ja auch in Zukunft für jedermann zugänglich bleiben. Aber wenn sich Schwingen in eine derart wissenschaftliche Richtung entwickeln sollte, habe ich grosse Zweifel, ob in Zukunft noch so viele Leute Freude daran hätten.»

Letzte Chance für den kleinen Bruder

Florian selbst hatte zu Beginn dieser Saison viel Freude an der sportlichen Entwicklung seines zehn Jahre jüngeren Bruders. Damian gewann im Mai am Seeländischen den zweiten Kranz seiner Karriere. Doch dieser Erfolg wurde durch eine Meniskusverletzung getrübt. Mittlerweile ist der 24-Jährige zwar wieder einsatzfähig. Aber wenn er Ende August mit seinem «Big Brother» in Pratteln BL in die eidgenössische Arena einlaufen will, muss er heute am Berner Kantonalen in Thun den Kranz gewinnen.

Unabhängig von den sportlichen Ergebnissen dürfte es in fünf Monaten im Hause Gnägi in Aarberg so oder so eine ordentliche Feier geben. Im Dezember erwartet Florians Frau Bettina ihr erstes Kind.


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