Das Drama um Richard Depoorter
Vor 75 Jahren starb an der Tour de Suisse schon einmal ein Fahrer

Gino Mäder (†26) ist der zweite Radrennfahrer, der an der Tour de Suisse tödlich verunglückt ist. Vor 75 Jahren starb in einem Tunnel der Belgier Richard Depoorter. Unter mysteriösen Umständen.
Publiziert: 18.06.2023 um 20:26 Uhr
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Daniel LeuStv. Sportchef

Wer heute von Wassen UR aus zum Sustenpass hochfährt, der durchquert auf der Nationalstrasse 11 nach wenigen Minuten den Depoorter-Tunnel. Dass ein Schweizer Tunnel nach einem belgischen Radrennfahrer benannt ist, hat einen traurigen Hintergrund.

Rückblende. Mittwoch, 16. Juni 1948, vierte Etappe der Tour de Suisse von Thun BE nach Altdorf UR. Der Belgier Richard Depoorter ist damals 33 Jahre alt, zweifacher Sieger bei Lüttich–Bastogne–Lüttich und liegt in der Gesamtwertung an zweiter Stelle, hinter Ferdy Kübler.

Was an jenem Tag vor 75 Jahren genau geschieht, darüber gibt es bis heute viele Gerüchte und Halbwahrheiten. Unbestritten war schon immer, dass Depoorter damals im Tunnel im Fedenwald tödlich verunglückte.

1948 stirbt der Belgier Richard Depoorter während der vierten Etappe der Tour de Suisse.
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Was passierte im Tunnel?

Dr. Rolf Gisler-Jauch, stellvertretender Staatsarchivar des Kantons Uri, erklärt 2016 im SonntagsBlick: «Kurz nach dem Pass fährt Depoorter in eine Schneemauer, muss absteigen und den Lenker richten. Dann fährt er weiter. Der nachfolgende Hugo Koblet kennt die Sustenstrasse, bremst vor der Einfahrt in den Tunnel stark ab. Da sieht er im Halbdunkel einen Körper und ein Velo am Boden liegen. Da er nicht an einen ernstlichen Unfall denkt, fährt er weiter.»

Kurze Zeit später wird der tote Belgier von Tour-Begleitern aus dem Tunnel getragen und auf einen Kieshaufen gelegt. Das Fazit der Urner Polizei: Die Unfallursache sei auf Unkenntnis der Strecke und auf die überhöhte Geschwindigkeit des Rennfahrers zurückzuführen. Zweifel an dieser Version hat schon damals Francis Pélissier, Sportlicher Leiter der Mannschaft «La Perle»: «Ich vermute, dass Depoorter vom belgischen Begleitauto überfahren wurde.»

Schadenersatz für die Witwe

Bei zwei Exhumierungen später in Belgien stellen die Ärzte einen starken Einbruch des Brustkastens und einen gebrochenen linken Schenkel fest. 18 Rippen waren zum Teil mehrmals gebrochen. Danach bricht ein französischer Journalist, der im Begleitfahrzeug sass, sein Schweigen und erklärt, dass Depoorter tatsächlich überfahren worden war. Offenbar hatten sich die Wageninsassen darauf geeinigt, den tödlichen Unfallhergang zu vertuschen.

1950 verurteilt ein belgisches Strafgericht den Fahrer des Begleitfahrzeugs zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bedingt. Später wird Depoorters Frau (und den drei Kindern) im Zivilprozess eine Schadensersatzsumme von damals umgerechnet 175’000 Franken zugesprochen.

1998, im Umfeld des 50. Todestages, wird an der Unfallstelle eine Gedenktafel errichtet und der Tunnel zu Ehren von Richard Depoorter umbenannt.

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