König Stucki heiss auf mehr
«Möglich, dass ich bis 2024 schwinge»

Christian Stucki (36) muss heute auf einen Brünig-Start verzichten. Im SonntagsBlick-Interview verrät der Schwingerkönig, warum es im Schwingen zu wenig Nachwuchs gibt, wie viel Geld er wegen Corona verloren hat und was ihn an der Fussball-Nati stört.
Publiziert: 25.07.2021 um 09:41 Uhr
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Aktualisiert: 25.07.2021 um 09:51 Uhr
Marcel W. Perren (Text) und Sven Thomann (Fotos)

Blick: Christian, wie gravierend sind Ihre Rückenprobleme?
Christian Stucki:
Es ist nicht so, dass es meinem Rücken ganz schlecht geht. Aber es geht ihm eben auch nicht gut genug für eine Teilnahme am Sonntag auf dem Brünig. Ein Start macht nur Sinn, wenn man zu 100 Prozent fit ist. Ich bin nur bei 95 Prozent.

Hatten Sie in den letzten Tagen Kontakt mit Ihrem ehemaligen Schwingerkollegen Daniel Bösch, der an Krebs erkrankt ist?
Noch nicht, aber ich will Dani in den nächsten Tagen ein SMS schreiben. Die Nachricht von seiner Erkrankung hat mich schockiert. Aber ich weiss, dass er ein grosser Kämpfer ist, und glaube deshalb, dass er den Krebs besiegen kann. Ich wünsche ihm auf diesem Weg besonders viel Kraft.

Können Sie sich daran erinnern, was Sie vor rund einem Jahr in einem Blick-Interview gesagt haben, als der Athletenrat der Schwinger coronabedingt die ersten Pläne für Geisterschwingfeste im TV schmiedete?
Ja. Ich war damals der Meinung, dass Geisterschwingfeste im TV wenig Sinn machen, weil unser Sport stark vom einzigartigen Ambiente lebt, welches das Publikum während eines Wettkampfes erzeugt.

Bei Serienmeister YB sind Chrigu und seine Söhne Xavier und Elia besonders gern gesehene Gäste (hier mit Sportchef Christoph Spycher).
Foto: Sven Thomann
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In der Zwischenzeit haben auch Sie ein paar Geisterwettkämpfe bestritten. Haben Sie Ihre Meinung geändert?
Man muss schon klar sehen, dass sich der Schwingsport eine weitere Saison ohne Wettkämpfe nicht hätte erlauben können. Aber logisch, ich vermisse in dieser speziellen Saison die emotionalen Reaktionen von den Publikumsrängen enorm. Bei meinem Gastauftritt am Aargauer Kantonalen war zumindest ein bisschen Stimmung, weil da ungefähr 600 Zuschauer zugelassen waren. Doch bei den anderen Wettkämpfen war die einzige Reaktion, die nach einem geglückten Wurf zu hören war, das Klatschen von ein paar Helfern, die neben dem Sägemehlring auf einem Bänkli sassen.

Auch auf dem Brünig sind keine Zuschauer zugelassen, obwohl derzeit offiziell 1000 Menschen erlaubt wären. Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?
Ich finde es schade. Zumal auf dem Brünig im Gegensatz zu anderen Schwingfesten mit der Naturtribüne die Infrastruktur ja schon zu einem grossen Teil vorhanden wäre. Aber offenbar will sich das Brünig-OK gegenüber den anderen Bergfesten, die Geisterwettkämpfe organisieren müssen, solidarisch zeigen. Das muss man akzeptieren.

Wie viel Geld haben Sie eigentlich aufgrund der Pandemie ans Bein streichen müssen?
Das weiss ich nicht genau, aber es werden ein paar Tausend Franken sein. Ich habe das Glück, sehr kulante Sponsoren zu haben, die mir trotz der komplett abgesagten Saison im letzten Sommer die volle Gage überwiesen. Aber natürlich sind einige Anlässe neben dem Sägemehlring weggefallen, für die ich kein Ausfallhonorar erhalten habe. Aber wie gesagt, ich nage deshalb nicht am Hungertuch. Immer schön geschmeidig bleiben – mir und meiner Familie geht es trotz allem sehr gut.

Apropos Sponsoren: Stimmt es, dass Sie ein paar böse Briefe erhalten haben, weil Sie als Aushängeschild des Schweizer Nationalsports vor ein paar Jahren einen Werbedeal mit einem deutschen Discounter unterzeichnet hatten?
Ja, diese bösen Briefe und Stimmen gab es vor elf Jahren. Aber solche Dinge prallen ohne grosse Wirkung an mir ab, weil ich in solchen Situationen in meinem Gehörgang den Göschenen-Airolo-Modus einschalte. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Leute, die mich für diesen Deal kritisiert haben, dieses Geld auch genommen hätten.

Samuel Giger wird in der Schwingerfamilie für sein Hochhalten der traditionellen Werte besonders gelobt. Ist es für Sie eine Genugtuung, dass nun ausgerechnet auch er beim gleichen Sponsor unterschrieben hat?
Auf der einen Seite ja, andererseits ist es ganz einfach super für unseren Sport. Lidl hat in den letzten Jahren vor allem in meiner Region viele Schwingfeste unterstützt. Nun hat man in diesem Konzern ganz bewusst einen Nachfolger für mich gesucht, weil man weiss, dass ich nicht mehr zehn Jahre schwinge. Und die Marketingleitung hat mich auch angefragt, ob es für mich ein Problem sei, wenn Giger ins Team aufgenommen werde. Ich habe diese Frage mit einem klaren Nein beantwortet, weil ich froh bin, dass dem Schwingsport dadurch ein toller Partner erhalten bleibt.

Sie haben gerade festgehalten, dass Sie nicht mehr zehn Jahre schwingen werden. Ist es möglich, dass Sie bis zum Eidgenössischen Jubiläumsfest 2024 in Appenzell dabei bleiben?
Das ist nicht ausgeschlossen. Es ist aber auch möglich, dass nach dem nächsten Eidgenössischen in Pratteln für mich Feierabend ist. Bis dahin möchte ich auf jeden Fall weitermachen. Wie es danach weitergeht, hängt von meinem Gemütszustand im Herbst 2022 ab.

Sie sind ein bekennender Fussballfan. Haben Sie sich wie andere Schwingerfreunde während der Euro auch darüber geärgert, dass vor den Spielen nicht alle Schweizer Nationalspieler die Nationalhymne mitsangen?
Jein. Ich muss zugeben, dass auch ich bei unserer Hymne nicht so textsicher bin. Aber wenn vor einem Eidgenössischen die Hymne ertönt, bewege ich zumindest ein bisschen meine Lippen. Und das gibt schon ein ganz anderes Bild ab, wie wenn Fussball-Nationalspieler vor dem Einsatz für ihr Land einfach stumm dastehen. Aber mir ist auch klar, dass ein Fussball-Nationalspieler mit Migrationshintergrund nicht den gleichen Zugang zu unserem Brauchtum wie ein Schwinger hat. Obwohl: Auch bei den Franzosen gibt es viele Secondos, und trotzdem singen dort alle inbrünstig mit.

Nach dem Schweizer Sieg gegen Frankreich wollen sich so viele Kinder anmelden, dass diverse Fussballklubs Wartelisten erstellen müssen. Im Schwingen ist die Anzahl der Jungschwinger rückläufig, obwohl man seit einigen Jahren von einem Schwingboom spricht. Wie erklären Sie sich das?
Auch in meinem Schwingklub sind wir bezüglich Nachwuchs eher dünn aufgestellt. Meines Erachtens ist dies vor allem auf die Eltern zurückzuführen. Viele Mütter und Väter betrachten Schwingen nach wie vor als grobe Sportart mit entsprechend grosser Verletzungsgefahr. Darum halten einige ihre Kinder vom Gang ins Sägemehl ab. Diese Leute muss ich allerdings daran erinnern, dass es im Fussball mindestens so viele Verletzungen gibt.

Ihr ältester Sohn Xavier dürfte seit seinem achten Geburtstag bei Bubenfesten mitmachen.
Bis anhin hat er noch kein Schwingtraining absolviert. Er verfolgt meine Schwingfeste zwar mit grösstem Interesse, entwickelt sich aber eher in Richtung Fussball. Er ist ein grosser YB-Fan. Als wir ihm vor ein paar Jahren im Fanshop ein Duschgel des damaligen Topstürmers Guillaume Hoarau gekauft haben, hätte er sich am liebsten zwanzig Mal am Tag gewaschen. Sein absoluter Lieblingsspieler ist aber Miralem Sulejmani.

Welches Element des Fussballs würden Sie gerne im Schwingsport einführen?
Ich schaue leidenschaftlich gern Fussball, aber ich möchte gar nichts von diesem Sport zu uns transferieren. Ich finde es fantastisch, dass an einem Schwingfest ein Innerschweizer und ein Berner Fan friedlich nebeneinander auf der Tribüne sitzen können. So etwas ist im Fussball schwer vorstellbar.

Sie beneiden die Fussballer auch nicht um den Video-Schiedsrichter?
Nein. Wenn an einem Eidgenössischen jede strittige Entscheidung auf den sieben Plätzen vom VAR überprüft würde, wäre der Wettkampf wohl erst nach vier Tagen beendet. Und die Diskussionen würden danach noch weitergehen. Es gibt im Schwingen wie im Fussball einfach Situationen, die so eng sind, dass auch Videobilder keine absolute Klarheit schaffen können.

Könnten Sie das Rad der Zeit zurückdrehen: Welchen Zweikampf würden Sie gerne wiederholen?
Den siebten Gang am Eidgenössischen 2010 in Frauenfeld. Hätte ich damals Martin Grab bezwungen, wäre ich im Schlussgang gestanden. Und ich habe mir gegen Grab sehr gute Chancen ausgerechnet, weil ich ihn im gleichen Jahr zweimal relativ souverän besiegen konnte. Doch in Frauenfeld habe ich in acht Minuten keine zwingende Aktion zustande gebracht, der Gang endete gestellt. Somit stand Martin und im Schlussgang gegen Kilian Wenger. Dieser verpassten Chance habe ich lange nachgetrauert.

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