Corona-Angst, Hirschi-Power und ein Super-Slowene
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Tour de France – ein Rückblick:Marc Hirschi sorgte für viele Highlights

Tops und Flops der Tour de France 2020
Corona-Angst, Hirschi-Power und ein Super-Slowene

Drei Tour-Wochen und 21 Etappen sind überstanden. Was war gut? Was schlecht? Was bleibt in Erinnerung? BLICK ordnet die Frankreich-Rundfahrt ein.
Publiziert: 21.09.2020 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 26.09.2020 um 22:52 Uhr
Mathias Germann

Die Tour de France 2020 ist Geschichte. Was hat sie geboten? Erstens: aus Schweizer Sicht mehrere Highlights durch Marc Hirschi. Da­neben Dramen, endlose Corona-Diskussionen und einen slowenischen Premieren-Gesamtsieg durch Supertalent Tadej Pogacar. Das sind die Tops und Flops!

Tops

Hurricane Hirschi. Der Berner Marc Hirschi (22) startete zu seiner ersten grossen Rundfahrt. «Ich will Erfahrungen sammeln», sagte er bescheiden. Und dann das: Hirschi bot eine Show, wurde je einmal Dritter, Zweiter und Erster. Ein Schweizer Etappensieg bei der Tour? Darauf mussten die Schweizer Rad-Fans acht Jahre lang warten – Fabian Cancellara gewann letztmals 2012. Hirschi weckt die Hoffnung, dass da endlich wieder ein Top-Rundfahrer heranwächst. Am Ende wurde Hirschi zum kämpferischsten Fahrer der Tour gewählt. «Hurricane» nennen ihn die Briten. Just great!

Shootingstar Pogacar. Nie zuvor gewann ein Mann aus dem 2-Millionen-Land die Tour. Und nun dies: Gleich die ersten beiden Plätzen gehen nach Slowenien. Youngster Tadej Pogacar gewinnt, Ex-Skispringer Primoz Roglic (30) wird Zweiter. Pogacar scheint das neue Rundfahrten-Wunderkind zu sein, er ist ausdauernd und trotzdem spritzig. In der Nachkriegszeit war kein Tour-Sieger jünger als Pogacar, der heute seinen 22 Geburtstag feiert. Der «Wolf», wie er sich selbst sieht, triumphiert nicht nur die Gesamtwertung, sondern hamsterte auch drei Etappen und zwei weitere Wertungen: bester Jungprofi und Bergkönig. Mehr geht fast nicht.

Tops: Der Berner Marc Hirschi (22) startete zu seiner ersten grosse Rundfahrt. «Ich will Erfahrungen sammeln», sagte er bescheiden.
Foto: keystone-sda.ch
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Bubble-Konzept hat gegriffen

Corona? Negativ! So hiess es trotz Hunderten Tests fast immer. Das Untergangsszenario wurde nicht wahr, insgesamt gab es nur vier positive Fälle – sie betrafen Teambetreuer. Dazu war Tour-Boss Christian Prudhomme positiv – was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Dennoch: Es scheint, als habe das Bubble-Konzept in Frankreich mit getrennten Teams, Medien, Organisatoren und Sponsoren gegriffen.

Alleskönner Van Aert. Gibt es eigentlich etwas, das Wout van Aert (26) nicht kann? Der dreifache Quer-Weltmeister sprintet, kraxelt und bolzt in der Fläche Tempo. Und das alles auf extrem hohem Niveau. Der Lohn: zwei Etappensiege. Nur beim Öffnen des Champagners beim Znacht mit seinem Team Jumbo-Visma hatte er Mühe.

Die Welt trifft sich – und jubelt. Die Tour 2020 ist eine interna­tionale Angelegenheit. Von Norwegen über Kolumbien, von der Schweiz über Kasachstan, von Irland über Australien – insgesamt gab es Etappensieger aus 12 verschiedenen Ländern. Das machte Spass. Erstaunlich: Das grosse Italien ging leer aus.

Ein Hoch auf Irland. Es gibt gerade einmal fünf Rad-Profis aus Irland. Einer von ihnen ist Sam Bennett. Der 29-Jährige gewann als erster Ire seit langer Zeit das grüne Trikot des Punktbesten. Genauer: seit Sean Kelly (1982, 1983, 1989).

Bennett entthronte Trikot-Scheffler Peter Sagan (7 Siege in den letzten 8 Jahren) und holte zwei Etappensiege. Übrigens: Bennett wurde im belgischen Menen geboren. Vielleicht liegt sein Erfolg darin begründet.

Flops

Fans ohne Maske. Die Mehrheit aller Zuschauer am Strecken­rand trugen Masken. Bloss: Die Mehrheit reicht in Corona-Zeiten nicht. Es war bedenklich, wie sich viele an den An­stiegen verhielten. Nämlich: rücksichtslos. «In den Pyrenäen hatten teilweise vier von fünf keine Maske. Da hatte ich ein ungutes Gefühl», sagte Stefan Küng. Viele vergassen wohl, dass diese Tour nicht selbstverständlich war. Sie gefährdeten aber nicht nur das Rennen und die Fahrer, sondern auch sich und jene Fans, die sich korrekt verhielten.

Sturz des Königs. Egan Bernal (23) hätte seinen Sieg des Vorjahres wiederholen sollen. Oder müssen? Sein mächtiges Team Ineos verzichtete auf die früheren Tour-Sieger Chris Froome und Geraint Thomas, um Unruhe im Team zu vermeiden. Letztlich versagte Bernal komplett – und zwar in seinem bevorzugten Terrain, also in den Bergen. Waren die Rückenschmerzen zu gross? Sicher ist: In Kolumbien herrschte nach dem Niedergang des Supertalents Staatstrauer.

Doping bleibt ein Thema

Doping-Fragezeichen. Pogacar und Roglic wurden in ihrer Karriere nie erwischt, für sie gilt die Unschuldsvermutung. Und doch mischt sich bei vielen Fans ein un­gutes Gefühl, wenn sie die beiden auf dem Tour-Podest sehen. Denn: Pogacar und Roglic hatten in der Vergangenheit mit Menschen zu tun, die betrogen haben. Eine besondere Zahl veröffentlichte «Le Monde»: Zwischen 2009 und 2019 haben 42 Prozent der slowenischen Profi-Fahrer nachweislich gedopt. Wie gross die Dunkelziffer ist, weiss keiner.

Gigantismus. «Das ist die schwerste Tour seit langem», sagten viele Fahrer vor drei Wochen. Tatsächlich gab es kaum Flach­etappen, dafür unzählige Berge und nur ein Zeitfahren (mit einer Bergankunft). Aber: Erst in den Pyrenäen nach einer Woche ging es unter den Topstars hoch zu und her. Es bleibt, wie es ist: Die Fahrer machen ein Rennen – und nicht die Organisatoren.

Grande Nation ganz klein. Gut, mit Nans Peters und Julian Alaphilippe holte Frankreich zwei Etappensiege. Aber das grosse Ziel war der erste Gesamtsieg seit 1985 – damals gewann Bernard Hinault die Grande Boucle. Die grössten Hoffnungen ruhten auf den Schultern von Thibaut Pinot (30), der sich wie so oft verletzte und bald hinterherfuhr. Dass kein Franzose in den Top 10 des Endklassements liegt, ist bedenklich.

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