«Dieser Aussenseiter ist richtig heiss»
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Blick-Perren über Favoriten:«Dieser Aussenseiter ist richtig heiss»

Rigi-Sieger Pirmin Reichmuth über sein gespaltenes Verhältnis zum König
«Mit Joel Wicki hätte ich am ersten Ferientag Krach!»

Für viele Experten ist Pirmin Reichmuth der Schwinger mit dem grössten Potenzial. Bei seinem Triumph auf der Rigi hat der Zuger den amtierenden König Joel Wicki regelrecht vergraben. Vor dem Anschwingen am Unspunnen übt der 1,98-Meter-Mann dennoch Selbstkritik.
Publiziert: 26.08.2023 um 16:58 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2023 um 07:27 Uhr
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Marcel W. PerrenReporter Sport

Pirmin Reichmuth, hatten Sie kürzlich eine Schlägerei?
Nein, warum?

Die fünf Stiche über Ihrem rechten Auge und das riesige «Veilchen» deuten auf ein gröberes Gemetzel hin!
Das ist das Ergebnis eines Zusammenpralls, den ich im Schwingtraining mit meinem geschätzten Schwyzer Kollegen Christian Schuler hatte. Das sieht aber viel schlimmer aus, als ich mich fühle. Der Unspunnen kann kommen!

Sie haben uns in diesem Sommer immer wieder überrascht. Positiv wie negativ. Nach dem sensationellen Sieg im Rigi-Schlussgang gegen König Joel Wicki haben Sie auf dem Brünig gegen Bernhard Kämpf eine Niederlage kassiert, für die Sie von Nöldi Forrer besonders stark kritisiert wurden. Sind Sie deshalb sauer auf den Schwingerkönig von 2001?
Nein, er hatte mit seiner Analyse vollkommen recht. Ich habe mich nach diesem Gang selber als «Affen» bezeichnet! Das Ganze ist wirklich dumm gelaufen. Ich habe im Bodenkampf ein «Halt» eines Kampfrichters gehört und mich deshalb fallen lassen. Blöderweise kam das Kommando aber vom Kampfrichter vom Nebenplatz. Wie gesagt: Das war dumm von mir.

Den grössten Erfolg hat Pirmin Reichmuth in diesem Sommer beim Berg-Klassiker auf der Rigi gefeiert.
Foto: keystone-sda.ch
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Und es scheint, dass Sie ein Kämpf-Trauma haben. Am letzten Eidgenössischen in Pratteln haben Sie im Kampf um den Schlussgang gegen den Berner Oberländer verloren, obwohl Sie ihn zu Beginn des Ganges eigentlich bereits auf dem Rücken hatten. Ist es möglich, dass Sie diese Erinnerung beim Wiedersehen mit Kämpf auf dem Brünig beeinträchtigt hat?
Im Unterbewusstsein hat das wahrscheinlich schon eine Rolle gespielt. Als ich Bernhard auf dem Brünig die Hand zu diesem Revanche-Gang gab, habe ich zwar nicht gedacht: «Bitte nicht schon wieder der Kämpf.» Ich stieg mit der «Jetzt erst recht»-Haltung in den Ring. Deshalb habe ich mit der Brechstange geschwungen, zumal ich wusste, dass ich meine Schlussgangchancen nur mit einem Sieg mit der Maximalnote 10 wahren kann. Wenn du mit dieser Gewissheit gegen einen so zähen Kämpfer wie Kämpf schwingst, blockierst du dich wie selber. Im Endeffekt hatte ich in diesem Duell keine einzige zwingende Chance. Aber im Hinblick auf den Unspunnen bin ich froh, dass mir das passiert ist. Ich habe viel daraus gelernt.

Es gibt Experten, die behaupten, Reichmuth bringe von allen Spitzenschwingern mit seinem beeindruckenden Körper und seiner technischen Vielseitigkeit die besten Voraussetzungen mit. Geben Sie ihnen recht?
Ich bin selber selbstbewusst der Meinung, dass sich Giger, Staudenmann, Aeschbacher, Orlik, Wicki und ich rein schwingerisch auf derselben Stufe bewegen. Zwischen uns entscheiden keine technischen Finessen. Auf unserem Niveau geht es einzig darum, wer im Kopf der Stärkste ist.

Wie intensiv arbeiten Sie im mentalen Bereich?
Ich absolviere jeden Tag ein Mentaltraining. Den Mentaltrainer sehe ich zwar nur viermal im Jahr. Aber er gibt mir Übungen mit auf den Weg, die ich problemlos allein durchziehen kann.

Im Gegensatz zu Staudenmann, Aeschbacher, Orlik oder Wicki haben Sie nie an einem Schwinger-WK teilgenommen. In einem Interview haben sie sogar behauptet, dass sich diese monatelangen «Sägemehl-WKs» negativ auf die Attraktivität im Schwingsport auswirken, weil sich die Topshots in unzähligen Trainingsduellen aus dem Effeff kennenlernen. Sie haben für diese Aussage viel Kritik geerntet. Haben Sie sich damals zu weit aus dem Fenster gelehnt?
Ich stehe weiterhin zu dem, was ich damals gesagt habe. In der Zwischenzeit musste ich aber zur Kenntnis, dass meine Kritik nichts genützt hat – die meisten Kranzfestsieger trainieren weiterhin im Winter zusammen unter dem Patronat der Schweizer Armee in Magglingen. Deshalb habe ich zu diesem Thema nichts hinzuzufügen.

Ihr Innerschweizer Team geriet in diesem Sommer am eigenen Teilverbandsfest in ein schiefes Licht. SRF-Experte Matthias Sempach meinte, dass sich die Luzerner Werner Suppiger und Damian Stöckli im Bodenkampf mit Fabian Staudenmann absichtlich auf den Rücken gedreht hätten, damit dem bösen Berner Gast die Maximalnoten für die Schlussgang-Qualifikation fehlen. Teilen Sie Sempachs Einschätzung?
Eines steht fest: Von unserer Teamleitung gab es keine solchen Anweisungen. Und weil ich nicht in andere Menschen hineinschauen kann, kenne ich auch die Gedankengänge von Suppiger und Stöckli nicht. Ich weiss aber auch nicht, ob sich im letzten Unspunnen-Schlussgang Curdin Orlik im Zweikampf mit seinem Berner Kollegen Stucki bis zum Schluss nach Kräften gewehrt hat. Hätte dieses Duell mit einem Gestellten geendet, hätte Joel Wicki den Sieg geerbt. In der letzten Minute ist Orlik auf dem Rücken gelandet. Der Verdacht liegt nahe, dass es in dieser Situation eine Teamorder gegeben hat. Beweisen kann man es aber nicht.

Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie am Unspunnen mit einem Innerschweizer Kollegen den Schlussgang bestreiten würden und im Fall eines Gestellten ein Berner erben würde?
Ich würde mich auch für einen Teamkollegen nie absichtlich auf den Rücken legen. Dazu wäre ich viel zu ehrgeizig. Umgekehrt ist auch ein Joel Wicki zu ehrgeizig, dass er mir den Sieg schenken würde.

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Wie würden Sie sie Ihr Verhältnis zu König Wicki beschreiben, der seine Unspunnen-Teilnahme wegen einer Ellbogen-Verletzung absagen musste?
Bei den Trainingszusammenzügen und während den Kranzfesten in der Innerschweiz sind wir die grössten Konkurrenten, deshalb können wir nicht die besten Freunde sein. Aber wenn wir wie auf dem Brünig gegen die Berner antreten, verbindet uns eine einzigartige Dynamik, wie ich sie mit keinem anderen Innerschweizer Schwinger habe. Bei solchen Wettkämpfen geniessen wir es, Teamkollegen zu sein. Deshalb schmerzt es auch mich enorm, dass Joel auf den Unspunnen verzichten muss.

Können Sie sich vorstellen, mit Wicki Ferien zu machen?
Nein, weil wir sehr wahrscheinlich bereits am ersten Tag Krach zusammen hätten. Joel und ich sind in Wahrheit viel zu ähnlich, wir sind beide totale Alphatiere. Aber ich schätze Joels Bodenständigkeit enorm und finde es richtig geil, dass er neben seiner beeindruckenden Schwingkarriere auch noch als Bagger-Unternehmer und als Landwirt erfolgreich ist.

Sie haben als Berufsmann ebenfalls einen aussergewöhnlichen Weg eingeschlagen. Nachdem Sie Metzger gelernt haben, führen Sie jetzt in Cham eine Physiotherapie. Wie erklären Sie Ihren Patienten die Entwicklung vom Killer zum Heiler?
So brutal wie es klingt, ist der Metzgerberuf nun auch wieder nicht. Aber es ist schon klar: Mein beruflicher Werdegang ist ungewöhnlich. Ich wurde tatsächlich schon von Kunden gefragt, ob ich mit meinen Metzger-Händen wirklich auch fein arbeiten kann. Ich kann das sehr wohl. Aber eigentlich wollte ich ja nach der Metzgerlehre Sport studieren.

Warum haben Sie diesen Plan nicht durchgezogen?
Ganz einfach: Ich bin 2016 bei der Prüfung in Magglingen vor den Augen von Kugelstoss-Legende Werner Günthör durchgefallen!

Wie kann es sein, dass ein Modellathlet wie Sie bei der Aufnahmeprüfung für das Sport-Studium scheitert?
Als Schwinger war ich viel zu einseitig trainiert für diese Prüfung, mit meiner Masse hatte ich beispielsweise keine Chance, den Anforderungen bei einem Ausdauerlauf gerecht zu werden. Noch schlechter habe ich ausgesehen, als ich vortanzen sollte. Nach dieser missglückten Prüfung habe ich noch eine Zeit lang als Metzger weitergearbeitet und parallel die Berufsmatur absolviert. Und dann habe ich mich für die Ausbildung zum Physiotherapeuten entschieden. Dass ich mich in der Zwischenzeit in dieser Branche selbständig gemacht habe, war die beste Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe.

Warum?
Ich hatte immer schon ein Autoritätsproblem. Ich habe zwar keine Mühe damit, wenn ich einer richtig kompetenten Person gehorchen muss. Aber ich konnte noch nie «uf d'Schnurre hocke», wenn ich einen Vorgesetzten hatte, der meinen Anforderungen nicht gerecht werden konnte. Aber jetzt bin ich mein eigener Chef und habe mit der Weltklasse-Karatekämpferin Angela Felber eine Geschäftspartnerin, die genau gleich tickt wie ich. Und dadurch bin ich jetzt natürlich auch viel flexibler, was den Schwingsport anbelangt.

Wie gehen Sie als ehemaliger Metzger mit der wachsenden Veganer-Bewegung um?
Wenn einer aus ethischen Gründen kein Fleisch isst, kann ich das nachvollziehen, solange er mich als Fleischesser in Ruhe lässt. Aber jeder, der den Bolzenschuss eines Metzgers als brutal bezeichnet, sollte sich bewusst sein, dass ein Tier in der freien Wildbahn oft deutlich grausamer ums Leben kommt. Schliesslich kann man einem Wolf nicht befehlen, dass er ein süsses Reh nicht anfallen soll. Zudem leben die meisten Veganer ja auch nicht konsequent. Fakt ist: Für die Produktion von Mandeln müssen unzählige Bienen ihr Leben lassen. Um ein Kilo Mandeln herstellen zu können, benötigt es auch rund 15'000 Liter Wasser. Deshalb kann ich es nicht ganz ernst nehmen, wenn Mandelmilch von Veganern als das Ultimative angepriesen wird.

Hier findet am Sonntag das Unspunnen-Schwinget statt
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Die Arena ist bereit:Hier findet am Sonntag das Unspunnen-Schwinget statt
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