«Im Riesenslalom sind die kleinsten Medaillen-Chancen»
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Blick-Germann zu Frauen-Rennen:«Im Riesenslalom sind die kleinsten Medaillen-Chancen»

Vier Champions, vier Meinungen: Ski-Legenden über Gut-Behramis Sonderweg
«Auf ihr wird herumgetrampelt»

Lara Gut-Behrami (30) fehlt zur Krönung ihrer Karriere einzig Olympia-Gold. Schafft sie es im Riesenslalom? Vier Ski-Legenden erklären das Tessiner Ski-Phänomen.
Publiziert: 06.02.2022 um 13:00 Uhr
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Aktualisiert: 06.02.2022 um 19:29 Uhr
Mathias Germann aus Yanqing

Sie hat Ecken und Kanten. Sie polarisiert. Sie fährt genial Ski. Sie holte 2016 den Gesamtweltcup, wurde 2021 Doppel-Weltmeisterin und ist hinter Vreni Schneider (55 Siege) die Schweizerin mit den meisten Weltcup-Erfolgen (34). Klar, die Rede ist von Lara Gut-Behrami. Mit 16 Jahren bestritt die Tessinerin ihr erstes Profi-Rennen, mit 17 gewann sie erstmals. Besonders: Seit ihrer Kindheit ist sie in einem Privatteam unterwegs, meist mit ihrem Vater und Trainer Pauli Gut. Das sorgte oft für Spannungen mit dem Verband. Das ging so weit, dass Gut-Behrami 2010 für zwei Rennen gesperrt wurde, weil sie Trainer öffentlich kritisiert und Kleidervorschriften missachtet hatte. Auch mit den Medien stand Gut-Behrami, die 2018 den Nati-Star Valon Behrami heiratete, immer wieder auf Kriegsfuss. Und heute? In China will sie das gewinnen, was ihr im Palmarès noch fehlt: Olympia-Gold. Die erste Chance gibts beim Riesenslalom (Montag, 1. Lauf, 03.15 Uhr/2. Lauf, 6.45 Uhr). Was denken ehemalige Ski-Stars über Gut-Behrami?

Erika Hess (dreifache Weltmeisterin 1982, Weltmeisterin 1985, zweifache Weltmeisterin 1987)

«Lara kam sehr früh in den Weltcup. Sie hatte immer ihren Vater dabei. Die Unterstützung ihrer Familie half ihr, sie selber zu bleiben und ihren Weg zu gehen. Diese Unterstützung war sehr wichtig, da sie noch sehr jung war. Mein Weg war genau gegenteilig. Das zeigt, dass man auf beiden Wegen ans Ziel kommen kann. Klar, Lara eckt an. Aber sie ist einfach so, das ist ihre Art. Lara ist Lara. Sie will sich so schützen vor zu viel Rummel und zu vielen Fragen. Man muss sich auch mal abschotten und seine Ruhe haben. Ob das den Journalisten passt oder nicht, ist ihr egal. Das ist auch ihr Erfolgsrezept. Weil sie sich nicht verbiegen lässt, fährt sie schnell Ski. In Peking traue ich ihr vor allem im Super-G und in der Abfahrt eine Medaille zu. Sicher ist: Sollte eine Schweizerin gewinnen, werden mir wohl die Tränen runterlaufen. Ich könnte auch nie live fürs Fernsehen kommentieren, da ich viel zu emotional bin.»

Lara Gut-Behrami ist ein Genie auf Ski. Wie sehen Ex-Ski-Stars ihre Karriere und wie schätzen sie ihre Olympia-Chancen ein?
Foto: imago images/Geisser
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Paul Accola (Gesamtweltcupsieger 1992)

«Ich sagte schon vor der WM in Cortina: Wenn Lara Gold holen sollte, wäre das richtig geil! Und sie hat es getan. Diesmal bei Olympia wäre es noch geiler. Mir gefällt Lara, sie ist nicht 08/15, lässt nicht alles mit sich machen – so wie ich. Vielleicht hätte ich rückblickend auch ein Privatteam wie sie machen sollen. Ich habe allerdings immer zu allen im Team geschaut, war zu wenig Sauhund. Mike von Grünigen hatte übrigens auch ein Privatteam, auch wenn das nie so deklariert wurde. Er hat alle Leute, die ihm wichtig waren, um sich geschart – bloss merkte es niemand. Mike hat es richtig gemacht. Denn: Je weniger Trainer da sind, umso besser. Sie meinen es alle gut, aber meistens reden viel zu viele drein. Sie sind die grössten Gegner – auch die Journalisten zähle ich dazu – eines Skifahrers. Zurück zu Lara: Ich traue ihr alles zu, vor allem im Super-G. Da gilt es, nicht zu viel auf die Funksprüche zu hören, sondern sein eigenes Ding zu machen. Genau das tut Lara, während andere sich sofort verunsichern lassen. Dieses Selbstvertrauen, welches sie an den Tag legt, ist Gold wert.»

Sonja Nef (Weltmeisterin Riesenslalom 2001)

«Lara hatte in diesem Winter viel Pech. Zuerst die Grippe, dann Corona, die Isolation und dann noch der Sturz in St. Moritz. Dabei startete sie so stark in die Saison! Genau darum finde ich es ganz schwierig zu prognostizieren, wie sie in China abschneiden wird. Lara könnte abräumen, aber auch leer ausgehen. Wenn ich auf ihre Karriere zurückblicke, hätte ich ganz zu Beginn gedacht, dass sie noch mehr gewinnen würde. Aber sie verletzte sich schwer, das warf sie zurück. Doch Lara war immer sehr ehrgeizig, hat sich immer von Rückschlägen zurückgekämpft. Dafür braucht es einen gewissen Egoismus – ich hatte ihn, und Lara hat ihn auch, bloss merkte man das mir nicht so an. Noch fehlt Lara ein Olympiasieg, um ihre Karriere zu krönen. Ich bin todsicher, dass sie die Goldmedaille in Peking unbedingt möchte. Allerdings wird für sie keine Welt zusammenbrechen, sollte sie es nicht schaffen – dafür ist sie zu gereift. Ich jedenfalls drücke ihr ganz fest die Daumen und würde es ihr von Herzen gönnen, wenn sie ihre Karriere krönen könnte.»

Peter Müller (Weltmeister Abfahrt 1987)

«Eigentlich müsste die Schweiz dem Herrgott pausenlos danken, dass er uns eine solche Fahrerin wie Lara geschenkt hat. Stattdessen wurde sie immer wieder fertiggemacht. Das kann ich nicht verstehen. Welche Schweizerin hat schon 34 Weltcupsiege geholt? Ihr Hüftknick, ihr Mut, ihre Angriffslust – alles ist schlicht sensationell. Warum Lara erst ein einziges Mal zur Schweizer Sportlerin des Jahres gekürt wurde, ist mir ein Rätsel. Nichts gegen Belinda Bencic, die im letzten Jahr gewann. Aber: Lara wurde zweifache Weltmeisterin! Es tut mir weh zu sehen, dass auf einer Athletin, die so viel in den Sport investiert hat und den Verband in den dunklen Zeiten über Wasser gehalten hat, herumgetrampelt wird. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie den Olympia-Super-G gewinnt, dann noch die Abfahrt fährt und danach zurücktritt. Beim Riesenslalom ist sie dagegen wohl eher Aussenseiterin.»

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