Dora Hari organisierte 1980 das erste Frauenschwinget
«Ich erhielt eine Todesanzeige mit meinem Namen drauf»

Heute vor 40 Jahren fand das erste Damenschwinget der Geschichte statt. Organisiert wurde es von Dora Hari (88). Auf dem Weg zur Gleichstellung musste sie viele Hürden überwinden.
Publiziert: 17.08.2020 um 11:40 Uhr
Daniel Leu (Text) und Benjamin Soland (Fotos)

Zum ersten Mal an diesem Nachmittag gerät Dora Hari ins Grübeln. Die 88-Jährige sitzt in ihrem Restaurant Sternen in Aeschi bei Spiez. Unter einem Bild von General Guisan. Und überlegt, was sie auf die Frage «sind Sie eine Feministin?» antworten soll. Nach Sekunden des Schweigens kommt ihr die Tochter zu Hilfe: «Muetti, du bist eine unbewusste Feministin.»

Eines ist sicher: Dora Hari hat auf dem Weg zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Schweizer Sport ihren Teil dazu beigetragen, denn gleich hinter dem Sternen geschah vor 40 Jahren Historisches. Am 17. August 1980 fand hier auf der Wiese das erste so genannte Damenschwinget statt. Organisiert von Dora Hari. Beinahe im Alleingang, denn vor allem die Männer wehrten sich damals mit Händen und Füssen gegen schwingende Frauen.

«Als ich anfing, das Fest zu organisieren, haben mich viele im Dorf nicht mehr gegrüsst oder kamen mir frech», erinnert sich Hari, «ich erhielt sogar eine Todesanzeige mit meinem Namen drauf. Und manche Kunden wollten meinem Mann, der Viehhändler war, von heute auf morgen die Tiere nicht mehr abkaufen.»

Am 17. August 1980 fand das erste Frauenschwingfest statt. Gewonnen wurde es von Eva Bleiker (heute Holenstein) ...
Foto: Keystone
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Doch Hari, Mutter vierer Kinder und seit bald zehn Jahren Witwe, lässt sich nicht von ihren Plänen abbringen. Sie muss sogar selber Zwilchhosen kaufen, weil die Männer ihre wegsperrten. Und sie muss das Sägemehl in der Nacht vor dem Fest in einem abschliessbaren Stall verstecken, weil einige drohten, Rasierklingen im Sägemehl zu verstecken. «Manchmal habe ich schon gedacht: Was bist du für ein Löli? Warum tust du dir das nur an?», sagt Hari heute dazu und schüttelt noch immer verständnislos den Kopf.

«Das ist doch nur eine Show»

Die Kritik an Hari und ihrem Fest kommt aber nicht nur aus dem Dorf, sondern auch aus der Schwingerszene. «Wir distanzieren uns in aller Form vom Damenschwingen. Leider können wir es nicht verbieten», poltert der damalige Präsident des Bernisch-Kantonalen Schwingerverbands. Schwingerkönig Arnold Ehrensberger lästert: «Das ist doch nur eine Show, eine Verkitscherei unseres Wettkampfsports.» Und ein Schwingfan ereifert sich vor 40 Jahren im Schweizer Fernsehen: «Das tut mir weh, wenn ich so junge Mädchen sehe, die so brutal zueinander sind.»

Was dann an jenem 17. August 1980 in Aeschi bei Spiez passiert, übertrifft alle Erwartungen. 76 Schwingerinnen, die Hari mit einem Inserat in der Zeitung suchte, reisen ins Berner Oberland. Auf sie wartet ein reich bestückter Gabentempel, «ohne dass ich auch nur ein Füfi ausgeben musste».

Bereits um 5.30 Uhr sitzt der erste Zuschauer auf der Tribüne. Am Schluss sinds gegen 15’000, die ins kleine Dorf pilgern. Die Autos stehen kreuz und quer, das Postauto kommt nicht mehr durch und ab Mittag gibt es kaum noch Essen. «Das war eine richtige Völkerwanderung», erinnert sich Hari, «wir hatten doch niemals mit so vielen Zuschauern gerechnet. Weil wir zu wenig Essen und Getränke hatten, ging viel Geld verloren.»

«Ich bin gäng ä Gwundernase»

Auch in den Medien findet das erste Damenschwinget Gehör. Der Tenor? Kritisch, hämisch, machohaft! «Es waren nämlich eher Damen vom Schlage osteuropäischer Schwerathletinnen erwartet worden; allein das ästhetische Empfinden wurde nicht über Gebühr strapaziert. Die schwerste Konkurrentin brachte 88 Kilo auf die Waage», schrieb zum Beispiel die NZZ.

Haris Augen funkeln, wenn sie von damals redet. Mittlerweile ist das Frauenschwingen etabliert. Auch dank Hari, die 1992 bei der Gründung des Eidgenössischen Frauenschwingerverbands mitwirkte. «Schwingen ist ein Spiel. Bei den Männern ist das heute leider nicht mehr so, bei den Frauen aber schon noch. Das gefällt mir. Und wenn die Frauen bei der Siegerehrung in ihren Trachten aufmarschieren, ist das einfach schön.»

«Genug geredet», sagt Hari plötzlich energisch. Eine Frage lässt die fünffache Oma aber noch zu: Welche Träume hat sie mit ihren 88 Jahren noch? «Die Haris sind langlebig. Meine Schwester wird bald 100. Ich würde gerne noch mehr reisen, denn ich war und bin gäng ä Gwundernase!»

Eva Holenstein war die erste Schwingerkönigin

Die Toggenburgerin Eva Holenstein (57) über ihren Premierensieg 1980 und den Tag danach.

Frau Holenstein, Sie sind die erste Frau, die ein Schwingfest gewinnen konnte. Sind Sie stolz darauf?
Eva Holenstein:
Stolz ist das falsche Wort. Es war einfach ein sehr, sehr schönes Erlebnis. Aber wenn ich heute darauf angesprochen werde, ist mir das manchmal fast ein bisschen peinlich, denn ich stehe nicht so gerne im Rampenlicht.

Warum nahmen Sie 1980 in Aeschi an diesem Premierenfest teil?
Ich erfuhr per Zufall von einem Bekannten davon und dachte spontan: Da mache ich mich.

Hatten Sie zuvor überhaupt geschwungen?
Da mein jüngerer Bruder schwang, war ich zuvor schon an einigen Bubenschwingen. Ich selbst hatte aber keinerlei Erfahrung, ich war eher die Skirennfahrerin. Mein Bruder hat mir dann vor dem Fest die Schwünge gezeigt. Da ich zu diesem Zeitpunkt aber erst 17 Jahre alt war, brauchte ich von Zuhause eine Vollmacht, um überhaupt antreten zu dürfen.

Welche Erinnerungen haben Sie an diesen 17. August 1980?
Als ich dort ankam, sah ich diese unglaubliche Menschenmasse. Alles war voll. Das war sehr eindrücklich.

Waren Sie nervös?
Nicht extrem, vielleicht ein bisschen angespannt. Doch ich wusste ja gar nicht, was auf mich zukommen wird, weil es ja für uns alle das erste Mal war. Ich gewann dann Gang um Gang, bis ich als Siegerin feststand.

Gab es für Sie – wie bei den Männern üblich – auch einen Siegermuni?
Es gab ein Rind, das wir auch mitnahmen und das dann noch einen Sommer auf der Alp erleben durfte, bevor wir es verkauften.

Was passierte am Tag danach?
Da wurden bei uns Zuhause beinahe die Türen eingerannt. Vor dem Fest hatte ich ausser meiner Familie niemandem davon erzählt. Am Montag dann kamen sehr viele Leute vorbei, Bekannte und Journalisten. Alle wollten wissen, wie es war.

Dora Hari wurde in der Zeit oft angefeindet. Wie war es bei Ihnen?
Das Echo auf meinen Sieg war vorwiegend positiv, aber natürlich wurden wir Frauen damals von den eingefleischten Schwingern belächelt. Für viele war ganz klar: Schwingen ist Männersache.

(Daniel Leu)

Die Toggenburgerin Eva Holenstein (57) über ihren Premierensieg 1980 und den Tag danach.

Frau Holenstein, Sie sind die erste Frau, die ein Schwingfest gewinnen konnte. Sind Sie stolz darauf?
Eva Holenstein:
Stolz ist das falsche Wort. Es war einfach ein sehr, sehr schönes Erlebnis. Aber wenn ich heute darauf angesprochen werde, ist mir das manchmal fast ein bisschen peinlich, denn ich stehe nicht so gerne im Rampenlicht.

Warum nahmen Sie 1980 in Aeschi an diesem Premierenfest teil?
Ich erfuhr per Zufall von einem Bekannten davon und dachte spontan: Da mache ich mich.

Hatten Sie zuvor überhaupt geschwungen?
Da mein jüngerer Bruder schwang, war ich zuvor schon an einigen Bubenschwingen. Ich selbst hatte aber keinerlei Erfahrung, ich war eher die Skirennfahrerin. Mein Bruder hat mir dann vor dem Fest die Schwünge gezeigt. Da ich zu diesem Zeitpunkt aber erst 17 Jahre alt war, brauchte ich von Zuhause eine Vollmacht, um überhaupt antreten zu dürfen.

Welche Erinnerungen haben Sie an diesen 17. August 1980?
Als ich dort ankam, sah ich diese unglaubliche Menschenmasse. Alles war voll. Das war sehr eindrücklich.

Waren Sie nervös?
Nicht extrem, vielleicht ein bisschen angespannt. Doch ich wusste ja gar nicht, was auf mich zukommen wird, weil es ja für uns alle das erste Mal war. Ich gewann dann Gang um Gang, bis ich als Siegerin feststand.

Gab es für Sie – wie bei den Männern üblich – auch einen Siegermuni?
Es gab ein Rind, das wir auch mitnahmen und das dann noch einen Sommer auf der Alp erleben durfte, bevor wir es verkauften.

Was passierte am Tag danach?
Da wurden bei uns Zuhause beinahe die Türen eingerannt. Vor dem Fest hatte ich ausser meiner Familie niemandem davon erzählt. Am Montag dann kamen sehr viele Leute vorbei, Bekannte und Journalisten. Alle wollten wissen, wie es war.

Dora Hari wurde in der Zeit oft angefeindet. Wie war es bei Ihnen?
Das Echo auf meinen Sieg war vorwiegend positiv, aber natürlich wurden wir Frauen damals von den eingefleischten Schwingern belächelt. Für viele war ganz klar: Schwingen ist Männersache.

(Daniel Leu)

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Frauenschwingen

1992 wurde der Eidgenössische Frauenschwingverband gegründet. Er zählt heute rund 180 aktive Sportlerinnen. Die populärste Schwingerin aller Zeiten ist Sonia Kälin, die viermal Königin wurde. Im Gegensatz zu den Männern wird bei den Frauen jedes Jahr eine Königin gekürt. Es zählt dabei nicht die Leistung eines einzelnen Festes, sondern die über die gesamte Saison. 2019 war die St. Gallerin Michelle Brunner die Erfolgreichste. Wegen der Corona-Krise fielen in diesem Jahr auch bei den Frauen sämtliche Feste aus.

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