Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Meine Mutter hat das Intervalltraining erfunden

Jede Mutter ist eine Spitzensportlerin. Auch meine. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 27.08.2023 um 18:51 Uhr
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Aktualisiert: 08.09.2023 um 12:08 Uhr
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Felix BingesserReporter Sport

Mütter im Spitzensport feiern grossartige Erfolge. Shelly-Ann Fraser-Pryce war nach der Geburt ihres Sohnes immer noch die schnellste Frau der Welt. Nicola Spirig Hug ist nach der Geburt jedes Kindes noch stärker zurückgekommen. Füttern, waschen, wickeln sind parallel zu Training und Wettkampf ihr Triathlon zu Hause. Mütter im Sport, das ist eine Erfolgsstory.

Und im Grunde sind allein eine Geburt und die nachfolgenden Jahre eine spitzensportliche Höchstleistung. Das gilt auch für meine Mutter, die jetzt ihren 90. Geburtstag feiert. Auch sie hat Leidensfähigkeit und Ausdauer bewiesen, lange bevor die Fitnessclubs erfunden wurden.

Zwillinge auf dem Gepäckträger

Als eines von sieben Kindern ist sie auf dem Bauernhof schon früh in die tägliche Arbeit eingebunden. Als sie als junges Schulmädchen den Auftrag erhält, ihre frisch geborenen Zwillingsgeschwister nach dem Mittagsschlaf der auf dem Feld beschäftigten Mutter zu bringen, legt sie ein Kissen auf den Gepäckträger ihres Velos und bindet die Babys sorgfältig fest. Der Weg mit dem Kinderwagen schien ihr zu weit.

Felix Bingesser ist Blattmacher, Kolumnist und Reporter in der Sportredaktion der Blick-Gruppe.
Foto: Thomas Meier
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Die Mutter zuckt bei diesem Anblick zusammen. Aber die Zwillinge erfreuen sich bis zum heutigen Tag bester Gesundheit.

Meine Mutter hat auch das Intervalltraining erfunden. Die Beschleunigung von null auf hundert. Als mich mein Bruder beim Mittagessen derart ärgert, dass der Gaul mit mir durchgeht, ergreife ich die Zwetschgenwähe und schmettere sie in seine Richtung. Er duckt sich, die Wähe tropft von der frisch gestrichenen Küchenwand.

Die gefaltete Bananenschale

Mir ist sofort klar, dass diese Aktion nicht mit einem wohlwollenden «Ist doch nicht so tragisch, mein Sohn» kommentiert wird. Ein Blick genügt und mit einem Hechtsprung ergreife ich die Flucht in Richtung Stube. Dort endet die Verfolgungsjagd. Die antiautoritäre Erziehung ist damals noch nicht erfunden. Ich spüre, wie der hölzerne Kochlöffel auf meinem Hintern landet und in zwei Teile zerbricht. Esswaren herumwerfen? Ich falte bis heute die Bananenschale ordentlich, bevor ich sie entsorge.

Jede Mutter ist auch Gewichtheberin. Pro Kind, zeigen Studien, kommen da viele Tonnen zusammen, die in einem Mutterleben aufgehoben und herumgetragen werden. Zusammen mit der Gartenarbeit, der Hausarbeit und dem wöchentlichen Besuch im Damenturnverein (ja, so hat das mal geheissen) kommt ein umfassendes Fitnessprogramm zustande.

Bald folgt eiserne Hochzeit

Jetzt wird meine Mutter 90. Die Schritte der zierlichen Frau sind etwas schwerer geworden. Stricken hat die Gartenarbeit abgelöst, am Kochherd steht sie in ihrem Einfamilienhäuschen noch täglich. Und nach der Diamanthochzeit folgt mit dem 90-jährigen Ehegatten bald die eiserne Hochzeit.

Liebe Mutter, sorry für all die Strapazen, die ich dir schon mit 4,3 Kilo Geburtsgewicht sehr früh bereitet habe. Sorry für all die Sorgen, für die wir drei Kinder gesorgt haben.

Wir haben dir viel Ärger beschert. Aber ich glaube, du hast es genossen. Durch die Luft wirbeln kann ich dich nicht mehr. Aber das mache ich gedanklich seit 60 Jahren jeden Tag.

Weil dir zu viel Aufhebens eher peinlich ist und du mir verboten hast, eine Kolumne über dich zu schreiben, wird dies die letzte Anordnung sein, die ich nicht befolge. Versprochen.

Alles Gute zum Geburtstag!

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