Lieber Weissrussland statt die Schweiz
Tanguy Darbellay lernt Ringen auf die harte Tour

Tanguy Darbellay aus dem Wallis hat in einer verrufenen Diktatur sein privates und sportliches Glück gefunden.
Publiziert: 14.06.2020 um 14:28 Uhr
Matthias Dubach

Traumdestination Minsk! Der Walliser Ringer Tanguy Darbellay (21) hat den vielleicht exotischsten Lebensmittelpunkt des Schweizer Sports. Er lebt, studiert und trainiert seit zehn Monaten in der weissrussischen Hauptstadt. Während andere Ausland-Sportler wie Ski-Star Beat Feuz in Innsbruck oder Schwimm-Europameister Jérémy Desplanches in Nizza ihre Muttersprache reden können, sagt Darbellay: «Einmal bin ich einem Französisch-Lehrer begegnet. Er verstand aber nichts von dem, was ich auf französisch sagte! Auch Englisch kann fast niemand. Eigentlich nur meine Mitstudenten aus China oder Korea.»

Der Ringer lernt deshalb mit Vollgas Russisch. Ein halbes Jahr bevor er nach Minsk zieht, übt er täglich am Computer. Und nun belegt er an der staatlichen Universität neben seinem Hauptfach «internationale Beziehungen» auch Russisch.

«Nun bin ich schon fast auf demselben Niveau wie im Englisch. Ich kann auf der Bank ein Konto eröffnen oder auf die Ämter gehen», sagt der Elite-Schweizermeister (80 kg). Dass er die Sprache derart schnell lernt, hilft auch seine weiss­russische Freundin Alexandra kräftig mit. Die beiden lernen sich einen Monat nach Tanguys Ankunft kennen, zwei Monate danach sind sie ein Paar. An Neujahr ist der Schweizer schon bei der Familie eingeladen und lernt die weissrussische Trinkfreude kennen…

Schuften im Training: Darbellay ist in Minsk der einzige Ringer aus Westeuropa.
Foto: Zvg
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Training und die Finanzen

Doch nicht nur wegen seiner Alexandra: Darbellay hat sich mächtig in Weissrussland verliebt. In ein Land, das bei uns wegen Diktator und Corona-Ignorant Alexander Lukaschenko ein bedenkliches Image hat. Aber der Ringer schwärmt: «Als ich ankam, hatte ich gewisse Ressentiments befürchtet. Aber die Weissrussen sind sehr herzlich und immer hilfsbereit.»

Doch warum der Umzug von Martigny nach Minsk? Darbellay nennt zwei Gründe. Das Training und die Finanzen. Im Ex-Sowjetstaat, wo ein Essen im normalen Restaurant umgerechnet 5 bis 10 Franken kostet und ein teures 20, wo eine Krankenversicherung 180 Franken im Jahr beträgt, eine ÖV-Monatskarte 20 Franken kostet und ein Handy-Monatsabo 5 Franken, kommt der Walliser mit seinem Budget durch. In der Schweiz müsste er nebenher arbeiten. «In Randsportarten ist es in der Schweiz extrem schwierig, genug Geld zu verdienen», sagt Darbellay.

Ringen als Randsportart: Nicht in Weissrussland. Der Sport wird stark gefördert, die besten Ringer des Landes trainieren in Minsk gemeinsam im olympischen Zentrum. Die Besten sind nationale Helden. Darbellay entdeckt das Ringer-Paradies, nachdem er 2018 wegen einer schweren Rückenverletzung monatelang ausfällt und deshalb aus dem Nationalkader fliegt. «Ich musste auf eigene Faust wieder in Form kommen. Durch den Kontakt über einen weissrussischen Trainer flog ich erstmals nach Minsk in ein Trainingscamp.»

Doch die Idee zum Auswandern kommt erst später. Darbellay entdeckt, dass Frankreichs Judo-Superstar Teddy Riner in Japan lebt, im Ursprungsland seines Sports. Beim Walliser machts Klick. Jetzt will auch er weg. Seine Mutter ist vom Plan überrascht. «Sie war traurig, dass ich ausziehe. Aber sie vertraute mir», schildert Tanguy.

Der Vater lebt von der Familie getrennt, er ist skeptischer. «Er meinte, es wäre besser erst nach dem Studium zu gehen. Doch dann ist es zu spät! Sowas muss man jung machen, es braucht viel Energie und Motivation.»

Der einzige Westeuropäer

In den Trainings ist Darbellay zwar nicht der einzige Ausländer, auch Athleten aus Russland, Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistan oder Dagestan kommen ins Ringer-Mekka Minsk. Aber er ist stets der einzige Westeuropäer. «Das Level ist hoch. Jeder Ringer ist willkommen, denn so können sich alle anderen verbessern. Die Trainer analysieren meinen Stil und ziehen ihre Schlüsse für die Wettkämpfe daraus.»

Das komplexe Training, wo stundenlang an einer Kampf-Position gefeilt wird, ist hart. Darbellay als U23-Junior tritt auch gegen gestandene Welt- und Europameister an. «Da fühlt man sich hilflos. Da spürst du auf die harte Tour, wieviel dir noch fehlt für das ganz hohe Niveau. Gegen den Schweizer will sich natürlich kein Weissrusse eine Blösse geben, es gibt viele Sprüche. Einige Ringer sind gute Freunde von mir geworden.»

Längst ist klar, dass Darbellay länger als geplant in Minsk bleiben will. Zurück im Schweizer Nationalkader ist er zwar längst und fliegt von Weissrussland aus in die Trainingscamps, die der Verband im Ausland organisiert. Doch er habe sportlich so viele Fortschritte gemacht, dass er weiterhin von den weissrussischen Bedingungen profitieren will.

Ist es auch eine Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio? «Meine Gewichtsklasse ist leider nicht olympisch. Wenn sich ein Schweizer verletzt, könnte ich für Tokio zwar nachrücken, müsste aber Gewicht verlieren. Mein Ziel für 2021 sind U23-EM- und WM-Medaillen.»

In Zukunft will Darbellay auch bei der Elite Medaillen abräumen. Seine persönliche Traumdestination Minsk soll es möglich machen.

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